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MILITÄR/798: Test des US-Raketenabwehrsystems erneut gescheitert (SB)


Test des US-Raketenabwehrsystems erneut gescheitert

Wunderwaffe des Pentagons zeigt sich immer mehr als Mogelpackung


Seit fast 30 Jahren, seit Ronald Reagans Verkündung seiner Strategic Defense Initiative (SDI) am 23. März 1983, laufen Amerikas Waffenfetischisten einer Fata Morgana hinterher. Es geht um nicht weniger als den Bau und die Installierung eines durch Satelliten und hochmoderne Radaranlagen gestützten, am Boden und auf Kriegsschiffen stationierten Raketenabwehrsystems, das die US-Streitkräfte in die Lage versetzen soll, einen schwerbewaffneten potentiellen Gegner wie Rußland oder einen militärisch minderbemittelten "Schurkenstaat" wie Syrien angreifen zu können, ohne einen nennenswerten Gegenschlag mit feindlichen Raketen befürchten zu müssen. Für diesen Traum haben die Regierungen Reagans, George Bushs sen., Bill Clintons und George W. Bushs Unsummen ausgegeben, ohne bisher einen nennenswerten Erfolg vorweisen zu können. Die meisten Tests des im Aufbau befindlichen Systems haben sich als Fehlschläge erwiesen. Immer wieder versagen irgendwelche Komponenten der High-Tech-Wunderwaffe aus unerklärlichen Gründen wie zuletzt am 31. Januar im Pazifik.

Am diesen Tag wurde eine Rakete, die angeblich Ähnlichkeiten mit jener Langstreckenrakete aufwies, über die Nordkorea verfügt und an deren Bau der Iran arbeiten soll, von der Ronald Reagan Ballistic Missile Defense Test Site auf dem zu den Marshall-Inseln gehörenden Atoll Kwajalein Richtung Westküste der Vereinigten Staaten abgefeuert. Kurz danach startete die Abfangrakete vom US-Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien aus. Zum Test der Abfangrakete bzw. des von ihr mitgeführten und in der letzten Phase des Flugs auszusetzenden "Kill Vehicle", das mit kinetischer Energie die feindliche Rakete zerstören bzw. zumindest aus ihrer Bahn schlagen sollte, ist es nicht gekommen. Wegen einer Fehlfunktion des X-Band-Radars, mit dem die Kontrolleure am Boden die Abfangrakete an die feindliche Rakete sozusagen heranlotsen wollten, mußte der Test abgebrochen werden und mußten die beiden künstlichen Himmelskörper einfach so in die Luft gejagt werden.

In einem am 2. Februar auf der Website der Nachrichtenredaktion des britischen Rundfunks BBC erschienenen Bericht bezeichnete dessen Sicherheitskorrespondent Nick Childs den Ausgang des 150 Millionen Dollar teuren Tests des US-Raketenabwehrsystems als "Peinlichkeit" für das Pentagon und die dort angesiedelte Missile Defense Agency (MDA). Das ist milde ausgedrückt. Die Peinlichkeit ist riesengroß und betrifft Präsident Barack Obama, Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates gleichermaßen, sind doch sie diejenigen, die dieser Tage mit Raketen-Diplomatie - die Kanoonenbootdiplomatie des 21. Jahrhunderts - versuchen die Volksrepublik China in ihre Schranken zu weisen und den Iran dermaßen unter Druck zu setzen, daß Teheran entweder im Atomstreit kapituliert oder es dort zu einem "Regimewechsel" kommt.

Am 29. Januar, zwei Tage vor dem jüngsten gescheiterten Test des Raketenabwehrsystems, hatte Washington durch Bekanntgabe der Entscheidung zum Verkauf von Rüstungsgütern im Wert von 6,4 Milliarden Dollar - darunter 114 Patriot-Raketen vom Typ PAC-3 im Wert von 2,81 Milliarden Dollar - an Taiwan heftige Proteste seitens der Regierung in Peking ausgelöst. Am selben Tag hatte Außenministerin Clinton bei einem Auftritt vor der französischen Offiziersakademie in Paris den Chinesen mit negativen ökonomischen Folgen und diplomatischer Isolation gedroht, sollten sie sich dem Drängen der USA, vom UN-Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schwere Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zu verhängen, weiterhin widersetzen. Am 30. und am 31. Januar berichteten die Washington Post auf ihrer Website respektive die New York Times in ihrer Printausgabe unter Verweis auf nicht namentlich genannte Mitarbeiter der Obama-Regierung sowie Vertreter des Pentagons, nach einer Entscheidung von Obama und Gates würden die USA Patriot-Batterien in Bahrain, Katar, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufstellen und zwei Lenkwaffenzerstörer vom Typ Aegis, die ebenfalls über Abfangraketen verfügen, dauerhaft im Persischen Golf stationieren lassen.

Letztere Nachricht hat einen Wust an Analysen und Kommentaren ausgelöst, deren Autoren die Bedeutung der Aufrüstungsmaßnahmen der Amerikaner am Persischen Golf zu bewerten versuchten. Einige Beobachter kauften Washington die offizielle Linie, man wolle lediglich Druck auf Teheran ausüben, ab, andere meinten, eine eindeutige Vorbereitung auf einen amerikanisch-israelischen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen - und vielleicht, wenn man ohnehin dabei ist, auf die Stützpunkte der Revolutionsgarden - zu erkennen. Wie dem auch sei, die Bedeutung der Verlegung der Patriot-Raketen an den Persischen Golf und ihres Verkaufs an die Taiwanesen hängt davon ab, für wie effektiv man die Raketenabwehrtechnologie der Amerikaner hält.

Die britische Tageszeitung Guardian zum Beispiel gab am 1. Februar in einem Bericht über die amerikanische Aufrüstung ihrer arabischen Verbündeten die früheren Angaben des Pentagons zum ersten Golfkrieg 1991 einfach wieder, wonach die Patriots 70 Prozent aller Scud-Raketen der Armee Saddam Husseins abgefangen hätten. Daß dies Humbug ist, weiß man eigentlich seit Jahren. Wie Studien in den neunziger Jahren ergaben und Clintons Verteidigungsminister William Cohen am 11. Januar 2001 gegenüber der Presse einräumte, wurde bei der Operation Wüstensturm keine einzige irakische Scud-Rakete von einer Patriot-Abfangrakete vom Himmel geholt. Nach offiziellen Angaben soll die PAC-3-Version 2003 mindestens 10 der 17 von den Irakern auf Kuwait abgefeuerten Scuds im Flug vernichtet haben. Ob dies tatsächlich stimmt, ist eine andere Frage. Fest steht, daß die PAC-3-Rakete in drei Fällen alliierte Flugzeuge für feindliche Raketen hielt. Zweimal konnten die US-Piloten erfolgreich Gegenmaßnahmen ergreifen. Zwei Piloten der britischen Royal Air Force (RAF) starben dagegen, als die Patriot-Rakete in ihren Tornado vom Typ GR4A mit voller Wucht einschlug und explodierte. Die Nachricht vom jüngsten gescheiterten Test im Pazifik dürfte - vor allem in Teheran und Peking - zu einer nüchterneren und realistischeren Einschätzung der Raketenabwehrfähigkeiten der Amerikaner führen.

2. Februar 2010