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MILITÄR/807: Barack Obama träumt von konventioneller Superwaffe (SB)


Atomwaffen allein garantieren keine dauerhafte Überlegenheit


Friedensnobelpreisträger Barack Obama träumt wie schon sein Vorgänger George W. Bush von der Superwaffe, die den militärischen und damit absoluten Vorsprung der Vereinigten Staaten garantieren soll. Wie die fiktive atomare Abrüstung zeigt, die nur dem Schein nach stattfindet und das Vernichtungspotential der führenden Atommächte nicht im mindesten einschränkt, ist die nukleare Option unverzichtbar, aber dennoch auf dem erreichten Niveau weitgehend ausgereizt. Während es aus Perspektive der US-Strategen einerseits darum geht, die Atomkarte auf dem Feld des "Antiterrorkriegs" als Bezichtigungsschiene auszubauen, forscht man energisch auf dem Gebiet neuer konventioneller Waffen, die in den derzeit geführten und geplanten Kriegen eingegrenzter Dimension die geforderte Überlegenheit sichern sollen.

In naher Zukunft will US-Präsident Obama entscheiden, ob die Beschaffung einer neuen Klasse konventioneller Waffen angeordnet wird, die von den Vereinigten Staaten aus jeden Ort der Erde in weniger als einer Stunde erreichen und mit so großer Genauigkeit und Wucht ihr Ziel treffen sollen, daß sie kleine Atomwaffen überflüssig machen. Die Idee als solche ist keineswegs neu, da bereits in der Ära George W. Bushs Pläne zu Superbomben gewälzt wurden, die aus großer Höhe abgeworfen werden und beim Aufschlag die Wirkung von Miniatomwaffen entfalten, so daß sie beispielsweise tiefe Bunker, Höhlensysteme oder geschützte Industrieanlagen zerstören.

Schon damals zog man unterschiedliche Trägersysteme wie Satelliten, Bomber oder Raketen in Erwägung, die hinsichtlich ihrer operativen Möglichkeiten verschiedene Vor- und Nachteile aufweisen. Die naheliegendste Möglichkeit, vorhandene Langstreckenraketen mit konventionellen Gefechtsköpfen zu bestücken, scheiterte am Einspruch der russischen Regierung, die zu Recht einwandte, man könne nicht unterscheiden, ob eine Rakete im Anflug einen konventionellen oder atomaren Sprengkopf trage. Deshalb werde durch eine derartige Innovation die Gefahr eines Atomkriegs nicht geringer, sondern steige im Gegenteil sogar. Obgleich im Umfeld des damaligen US-Präsidenten die reaktionärsten Falken freie Hand hatten, war man nach direkten Gesprächen Bushs mit der Moskauer Führung einsichtig genug, den russischen Einwand für plausibel zu halten. [1]

Wenn die Obama-Administration nun auf diese Option zurückkommt, so kann dies wiederum nur in Absprache mit den Russen geschehen, die natürlich jeden Versuch der USA, sich erneut einen entscheidenden militärischen Vorsprung zu verschaffen, zu verhindern trachten. Wie aus dem Weißen Haus verlautete, wurde im neuen START-Vertrag, den Barack Obama und Dmitri A. Medwedew vor zwei Wochen in Prag unterzeichnet haben, festgelegt, daß die USA für jedes einsatzbereite Waffensystem des geplanten Typs eine Atomrakete abbauen müssen. Offenbar nimmt man in Moskau diesbezügliche Pläne auf US-amerikanischer Seite sehr ernst und wird sie zweifellos auch zum Gegenstand künftiger Nachfolgeverträge machen.

Das neue System namens Prompt Global Strike soll weltweite Reichweite mit extrem kurzer Reaktionszeit, bislang unerreichter Präzision und ungeheurer Aufschlagswucht verbinden. Als Beispiele für mögliche Einsatzzwecke müssen die üblichen "Schurken" herhalten, wie Osama bin Laden in einer Höhle, eine zur Startrampe rollende nordkoreanische Rakete oder eine iranische Atomanlage - und das alles unter der nuklearen Schwelle. Theoretisch läßt sich auf diese Weise die Sprengwirkung einer kleinen Atombombe ohne deren unerwünschte Nebenwirkungen wie insbesondere eine Verstrahlung erzielen. Praktisch stellen sich indessen noch so viele ungelöste Probleme, daß der Übergang zwischen bereits in Angriff genommener Bewältigung und bloßem Wunschdenken der Militärs fließend und schwer auszuloten ist.

Im Unterschied zu den in den zurückliegenden Jahren entwickelten und getesteten Raketenabwehrwaffen, bei deren ausnahmsweise erfolgreicher Erprobung massiv manipuliert werden mußte, wäre bei PGS zumindest eine Voraussetzung bereits gegeben, nämlich die einsatzbereiten Interkontinentalraketen, die schon jetzt jeden Ort der Erde binnen kürzester Zeit erreichen können. Da sich die Rakete mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit innerhalb der Atmosphäre bewegen würde, muß zwar das Hitzeproblem ähnlich wie bei einem Space Shuttle gelöst werden, doch wäre das Projektil wesentlich leichter zu steuern als eine ballistische Rakete, die auf ihrem Flug in den Weltraum vordringt. Wie die Designer hoffen, könnte man den Luftraum neutraler Länder ebenso wie das feindliche Territorium weitgehend vermeiden, da zwischenzeitliche Kursänderungen möglich seien.

Verteidigungsminister Robert M. Gates, der dieses Amt bereits unter George W. Bush innehatte, konnte bestätigen, daß die Administration Barack Obamas dieses Rüstungsvorhaben in Erwägung zieht. Der Präsident selbst sagte jüngst in einem Interview mit der New York Times, er wolle weniger Gewicht auf Atomwaffen legen und zugleich sicherstellen, daß die konventionelle Option - von extremsten Situationen abgesehen - eine wirksame Abschreckung garantiert. Wie diese Wortwahl zeigt, handelt es sich definitiv nicht um Abrüstungspläne, sondern eine innovative Aufrüstung, die den Vorsprung der USA vergrößern soll.

Nachdem man die Idee verworfen hat, U-Boote mit der neuen Waffe zu bestücken, ist vorerst eine Stationierung an der Westküste geplant, wofür der Luftwaffenstützpunkt Vandenberg wohl am ehesten in Frage käme. Planungschef ist General Kevin P. Chilton von der Air Force, der militärische Oberbefehlshaber des Strategischen Kommandos. Er hat das Atomwaffenarsenal unter sich und ist im Rahmen der angetäuschten nuklearen Abrüstung Obamas gehalten, konventionelle Alternativen zu erörtern. Wie Chilton unterstreicht, könne man bislang zwar konventionelle Angriffe binnen weniger Stunden führen, doch würde das unter Umständen nicht ausreichen, um den Bewegungen georteter "Terroristen" oder dem Start einer feindlichen Rakete zu entsprechen. Würde der Präsident unter solchen Umständen eine raschere Antwort fordern, bliebe nur ein Atomschlag. Durch die Entwicklung neuer Waffensysteme wolle man dafür sorgen, daß dem Präsidenten künftig auch konventionelle Optionen in diesem Spektrum zur Verfügung stehen.

Die Regierung hat im Kongreß für das kommende Jahr 250 Millionen Dollar zur Erforschung einer solchen Alternative beantragt, die bereits vorhandene Technologie mit noch zu entwickelnder kombinieren soll. Wie teuer dieses Vorhaben letztendlich wird, weiß heute natürlich noch niemand, wobei man sicher sein kann, daß es sich um ein weiteres Faß ohne Boden handelt, für das die Militärs immer weitere Mittel einfordern werden. Das Pentagon hofft, 2014 oder 2015 einen Prototyp vorstellen zu können, wobei man selbst unter günstigsten Umständen das gesamte System mit Raketen, Gefechtsköpfen, Sensoren und Kontrollsystemen erst zwischen 2017 und 2020 einsatzbereit haben würde.

Um Atommächte wie Rußland und China einzubinden, will man ihnen angeblich Gelegenheit geben, die PGS-Silos regelmäßig zu inspizieren, um sich vom konventionellen Charakter der Gefechtsköpfe zu überzeugen. Auch sollen die neuen Systeme in großer Entfernung von den strategischen Nuklearwaffen stationiert werden und in so geringer Zahl produziert werden, daß man weder in Moskau, noch in Peking befürchten muß, die atomare Abschreckung könne unterlaufen werden.

Nachdem die Kriegspolitik der Vereinigten Staaten unter George W. Bush an ihre ideologischen Grenzen gestoßen war, da ihr konfrontativer und fordernder Impetus es den Verbündeten zunehmend schwer machte, ihren Bürgern die Eskalation des Waffengangs schmackhaft zu machen, sorgt Friedensrhetoriker Barack Obama nun für die erforderlichen Nebelkerzen. Er gaukelt atomare Abrüstung vor, während die Drangsalierung der Afghanen an Intensität zunimmt, Teheran massiv bedroht wird, offenbar weiter an Weltraumwaffen geforscht und nun auch die konventionelle Superbombe erneut ins Gespräch gebracht wird.

Anmerkungen:

[1] U.S. Faces Choice on New Weapons for Fast Strikes (22.04.10)
New York Times

24. April 2010