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MILITÄR/808: Drohneneinsatz revolutioniert die US-Kriegsführung (SB)


Drohneneinsatz revolutioniert die US-Kriegsführung

Robotertechnologie soll den Krieg "humaner" machen ...


Unter US-Präsident Barack Obama schreitet die von George W. Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld initiierte "Revolution in Military Affairs" (RMD), das heißt die Ausstattung der US-Streitkräfte mit allen möglichen neuartigen, digitalen High-Tech-Waffen, die dem Pentagon "full spectrum dominance" zu Wasser, auf dem Boden, in der Luft, im All sowie im Internet sichern sollen, mit riesigen Schritten voran. Jüngste Beispiele dieses Unternehmens, zu dem das milliardenverschlingende, bislang funktionsuntaugliche Raketenabwehrsystem (Ballistic Missile Defense - BMD) gehört, stellen das geheime neue Raumfahrzeug X37B der US-Luftwaffe, das am 22. April von Cape Canaveral in Florida mit Hilfe einer Atlas-V-Rakete zu seinem Jungfernflug ins All startete, und das Project Conventional Prompt Global Strike (CPGS) dar, mittels dessen das US-Militär nach Erhalt eines entsprechenden Befehls aus dem Weißen Haus innerhalb einer Stunde jedes Ziel auf der Erde durch eine mit einem nicht-atomaren, konventionellen Sprengkopf bestückte Interkontinentalrakete zerstören können will. Der erste Test des ebenfalls geheimen Projekts CPGS erfolgte ebenfalls am 22. April mit der Beförderung des von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) entwickelten Überschallgleiters Falcon Hypersonic Technology Vehicle 2 (HTV-2) vom US-Fliegerhorst Vandenberg mit einer Minotaur-IV-Rakete ins All.

Über den Test des unbemannten X37B, das bis zu 270 Tage lang die Erde umkreisen kann, sind China und Rußland nicht glücklich. Sie werfen den USA vor, den Weltraum militarisieren zu wollen, und wähnen die eigenen Satellitensysteme in Gefahr. Rüstungsgegner auf der ganzen Welt stehen dem Prompt-Global-Strike-Projekt skeptisch gegenüber, weil jeder Start einer konventionellen Interkontinentalrakete der USA in sich das Risiko trägt, daß eine andere Atommacht ihn als unmittelbar bevorstehenden Kernwaffenangriff mißdeuten und ihrerseits zu entsprechenden Gegenmaßnahmen einschließlich des Atomschlags greifen könnte.

Während sich das X37B und das CPGS-Projekt noch beweisen müssen - kurz nach der Trennung von der Trägerrakete hat das Kontrollzentrum Vanderberg den Kontakt zum HTV-2, das irgendwo in den Pazifik gestürzt ist, verloren - , setzen unter Obama die Drohnenflugzeuge des Pentagons und der CIA die von Rumsfeld erwünschte "Transformation" am Schlachtfeld bereits teilweise um. Im Rahmen der Eskalationsstrategie von Obama und US-General Stanley McChrystal hat es 2009 mehr Drohnenangriffe auf die Taliban in den Stammesgebieten Pakistans gegeben, als während der achtjährigen Regierungszeit von Bush jun. Seit Beginn des Jahres haben sich die Angriffe der Predator- und Reaper-Drohnen, die Hellfire-Raketen und 250-Kilo-Bomben abwerfen, intensiviert. Laut einem Bericht der Online-Ausgabe der chinesischen Peoples' Daily vom 25. April hatte es in den ersten 115 Tagen dieses Jahres 40 solcher Drohnenangriffe gegeben, die 268 Menschen getötet haben. 2009 waren es insgesamt lediglich 47 Angriffe.

Ein Grund für die Intensivierung soll der Selbstmordanschlag auf der Forward Operating Base (FOB) Chapman des US-Militärs in der afghanischen Provinz Khost am 30. Dezember sein. Bei dem Angriff, der verlustreichste des US-Auslandsgeheimdienstes seit dem Bombenanschlag auf die amerikanische Botschaft in Beirut im Jahre 1983, wurden fünf CIA-Agenten, zwei Söldner des Sicherheitsunternehmens Xe Services, früher Blackwater genannt, und ein Mitarbeiter des jordanischen Geheimdienstes General Intelligence Department (GID) getötet. Man vermutet, daß von FOB Chapman in Afghanistan wie auch von zwei geheimen Stützpunkten in Pakistan aus die schwerbewaffneten Drohnen starten, die von Piloten im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, und einer weiteren Geheimanlage am Rande von Las Vegas, Nevada, geflogen bzw. ferngesteuert werden.

Am 8. Januar erschien ein Bekenner-Video, in dem Hakimullah Mehsud im Beisein des Attentäters, des jordanischen Doppelagenten Hamman Khalil Al Balawi, für sich den Anschlag als Vergeltung für den tödlichen Drohenangriff auf seinen Vetter und Vorgänger als Chef der pakistanischen Taliban, Baitullah Mehsud, im vergangenen August reklamierte. Ihrerseits wollen die Amerikaner Hakimullah Mehsud am 14. Januar bei einem Drohenangriff auf ein Haus in Nordwasiristan, das zur pakistanischen Nordwestprontierprovinz (NWFP) gehört, liquidiert haben. Wiewohl die Tehreek-e Taliban Pakistan (TTP) das bestreiten, ist seitdem nichts mehr von dem 28jährigen Draufgänger öffentlich zu vernehmen gewesen.

Der Enthauptungsschlag gegen Hakimullah Mehsud ist vom CIA-Chef Leon Panetta als bester Beleg für den Erfolg des Droheneinsatzes verbucht worden, demonstriert jedoch gleichzeitig dessen Schattenseite, denn neben dem TTP-Chef sollen nach offiziellen pakistanischen Angaben bei dem Einschlag der beiden Hellfire-Raketen weitere 17 Menschen ums Leben gekommen sein. Wie viele von den Getöteten Mitstreiter Mehsuds waren und wie viele einfache Zivilisten, ist unklar. Wegen der zivilen Opfer stoßen die Drohnenangriffe bei der pakistanischen Bevölkerung auf große Ablehnung. Darüber hinaus läuft seit einiger Zeit eine heftige Debatte um die völkerechtliche Rechtmäßigkeit der Drohneneinsätze. Dabei stechen zwei Aspekte besonders hervor.

Einige Rechtsgelehrte, darunter der United Nations Special Rapporteur for Extrajudicial Killings, argumentieren, daß sich die USA mit Pakistan nicht im Krieg befinden und deshalb nicht nach eigenen Gutdünken einfach Bürger dieses oder irgendeines anderen Staates umbringen können. Wegen der Kontroverse zu diesem Thema hat Harold Koh, der ehemalige Dekan der juristischen Fakultät an der Ivy-League-Universität Yale, der heute der Obama-Regierung als oberster Rechtsberater des Außenministeriums angehört, bei einer vielbeachteten Grundsatzrede am 25. März vor der American Society of International Law, die Drohnenangriffe mit den Erfordernissen des von Bush jun. nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 ausgerufenen, "globalen Antiterrorkrieg" begründet. Al Kaida befinde sich mit den USA im bewaffneten Konflikt, also habe Amerika nach internationalem Gesetz das Recht, sich gegen eventuelle Angriffe der Terrortruppe Osama Bin Ladens mit allen Mitteln zu verteidigen, so Koh.

Andere Kritiker weisen auf die vielen zivilen Opfer hin und halten die Drohnenangriffe wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit für illegal nach dem humanitären Völkerrecht. Auf diesen zweiten Aspekt ist Koh in besagter Rede nicht eingegangen. Gleichwohl weiß man in Washington um den Vorwurf sehr wohl und unternimmt alles, um ihn zu entkräften. Während zum Beispiel unabhängige Forscher wie Prof. Mary Ellen O'Connell, die Jura an der renommierten katholischen Universität Notre Dame in Indiana lehrt, davon ausgehen, daß die Zahl der durch Drohenangriffe ums Leben gekommenen Zivilisten in Afghanistan, Pakistan, dem Sudan und Somalia um ein vielfaches höher als die der liquidierten "Terroristen" liegt, hieß es in einem am 5. April erschienenen Artikel des pentagonfreundlichen Wall Street Journal mit dem Titel "U.S. Defends Legality of Killing With Drones" unter Verweis auf nicht näher identifizierte US-Geheimdienstvertreter, die CIA habe seit dem Amtsantritt Obamas im Januar 2009 mittels ihrer heimtückischen, unbemannten Flugzeuge 400 bis 500 "mutmaßliche Militante" getötet und dabei das Leben von nur "rund 20 Zivilisten" beendet. Die große Differenz in den beiden Schätzungen geht auf eine unterschiedliche Definition zurück. Für das Pentagon sind vermutlich alle männlichen Opfer eines Drohnenangriffs "mutmaßliche Militante", selbst wenn es sich mitunter um Bauern handelt, die irgendwelchen Taliban-Kämpfern für die Nacht ein Dach über dem Kopf gewähren. Kritiker dagegen würden die Sache weit enger sehen.

Jedenfalls treibt die für das Ansehen der USA abträgliche Diskussion um den Drohneneinsatz und die nicht näher bestimmbare Höhe der zivilen Opfer Pentagon und CIA zu weiteren Anstrengungen an. Wie Joby Warrick und Peter Finn am 26. April in der Washington Post unter der Überschrift "Amid outrage over civilian deaths in Pakistan, CIA turns to smaller missiles" sowie unter Verweis auf eigene Quellen in Washington und Islamabad berichteten, setzt der US-Auslandsgeheimdienst "neue, kleinere Raketen und hochentwickelte Überwachungstechnologien ein, um bei seinen gezielten Tötungen mutmaßlicher Aufständischer in den pakistanischen Stammesgebieten zivile Opfer zu minimieren". Anstelle von Hellfire-Raketen und Reaper-Drohnen, die so groß wie ein F-16 sind, bestückt man den kleineren Predator angeblich zunehmend mit der neuartigen, nur 12 Kilogramm schwere und 50 Zentimeter langen Scorpion-Rakete. Das kleine Produkt von Lockheed Martin soll aufgrund seiner Sensoren so präsize zu steuern sein, daß man mit ihr eine einzige in einer Gruppe von Menschen befindliche Person töten kann - und das sogar nachts! In dem Artikel lobt anonym ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter die neuen, miniaturisierten Beobachtungsdrohnen der CIA. Nachts sollen diese nicht aufzuspüren sein. "Sie könnte vor Ihrem Fenster sein, und Sie würden nicht einmal ein Flüstern hören", so der Ex-Beamte.

Bereits am 14. April in einem auf der Website des libertären Cato Institute erschienenen Aufsatz mit dem Titel "Obama's Favourite Weapons" hatte der Bürgerrechtler Nat Hentoff, der häufig für die New Yorker Wochenzeitung Village Voice schreibt, in Reaktion auf die Koh- Rede von weiterführenden Gedanken aus dem militärisch-industriellen Komplex der USA zum Thema Drohnenangriffe und der dabei entstehenden Kolatteralschäden geschrieben. Unter Verweis auf einen Artikel des britischen Wirtschaftsmagazins Economist berichtete er von den Überlegungen von Leuten wie Dr. Ronald Arkin von der School of Interactive Computing am Georgia Institute of Technology, welche die Drohnen der Zukunft mit einer Software ausstatten wollen, die der Maschine angeblich ermöglichen soll, nach Auswertung sämtlicher Informationen vor Ort selbst die Entscheidung zu treffen, ob ein geplanter Angriff angemessen ist und durchgeführt wird. Das "Software- Gewissen", das Arkin und seine Kollegen entwickelt haben und das eine Vermeidung unnötiger Opfer mit sich bringen soll, nennt sich "Ethische Architektur", so Hentoff. Man braucht sich nicht einmal auszumalen, wohin eine solche vermeintlich humane Entwicklung führt, denn James Cameron hat uns das Szenario in seiner berühmten Terminator- Kinofilmreihe bereits gezeigt.

27. April 2010