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MILITÄR/887: NATO instrumentalisiert den Abschuß von Flug MH17 (SB)


NATO instrumentalisiert den Abschuß von Flug MH17

Einseitige Schuldzuweisungen machen Aufklärung des Vorfalls unmöglich



Nach dem Abschuß einer Passagiermaschine der staatlichen Malaysian Airlines am 17. Juli über dem Osten der Ukraine überbieten sich Politiker und Medienkommentatoren des Westens darin, Wladimir Putin für den schrecklichen Vorfall verantwortlich zu machen und die Verhängung schärferer Sanktionen gegen Rußland zu verlangen. Ohne die genauen Umstände des Vorfalls zu kennen, der 298 Menschen das Leben kostete, wirft man den pro-russischen Rebellen vor, einen "terroristischen" Massenmord begangen zu haben. Auf diese Weise sollen die Aufständischen kriminalisiert werden, während Rußland diplomatisch isoliert wird. Durch den schamlosen Mißbrauch einer der schwersten Katastrophen der Luftfahrtgeschichte für die eigenen geopolitischen Zwecke setzen die Meinungsmacher in den NATO-Staaten in Sachen Heuchelei neue Maßstäbe.

Als am 3. Juli 1988 der US-Lenkwaffenzerstörer die Airbus-Passagiermaschine Iran Air Flug 655 über dem Persischen Golf abschoß und dabei alle 290 Insassen tötete, tat der damalige Präsident Ronald Reagan das Geschehen als "verständliches Unglück" ab. Dessen Vize George Bush sen. erklärte sogar, er würde sich "niemals" für den Vorfall entschuldigen, und bekräftigte diesen Standpunkt, als er im Jahr darauf als Präsident persönlich den Kapitän der Vincennes, William Rogers, mit dem Orden Legion of Merit auszeichnete. Zwar haben die USA 1996 knapp 62 Millionen Dollar als Entschädigung an die Hinterbliebenen überwiesen, wollten diese Leistung aber nicht als Schuldbekenntnis verstanden wissen. Bis auf vielleicht einige Hitzköpfe im Iran ist in diesem Zusammenhang niemand auf die Idee gekommen, den USA "terroristisches" Handeln vorzuwerfen.

Kaum, daß der Absturz des MH17 gemeldet wurde, ging es auch schon mit den Schuldzuweisungen an die Adresse des Kremls los. Während Vizepräsident Joseph Biden als erste Person überhaupt zu wissen meinte, daß das Boeing-Flugzeug abgeschossen worden sei, lastete Ex-Außenministerin und Möchtegern-Präsidentin Hillary Clinton als erste Putin die Verantwortung für das Unglück an. Zum Auftakt des großen Propagandafeldzugs gegen Moskau leisteten die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power und der Republikaner John McCain, der als Vietnamkriegsveteran seit Jahren im Verteidigungsausschuß des Senats den Ton angibt, jeweils einen wichtigen Beitrag. Bei Auftritten in allen fünf sonntäglichen Gesprächsrunden im US-Fernsehen hat John Kerry am 20. Juli behauptet, die pro-russischen Rebellen hätten die malaysische Maschine abgeschossen und sich dabei auf angeblich vorliegende Erkenntnisse der amerikanischen Geheimdienste bezogen. Dem US-Außenminister zufolge hätten amerikanische Satellitenaufnahmen zum fraglichen Zeitpunkt das Abfeuern einer russischen Boden-Luft-Rakete vom Typ Buk aus dem Rebellengebiet festgehalten. Darüber hinaus hätten die Russen die Aufständischen vor Wochen mit dem hochmodernen Waffensystem ausgerüstet und daran ausgebildet.

Auch wenn Kerry vielleicht besser als jeder andere den stets mit Bedacht sprechenden und handelnden Staatsmann gut mimen kann, sind seine Angaben mit Vorsicht zu genießen. Als im vergangen August Berichte vom Giftgaseinsatz in Damaskus aufkamen, behauptete Amerikas Chefdiplomat felsenfest zu wissen, daß Baschar Al Assads Truppen 1427 Männer, Frauen und Kinder mit Sarin-Gas getötet hätten. Schon damals stellten Vertreter internationaler Ärzteorganisationen zwischen zwei- und dreihundert Opfer fest, wobei bis heute nicht klar ist, wer den Angriff auf das Viertel Al Ghouta durchführte. Nicht wenige Hinweise sprachen für eine Falsche-Flagge-Operation der salafistischen Rebellen und des saudischen Geheimdienstes, um die USA zu einem großangelegten Raketenangriff auf die staatlichen syrischen Streitkräfte zu veranlassen, womit Präsident Barack Obama aufgrund der unüberschaubaren Lage bekanntlich gezögert hat. Vermutlich hat Kerry immer noch keine Erklärung für die Diskrepanz zwischen seinen Angaben und den Feststellungen der Ärzte vor Ort präsentiert, weil er die vierstellige Zahl einfach aus der Luft gegriffen hatte.

Bislang kann niemand mit Sicherheit sagen, was genau den Absturz von Flug MH17 verursachte. Es könnten vielleicht die Rebellen, aber auch die ukrainischen Streitkräfte gewesen sein. Rußland behauptet, seine Armee hätte unmittelbar vor dem Unglück den Betrieb eines in ukrainischer Hand befindlichen Radars einer Buk-Raketenbatterie in der Nähe des Rebellengebietes ausgemacht. Am 19. Juli meldete der meistens gut informierte, ehemalige AP- und Newsweek-Reporter Robert Parry auf der Website Consortiumnews unter Hinweis auf eine eigene Quelle im US-Regierungsapparat, der CIA lägen Satellitenbilder von der Batterie vor, welche die Buk-Raketen abfeuerte; die Verantwortlichen trügen ukrainische Uniformen und seien möglicherweise im betrunkenen Zustand gewesen, was man aus der Anzahl der am Boden herumliegenden Flaschen herleitete.

Zweifel über die Echtheit eines von der ukrainischen Regierung auf YouTube veröffentlichten, inkriminierenden Tonbandmitschnitts eines Gesprächs zwischen einem Rebellenkommandeur und einem russischen Militär sind laut geworden, weil das Datum der Erschaffung der Datei offenbar einen Tag vor dem eigentlichen Vorfall lag. Außerdem ist bekannt, daß die USA nach dem Abschuß des Korean Airlines Flugs 007 am 1. September 1983 vor der ostsibirischen Insel Sachalin die Tonaufnahme des Gespräches zwischen dem verantwortlichen sowjetischen Piloten und der Bodenkontrolle manipuliert hatte. Anhand derer behauptete Jeane Kirkpatrick, damals Botschafterin der Reagan-Administration im UN-Sicherheitsrat, gegen besseres Wissen, daß die Sowjets eine zivile Verkehrsmaschine mutwillig abgeschossen hätten. Dabei verschwieg sie, daß der Pilot das gegnerische Flugzeug - es war Nacht und es herrschte schlechte Sicht - tatsächlich für eine Spionagemaschine hielt. Es soll zudem der berühmte Auftritt Colin Powells nicht vergessen werden, als er am 5. Februar 2003 als damaliger US-Außenminister vor dem UN-Sicherheitsrat computergenerierte Bilder von mobilen Biowaffenlaboren im Irak präsentierte, die nicht existierten, und Mitschnitte von Gesprächen vorlegte, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen waren und den falschen Eindruck erwecken sollten, Saddam Husseins Anhänger würden heimlich Chemiewaffen verstecken.

Entgegen des derzeit herrschenden Eindrucks ist es nicht einmal bewiesen, daß MH17 mit einer Buk-Rakete - von wem auch immer - vom Himmel geholt wurde. Einige Waffenexperten stellen diese These aufgrund der Bilder von den Wrackteilen in Zweifel. Die Buk-Rakete prallt nicht mit dem feindlichen Flugzeug zusammen, sondern zündet ihren Sprengkopf in unmittelbarer Nähe. Die damit freigesetzten Metallsplitter reißen als hochkinetische Wolke das Zielobjekt regelrecht auseinander. Besagte Waffenexperten meinen, die Flugzeugwrackteile seien zu groß, die Maschine müsse von einer herkömmlichen Luft-Luft-Rakete getroffen worden sein. Vor dem Hintergrund derartiger Überlegungen sorgen die spektakulären Twitter-Meldungen, die ein spanischer Fluglotse namens Carlos am Flughafen Kiew-Boryspil am frühen Abend des 17. Juli gemacht hat, für Aufregung. Dem Spanier zufolge ist Flug MH17 von einem Kampfjet der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen worden. Fest steht, daß am fraglichen Tag die malaysische Maschine eine Route über die Ukraine nahm, die zweihundert Kilometer nördlicher als üblich lag und sie über das Kampfgebiet im Osten führte. Jene verhängnisvolle Entscheidung sollen die Flugbehörden in Kiew getroffen haben.

21. Juli 2014