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MILITÄR/905: Droht der Atomdeal mit dem Iran zu scheitern? (SB)


Droht der Atomdeal mit dem Iran zu scheitern?

US-Wahlkampf läßt keine Entspannung zwischen Washington und Teheran zu


Vor etwas mehr als einem Jahr, am 14. Juli 2015 nämlich, wurde in Wien der Atomdeal mit dem Iran, dessen offizieller Titel Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) lautet, nach langwierigen Verhandlungen von ranghohen Regierungsvertretern Teherans und der fünf UN-Vetomächte - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA - plus Deutschland, der sogenannten P5+1-Gruppe, endlich unterzeichnet. Doch die Hoffnungen auf eine nennenswerte Entspannung im Verhältnis zwischen den USA und dem Iran, die sich seit dem Sturz des Schahs und der Islamischen Revolution in Iran 1979 feindlich gegenüberstehen, haben sich nicht erfüllt. Die Hauptverantwortung für diese traurige Entwicklung liegt eindeutig bei den Kriegsfalken in den USA, die wegen eigener Hegemonialbestrebungen im Nahen Osten sowie aus Rücksicht auf die beiden Verbündeten Israel und Saudi-Arabien ihr Ziel eines Sturzes des "Mullah-Regimes" in Teheran partout nicht aufgeben wollen.

In einer Rede am 1. August hat Ajatollah Ali Khamenei, das geistliche Oberhaupt des Irans, das Verhalten Washingtons scharf kritisiert. Während Teheran seinen Teil der Abmachungen erfüllt habe - verstärkte Kontrollen seiner Nuklearbetriebe durch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA), Umrüstung des Schwerwasserreaktors bei Arak, damit dieser nur ganz geringe Mengen Plutonium produziert, weitgehende Beseitigung vorhandener Bestände an schwachangereichertem Uran, drastische Reduzierung der Urananreicherung im eigenen Land -, halten die USA, allen voran das Finanzministerium, trotz gegenteiliger Beteuerungen den Ausschluß des Irans aus dem internationalen Finanzsystem aufrecht. Hintergrund der Verärgerung von Khamenei war die Verabschiedung eines Gesetzes durch den Kongreß in Washington Anfang Juli, das Irans geplanten Kauf von 109 Passagiermaschinen im Wert von 20 Milliarden Dollar vom US-Flugzeugbauer Boeing verbietet. Daraufhin hatte Boeing-Chef Dennis Muilenburg von der Regierung Barack Obama gefordert, daß nicht statt dessen das europäische Konsortium Airbus das Riesengeschäft mit Teheran machen dürfe. Die Iraner brauchen dringend Ersatz für ihre zivile Flugzeugflotte, die quasi seit fast vierzig Jahren nicht mehr erneuert worden und inzwischen sehr unfallträchtig geworden ist.

Für die Richtigkeit der Kritik Khameneis an die Adresse Washingtons sprechen Äußerungen, welche Frankreichs Umweltministerin Ségolène Royal bei einem dreitägigen Besuch im Iran Ende August gemacht hat. Beim Besuch ging es um die Vereinbarung einer Reihe von französisch-iranischen Großprojekten unter anderem in den Bereichen erneuerbarer Energien und Wasserschutz. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Agence France Presse vom 28. August mit der Überschrift "French environment minister announces partnerships in Iran" wurde Royal zur fehlenden Kooperation westlicher Banken mit iranischen Finanzinstituten mit den Worten zitiert: "Das ist ein echtes Problem, das sowohl von iranischen Ministern als auch von französischen Geschäftsleuten thematisiert wird. Es ist völlig inakzeptabel, einerseits vom Iran Bemühungen bei der Energieumstellung zu fordern, während sich andererseits das [westliche - Anm. d. SB-Red.] Finanzsystem weigert, die Kooperation in Industriebereichen Energie, Klima und Umweltschutz zu fördern." Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialisten nannte die Signale, die vom Westen an die Führung in Teheran gingen, als "völlig widersprüchlich", versprach aber gleichzeitig, sich innerhalb der EU sowie gegenüber den USA für eine Lösung einzusetzen.

Auch wenn sich die Europäer an der fortgesetzten Verweigerungshaltung der Amerikaner gegenüber dem Iran stören und sich öffentlich darüber beschweren, ist keine schnelle Besserung in Sicht. Im Kampf um die US-Präsidentschaft schüren die beiden Kandidaten der Demokraten und Republikaner, Hillary Clinton und Donald Trump, die Iranophobie, um so ihre tiefe Verbundenheit mit Israel und Saudi-Arabien zu demonstrieren und sich die üppigen Spenden der zionistischen Lobby bzw. Riads zu sichern. Clinton hat wiederholt den Iran als "Hauptsponsor des internationalen Terrorismus" bezeichnet und mit militärischen Maßnahmen gedroht, sollte Teheran auch nur im Mikrobereich die Bedingungen des JCPOA nicht erfüllen. Trump wirft seinerseits Obama, Clinton und deren Nachfolger als Außenminister John Kerry immer wieder vor, sich im Atomdeal von den Iranern über den Tisch ziehen gelassen zu haben. Mit ihrer skeptischen Einschätzung der Vor- und Nachteile des Atomabkommens liegen Trump und Clinton nicht weit vom Standpunkt des israelischen Verteidigungsministers Avigdor Lieberman entfernt, der Anfang August den JCPOA mit dem Münchner-Abkommen verglich, mit dem 1938 Großbritannien und Frankreich Nazideutschland grünes Licht für die Einverleibung von Teilen der damaligen Tschechoslowakei gaben, und damit quasi die Obama-Administration der Beschwichtigung gegenüber Teheran bezichtigte.

In der außenpolitischen Debatte in den USA findet wegen des derzeitigen Wahlkampfes sowohl gegenüber Rußland als auch gegenüber dem Iran eine Art verbale Aufrüstung statt, die zurückzufahren Washington schwerfallen dürfte, unabhängig davon, wer Ende Januar tatsächlich ins Weiße Haus einzieht. Als sich Anfang August der ehemalige CIA-Chef Michael Morell unter anderem durch einen Gastbeitrag in der New York Times für Hillary Clinton als Präsidentin aussprach, schlug er bei einem darauffolgenden Auftritt beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender PBS allen Ernstes vor, daß Washington im Syrienkrieg für mehr Verluste auf seiten der Iraner und Russen sorgen solle, um sie für ihre Unterstützung des "Regimes" Baschar Al Assads zu bestrafen. Hillary Clinton will bekanntlich eine Flugverbotszone über den syrischen Luftraum verhängen - ein Vorhaben, dessen Verwirklichung unweigerlich zum Konflikt mit Rußland und dem Iran führen würde.

Die drohende Eskalation vorwegnehmend verstärkt dieser Tage Wladimir Putins Rußland die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit dem Iran merklich. Mitte August haben russische Kampfjets und Bombenflugzeuge erstmals vom iranischen Staatsterritorium aus Angriffe auf Stellungen der sunnitischen "Terrormiliz" Islamischer Staat in Syrien geflogen. Vor drei Tagen haben die Iraner erstmals Raketen des hochmodernen russischen Luftabwehrsystems S-300 rund um die unterirdische Urananreicherungsanlage Fordow stationiert. Heute hat die Atomenergiebehörde in Teheran bekanntgegeben, daß am 10. September mit dem Bau zwei neuer russischer Atomkraftwerke begonnen werde. Die beiden Meiler werden auf dem Gelände bei Buschehr am Persischen Golf errichtet, wo bereits seit 2011 das erste iranische, von Rußland installierte Kernkraftwerk in Betrieb ist.

1. September 2016


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