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MILITÄR/939: USA - Trojaner in eigener Sache ... (SB)


USA - Trojaner in eigener Sache ...


Nach mehr als siebzehn Jahren "Antiterrorkrieg" nimmt in den USA die Einsicht in die Notwendigkeit der unbedingten Einhaltung des Kriegsrechts rapide ab. Präsident Donald Trump, der als größter Freund der US-Streitkräfte aller Zeiten posiert, hat am 5. Mai den Armeeleutnant Michael Behenna begnadigt, der 2009 von einem Militärgericht wegen der Ermordung eines Kriegsgefangenen 2008 im Irak schuldig gesprochen und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Aus dem Weißen Haus kommen Signale, daß Trump zum diesjährigen Memorial Day, der in den USA zu Ehren der im Krieg für das Vaterland gefallenen Soldaten stets am letzten Montag im Mai gefeiert wird, noch weitere Begnadigungen verurteilter Soldaten plant.

Mit Blick auf die Präsidentenwahl im kommenden Jahr will Trump dank der umstrittenen und zugleich durchsichtigen Maßnahme bei den chauvinistischen Mitbürgern Punkte sammeln. Erfahrene Militärs dagegen schlagen Alarm. Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Marineinfanterie, General a. D. Charles Kulak, zum Beispiel hat moniert, daß der Mißbrauch des in der Verfassung verankerten Begnadigungsrechts des Präsidenten durch Trump "das moralische Ansehen der Vereinigten Staaten und die gute Ordnung und Disziplin, die für den Sieg auf dem Schlachtfeld erforderlich sind, verspielt". Armeegeneral a. D. Martin Dempsey, der unter Barack Obama vier Jahre lang Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs war, meinte, Trumps Begnadigung von Behenna sei ein "falsches Signal", daß die USA "das Kriegsvölkerrecht nicht ernst nehmen", sowie ein "schlechter Präzedenzfall" und ein "Verzicht auf die moralische Verantwortung", was die Gefahren und Risiken für die Soldaten im Auslandseinsatz erhöhe.

Ein weiterer Fall vor den Militärgerichten erregt in den USA die Gemüter - und zwar nicht nur, weil sich Trump öffentlich eingemischt hat. In San Diego sitzt Edward Gallagher, ein Kommandeur der U. S. Navy SEALs, wegen der Ermordung eines gefangengenommenen 15jährigen mutmaßlichen Mitglieds der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit einem Messerstich in den Hals 2017 im Irak auf der Anklagebank. Des weiteren wird Gallagher, der im Verlauf einer 19jährigen Karriere bei der Eliteeinheit der US-Marine insgesamt achtmal an der Kriegsfront im Ausland gedient hat, vorgeworfen, aus großer Entfernung mit seinem Scharfschützengewehr ein unbewaffnetes irakisches Mädchen, das am Flußufer mit seinen Freunden ging, erschossen sowie bei der Belagerung und Rückeroberung von Mossul mit einem Maschinengewehr in ein Wohnhaus voller Zivilisten gefeuert zu haben. Gallagher soll sich mit der Anzahl der Iraker, die er getötet hat, gebrüstet haben. Seine Untergebenen stießen anfangs auf große Widerstände, als sie versuchten, die Leitung der SEALs im Irak auf das verbrecherische Handeln Gallaghers aufmerksam zu machen und ihn loszuwerden. Zwischendurch sahen sie sich gezwungen, das Scharfschützengewehr des eigenen Vorgesetzten unmerklich zu beschädigen, damit die Schüsse ihr Ziel verfehlten.

Seit Gallaghers Verhaftung 2018 ist er in rechtsgerichteten Kreisen zum großen Helden geworden, der zu Unrecht von den eigenen Soldaten in den Dreck gezogen wird, weil er ihnen gegenüber vielleicht zu streng und hart gewesen ist. Mit dieser These sind Mitglieder von Gallaghers Familie in den vergangenen Monaten immer wieder beim hyperpatriotischen Nachrichtensender Fox News aufgetreten. Die hohe Aufmerksamkeit des Falls hat es der Familie ermöglicht, über anonyme Spenden eine halbe Million Dollar für die Anwaltskosten Gallaghers aufzutreiben. Im März hat Trump veranlaßt, daß Gallagher "wegen seiner Verdienste unserem Land gegenüber" - so die präsidiale Twitter-Meldung - für die restliche Prozeßdauer vom Militärgefängnis in ein Militärkrankenhaus transferiert wurde.

Ursprünglich war der Prozeßauftakt für den 23. Mai geplant. Doch der Termin mußte vor einigen Tagen wegen eines skandalösen Vorfalls auf den 31. Mai verschoben werden. Ursache der Verschiebung war das Bekanntwerden der Tatsache, daß der US-Marinegeheimdienst bei Emails der Staatsanwaltschaft an die Verteidigung Gallaghers einen Trojaner eingesetzt hat. Die Schadsoftware war in einem Siegel auf dem elektronischen Briefbogen versteckt. Über ihre genaue Funktion herrscht Unklarheit, doch sie scheint extrem leistungsfähig zu sein. Eingesetzt wurde sie angeblich, um die Herkunft von Lecks an die Presse über den Prozeß, speziell an den Journalisten Carl Prine, der für die Navy Times über den Gallagher-Prozeß berichtet, zu ermitteln. Doch inzwischen hat sie ganze Computernetzwerke, darunter dasjenige der Justizabteilung bei der US-Luftwaffe, infiziert.

In militärischen Justizkreisen der USA herrscht nun helle Aufregung. Der zuständige Richter Aaron Rugh, der sich in der Vergangenheit über die allzu kenntnisreiche Berichterstattung Prines beschwert hatte, bestreitet, eine Genehmigung für den Einsatz des Trojaners erteilt zu haben, weswegen der Chefankläger im Falle Gallagher, Christopher Czaplak, im Verdacht steht, in Absprache mit der Staatsanwaltschaft von San Diego und der US-Marine die höchst bedenkliche Maßnahme veranlaßt zu haben. Möglicherweise wird der Prozeß wegen des Vorfalls eingestellt werden müssen. Vielleicht war das auch der eigentliche Zweck der Übung, denn Gallagher, der sich völlig zu Unrecht an den Pranger gestellt sieht, hatte sich gegen eine Begnadigung durch Trump ausgesprochen. So oder so läßt das Ausspionieren von Anwälten und Journalisten bei einem Militärprozeß mit geheimdienstlichen Mitteln nichts Gutes für die rechtsstaatliche Ordnung der USA erwarten.

27. Mai 2019


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