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NAHOST/917: Propagandakrieg flankiert Massaker im Gazastreifen (SB)


Verteufelung der Hamas zentrales Element israelischer Kriegsführung


Der Angriff der israelischen Streitkräfte auf den Gazastreifen wird flankiert von einem Propagandakrieg, in dessen Zentrum die systematische Verteufelung der Hamas und mit ihr jeden organisierten Widerstands gegen Okkupation, Vertreibung und Vernichtung steht. Was die Hamas auszeichnet, ist ihre Fähigkeit und Bereitschaft, die Versorgung der drangsalierten palästinensischen Bevölkerung zu organisieren und damit Strukturen zu schaffen und zu gewährleisten, die unter dem Druck des israelischen Besatzungs- und Blockaderegimes andernfalls nicht existieren würden. Der Rückhalt der Hamas im Gazastreifen entspringt daher zuerst und vor allem diesem Einsatz für ein Sozialwesen auch unter schwierigsten Bedingungen, der sich deutlich von der Korruption und Bereitschaft zur Kollaboration anderer Fraktionen abhebt. Ziel der israelischen Offensive ist somit die Zerschlagung der Hamas sowohl wegen ihres Potentials, bewaffneten Widerstand zu leisten, als auch auf Grund ihrer sozialen Funktion, welche die Erpressung durch die Blockade schwächt oder gar zunichte macht.

Um die Palästinenser beherrschbar zu machen, bedarf es ihrer fortgesetzten Spaltung und Fragmentierung in verfeindete Fraktionen. Spricht man vom Gazastreifen als einem Freiluftgefängnis, so ist die Blockade und Überziehung mit Krieg ein von außen aufgezwungener Gewaltakt, wobei der aus israelischer Sicht nicht minder notwendige ergänzende Zugriff von innen jedoch nicht wie erhofft gelingen will. So sicher die Streitkräfte und Geheimdienste ihre Spione und Zuträger im Gazastreifen haben, so fest ist die Hamas bislang in der Bevölkerung verankert, die sich keineswegs durch bloße Erhöhung des Drucks spalten läßt. Die Hamas auszuschalten, liegt daher geradezu zwangsläufig in der Logik israelischer Herrschaftssicherung, da diese Organisation in einem Maße den Zusammenhalt der Menschen verkörpert, das selbst für eine haushohe militärische Übermacht stets ein unkontrollierbares Element bleibt.

Die unablässige Diffamierung der Hamas als "Terrororganisation" und reaktionäre islamistische Strömung ist angesichts des prinzipiellen Charakters dieser Propagandaoffensive weit über den Nahostkonflikt hinaus von Bedeutung für die Liquidierung des Widerstands gegen die Durchsetzung der neuen Weltordnung auch an anderen Kriegsschauplätzen. Daher verdankt sich die Unterstützung Israels durch die USA und die europäischen Mächte beim Angriff auf den Gazastreifen einem umfassenden strategischen Kalkül, das es erforderlich macht, die Desinformation auch in den Unterstützerländern massiv durchzutragen.

Natürlich wissen die Verbündeten Israels schon deshalb nur zu gut, welches Massaker im Gazastreifen verübt wird, weil sie dieselbe Kriegslogik bei ihren eigenen Feldzügen anwenden oder künftig anzuwenden gedenken. Die Position, einen offensichtlich asymmetrischen Konflikt zu einer Auseinandersetzung zweier mehr oder minder gleichgewichtiger Widersacher zu verfremden, verzerrt die tatsächlichen Kräfteverhältnisse bis zur Unkenntlichkeit, um die Forderung an beide Seiten vorzuhalten, sie müßten sofort die Kampfhandlungen einstellen. Dem nahezu strangulierten Opfer abzuverlangen, es möge seinen letzten verbliebenen Widerstand aufgeben, da andernfalls der Aggressor in einem Akt der "Selbstverteidigung" die Schlinge endgültig zuziehen müsse, entbehrt schon für sich genommen jeder Plausibilität und Humanität. Davon abgesehen hat die israelische Führung ohnehin keinen Zweifel daran gelassen, daß sie jedes Angebot eines Waffenstillstands gleich aus welcher Quelle ausschlagen und ihre Operation nicht vor Erreichen der Kriegsziele beenden wird.

Der Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 ging unter Bedingungen vonstatten, die alle Ansprüche an einen demokratischen Urnengang erfüllten. Darüber hinaus gilt die Hamas als Organisation, die nicht nur ihren Anhängern zuhört, sondern auch ein offenes Ohr für die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung hat. Sie wurde nicht auf Grund einer religiösen Agenda von der palästinensischen Wählerschaft mit der Regierungsbildung beauftragt, sondern weil sie mehr als jede andere Fraktion einschließlich der Fatah das Vertrauen der Menschen in den Autonomiegebieten besaß. Was folgte, war eine internationale Kampagne der Diskreditierung und Sanktionen, die das palästinensische Votum für null und nichtig erklärte und die Menschen abstrafte, weil sie nach Maßgabe Israels, der USA und der europäischen Mächte die falsche Wahl getroffen hatten.

Die israelische Besatzungsmacht hat die Hamas nicht geschaffen, doch ihrer Gründung und ihrem Aufstieg zunächst keine Steine in den Weg gelegt. Während alle anderen politischen Aktivitäten in den besetzten Gebieten unterdrückt wurden, ließ man der islamischen Bewegung zunächst freie Hand, da man mit ihrer Hilfe den Hauptfeind zu schwächen und den politisch motivierten und organisierten Widerstand zu zersetzen hoffte. Ins Fadenkreuz hatte man Yasser Arafat und die PLO genommen, während man in den Moscheen potentielle Bündnispartner verortete, die man zur Spaltung der Palästinenser zu instrumentalisieren gedachte.

Beim Ausbruch der ersten Intifada 1987 gab sich die islamische Bewegung jedoch den Namen Hamas (Islamische Widerstandsbewegung) und schloß sich dem Kampf gegen die Besatzer an. Selbst dann dauerte es noch über ein Jahr, bis der israelische Inlandsgeheimdienst gegen sie vorging, während Anhänger der Fatah massenhaft getötet oder ins Gefängnis geworfen wurden. Erst nach Verstreichen dieser ungewöhnlich langen Frist nahm man auch Sheikh Ahmed Yassin und andere hochrangige Repräsentanten der Hamas fest.

Seither haben sich die Verhältnisse insofern auf den Kopf gestellt, als Präsident Mahmoud Abbas und die domestizierte PLO fast schon als Verbündete Israels gelten, während sich aller Haß gegen die Hamas richtet. Dabei wurde Abbas derart in die Ecke gedrängt und erniedrigt, daß er inzwischen wie eine Marionette israelischer Interesse ohne nennenswerten Entscheidungsspielraum wirkt, während authentische Vertreter der Fatah wie Marwan Barghouti lebenslang hinter Gitter gebracht wurden.

Wenn heute alle Welt beklagt, es gebe keine glaubwürdige und einflußreiche säkulare Kraft auf seiten der Palästinenser mehr, ist dies nicht zuletzt eine Folge israelischer Besatzungspolitik, die dafür gesorgt hat, daß die islamische Bewegung zur einzig maßgeblichen Fraktion palästinensischen Widerstands aufgestiegen ist. Gäbe es die Hamas nicht, wären die Bewohner des Gazastreifens schutzlos der Willkür ihrer Zwingherrn ausgeliefert. Es handelt sich zuallererst nicht um einen religiösen oder kulturellen Konflikt und schon gar nicht um einen zwischen Demokratie und Autokratie, sondern den Widerstand gegen eine Okkupation, die den ursprünglichen Landraub und die Vertreibung der Palästinenser zu vollenden droht.

5. Januar 2009