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NAHOST/937: Irans Führung in der Legitimationskrise (SB)


Irans Führung in der Legitimationskrise

In Teheran wird auf der Straße und hinter den Kulissen gekämpft


Dreißig Jahre nach dem Sturz des Schahs befindet sich die Islamische Republik Iran in einer tiefen Legitimationskrise. Auslöser der Krise ist ein heftiger und brandgefährlicher Streit um den Ausgang der Präsidentenwahl am 12. Juni. Nach Angaben der Wahlkommission hat der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Wahl haushoch gewonnen. Ahmadinedschads Hauptkonkurrent, der ehemalige Premierminister Mir Hussein Mousavi, der sich am Wahltag als Sieger sah, und die beiden anderen Präsidentsschaftkandidaten, der ehemalige Parlamentenssprecher Mahdi Karroubi, und Mohsen Rezai, ein ehemaliger Kommandeur der Revolutionsgarden, bestreiten das offizielle Ergebnis und haben Manipulationsvorwürfe erhoben. Um diese Vorwürfe zu klären, hat am 15. Juni der mächtigste Mann im Staat, der Oberste Führer Ajatollah Ali Khamenei, den Wächterrat angerufen. Das 12köpfige Gremium hat nun zwei Wochen Zeit, um die Angelegenheit zu klären, und soll dabei unter anderem umstrittene Stimmzettel im Beisein der Vertreter aller Kandidaten neu auszählen lassen.

Die Entscheidung Khameneis, der nicht die vorgeschriebene Frist von drei Tagen abgewartet und statt dessen gleich nach offizieller Verkündung des Wahlsieges seines Protégés Ahmadinedschad von einem "göttlichen Urteil" gesprochen hatte, geht auf die Unruhe, die im Iran seit dem Wahltag herrscht, zurück. Das Mousavi-Lager, in dessen Reihen sich viele junge gutausgebildete Menschen aus den besseren Vierteln Teherans und berufstätige Frauen befinden, fühlt sich um den "Wandel", den es sich von einem Wahlsieg ihres Kandidaten erhofft hatte, betrogen und geht jeden Abend zu Hunderttausenden auf die Straße demonstrieren. Am 15. Juni kam es in Teheran zur größten Protestaktion seit der Gründung der Islamischen Republik, als rund eine halbe Million Menschen an einer illegalen Pro-Mousavi-Kundgebung teilnahm. Im Anschluß kam es zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften zu blutigen Auseinandersetzungen, bei denen sieben Menschen getötet und 29 verletzt wurden. Parallel dazu haben die Ahmadinedschad-Anhänger am 14. und erneut am heutigen 16. Juni ihrerseits mit großen Kundgebungen im Zentrum Teherans ihren Sieg gefeiert und die gegnerische Seite mit dem Schlachtruf "Wir sind eine Nation" aufgefordert, die Niederlage einzusehen und die Proteste aufzugeben.

In den westlichen Medien wird den Betrugsvorwürfen an die Adresse Ahmadinedschads und Khameneis - die als Anführer der Hardliner-Fraktion im Sicherheitsapparat gelten - breiter Raum gegeben. In der Berichterstattung einflußreicher Medien wie der New York Times oder des Nachrichtensenders CNN hatte man die Aussicht auf die Wahl Mousavis als eventuelle "Farbenrevolution" dargestellt und offenbar die Äußerungen lauter pro-westlich eingestellter junger Iraner, die Englisch sprechen können, mit der Stimme des Volkes verwechselt. Dies erklärt das Unverständnis, mit dem einige Kommentatoren auf den Sieg Ahmadinedschads reagieren und diesen nicht akzeptieren wollen. Der allgemeinen These im Westen vom Wahlbetrug stehen die Erkenntnisse der beiden US-Demoskopen Ken Ballen und Patrick Doherty gegenüber, die Mitte Mai Interviews mit mehr als 1000 Iranern geführt haben. Aus jener Meinungsumfrage ging Ahmadinedschad mit einem Vorsprung von zwei zu eins vor Mousavi hervor. Über ihre Studie und ihre Erklärung für den Sieg Ahmadinedschads berichteten Ballen und Doherty in einem aufschlußreichen Artikel, der am 15. Juni in der Washington Post unter der Überschrift "The Iranian People Speak" erschienen ist.

In der Studie kommen Ballen und Doherty zu einer erstaunlichen Feststellung, welche die Schwarz-Weiß-Darstellung der westlichen Medien hinsichtlich politischen Ringens zwischen Ahmadinedschads "Hardliner-Fraktion" und Mousavis "Reform"-Bewegung auf dem Kopf stellt, nämlich daß die Iraner, unabhängig davon, ob arm oder reich, ob vom Lande oder aus den Städten, mit großer Mehrheit Reformen wollen. Dazu gehören die Wahl des Obersten Führers durch das Volk statt durch irgendwelche islamischen Geistlichen, Pressefreiheit, weniger Verhaltensvorschriften wie zum Beispiel bei der Kleiderordnung für Frauen und vieles mehr. Vor diesem Hintergrund scheint Ahmadinedschad die Wahl gewonnen zu haben, weil er derjenige gewesen ist, der mit seiner harten Haltung das Land im Atomstreit mit den USA am besten führen könnte. Wie die Redaktion des in Beirut erscheinenden, englischsprachigen Daily Star am 16. Juni in einem Leitartikel das Ergebnis der iranischen Präsidentenwahl erklärt hat, haben die Iraner bewußt ihren "Nixon" gewählt.

Hinter den Kulissen findet derzeit in Teheran ein titanischer Machtkampf zwischen Khamenei, Ahmadinedschad und ihren Anhängern beim Sicherheitsapparat - speziell bei den Revolutionsgarden - auf der einen Seite und Mousavi und dessen Gönner, dem ehemaligen Präsidenten Akbar Hashemi Rafsanjani, der als reichster Mann des Landes gilt, statt. Es geht hier um Postengeschacher, Ressourcenverteilung, Öffnung des Irans für ausländisches Kapital und wie man diese handhabt. Auch wenn Ahmadinedschad in den letzten Jahren auf wirtschaftlichem Gebiet vieles nicht gelungen ist, seinen Ruf als Kämpfer für die Armen und gegen die Korruption hat er verteidigt. Die Hochstilisierung Mousavis zum Vertreter des "Wandels" mutet etwas gekünstelt an, wenn man bedenkt, daß dieser als Premierminister in den achtziger Jahren für den Aufbau der "terroristischen" Hisb-Allah-Miliz im Libanon mitverantwortlich war und die geheimen Verhandlungen mit den Amerikanern leitete, die nach ihrem Bekanntwerden zum Iran-Contra- Skandal führten. Bei den Verhandlungen ging es bekanntlich um den Austausch westlicher Geiseln gegen Waffen, mit denen der Iran im Krieg gegen den Irak Saddam Husseins bestehen konnte. Vor diesem Hintergrund kann man nur wünschen, daß die politische Elite in Teheran bald ein Arrangement finden, mit dem alle Fraktionen leben können, und daß es bald zu Verhandlungen mit der Regierung von US-Präsident Barack Obama kommt, die zu einer Beilegung des überflüssigen Atomstreits führen.

16. Juni 2009