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NAHOST/971: Israel schottet Grenze zu Ägypten mit elektronisch überwachtem Zaun ab (SB)


Physische Barrieren gegen "menschliche Sicherheitsrisiken"


Wenngleich der Staat Israel sein Territorium nie endgültig festgelegt hat, um sich die Option einer Expansion dauerhaft offenzuhalten, schottet er sich Zug um Zug auch mit physischen Barrieren gegen Menschen ab, die er als Sicherheitsrisiken einstuft. So wurde bereits die Grenze zum palästinensisch verwalteten Westjordanland mit Zäunen und Mauern befestigt. Zwar hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag diese Anlage schon im Jahr 2004 für illegal erklärt und ihren Abriß gefordert, doch fühlt sich die israelische Führung an Entscheidungen einer internationalen Justiz oder supranationaler Gremien nicht gebunden, die ihren Interessen widersprechen. Und da Israel dank seiner mächtigen Bündnispartner Sanktionen nicht befürchten muß, bleibt die Nichterfüllung der Den Haager Forderungen folgenlos.

Auch die unterirdische Grenzanlage aus Stahl, die Ägypten derzeit mit finanzieller und technischer Hilfe der Vereinigten Staaten an der Südgrenze des Gazastreifens errichtet, ist in erster Linie dem israelischen Interesse nach einer lückenlosen Abriegelung Gazas geschuldet. Tief in den Untergrund versenkte und verschweißte Spundwände sollen den Bau von Tunneln unterbinden und damit die Bewohner des von der Blockade heimgesuchten Küstenstreifens von den verbliebenen Versorgungsmöglichkeiten abschneiden. Hinzu kommen immer wiederkehrende Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Tunnelbauten, bei denen schon zahlreiche Palästinenser getötet wurden.

Nun hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Errichtung eines elektronisch überwachten Zauns an der Grenze zu Ägypten angekündigt, der "Eindringlinge und Terroristen" daran hindern soll, auf diesem Weg ins Land zu kommen. Netanjahu sprach von einer "strategischen Entscheidung" mit dem Ziel, den "jüdischen und demokratischen Charakter des Staates Israel" zu bewahren. Wenngleich er behauptete, daß sein Land weiterhin für Flüchtlinge aus Konfliktgebieten offenstehe, unterstrich er zugleich, daß man "nicht Zehntausende illegaler Arbeiter ins Land lassen" könne, die es "überschwemmen". [1]

Den dargelegten Plänen zufolge soll die Barriere zunächst in zwei Teilen gebaut werden, wobei die Arbeiten in der ersten Phase bei Eilat am Roten Meer sowie nahe der israelischen Grenze zum Gazastreifen aufgenommen werden. Zwar will man den Zaun nicht auf der ganzen Strecke errichten, doch sollen entlang der gesamten Grenze Überwachungsgeräte installiert werden. Das mit Bewegungsmeldern und weiteren Überwachungsanlagen bestückte Sperrwerk wird voraussichtlich in zwei Jahren fertiggestellt sein und rund 1,5 Milliarden Dollar verschlingen. [2]

Wie die Tageszeitung "Ha'aretz" berichtet, habe die ägyptische Grenzpolizei seit Mai mindestens 17 Migranten beim Versuch getötet, die rund 266 Kilometer lange Grenze zu überqueren. Um den Übertritt zu erschweren und zu verhindern, verschärft auch Ägypten die Überwachungsmaßnahmen. Schätzungen der israelischen Polizei zufolge, passieren jede Woche 100 bis 200 Flüchtlinge und Arbeitssuchende, aber auch "kriminelle Elemente" die israelisch-ägyptische Grenze, wie die Tageszeitung "Jediot Aharonot" schreibt. [3]

Der Beschluß der israelischen Regierung wird im Süden des Landes von offizieller Seite begrüßt. So sprach der Vorsitzende des Rates für die Region Ramat Negev, Schmulik Rifman, von einer "mutigen und lebensrettenden Entscheidung, die den Einwohnern im Süden Sicherheit bringen wird." Zustimmend äußerte sich auch Eilats Bürgermeister Meir Jitzhak Helevy, der eigenen Angaben zufolge seit seinem Amtsantritt den Verteidigungsminister dazu gedrängt hat, eine Barriere entlang der westlichen Grenze mit Schwerpunkt auf dem südlichen Bereich zu errichten. Nach dem Anschlag im Januar 2007 sei er sich sicher gewesen, daß der Zaun endlich gebaut werde. Seither habe es jedoch keinen Fortschritt in der Angelegenheit gegeben. "Wir haben den Druck wegen der unerträglichen Infiltration afrikanischer Bürger nach Israel verstärkt, und ich bin froh, daß der Zaun wieder auf der Agenda des Premierministers steht", erklärte der Bürgermeister.

Wenngleich sich Bürgermeister Helevy um eine politisch korrekte Wortwahl bemüht zeigt, wenn er von "afrikanischen Bürgern" spricht, zeugt die im selben Atemzug gewählte Diskreditierung "unerträgliche Infiltration" von einer Sichtweise, die sich nicht von der Netanjahus unterscheidet, wenn dieser von "Eindringlingen und Terroristen" spricht, die es fernzuhalten gelte. Hier werden die Gründe der Migration wie bewaffnete Konflikte oder unerträgliche Lebensverhältnisse ausgeblendet, bis nur noch "Terroristen", "Eindringlinge", "Illegale" oder "kriminelle Elemente" ins Visier ägyptischer Grenzposten und israelischer Überwachungskameras geraten.

Administrative Zwangsmaßnahmen gegen Migranten stehen in den letzten Jahren auch in Israel auf der Tagesordnung. So war im April 2008 die Vorgehensweise der Regierung, Asylsuchende an der äußersten nördlichen und südlichen Peripherie des Landes zu konzentrieren, Gegenstand einer gerichtlichen Anhörung. Dabei kam zur Sprache, daß die Kibbutzim im Süden so gut wie kein Interesse zeigten, Migranten zu beschäftigen. Obwohl sie dringend landwirtschaftliche Arbeitskräfte suchten, wollten sie keine Sudanesen beschäftigen, weil sie Asylsuchenden den gesetzlichen Mindestlohn zahlen müssen und die festgelegten Abzüge nicht überschreiten dürfen.

Im Herbst 2009 kämpften Menschenrechtsorganisationen gegen die Deportation von 1.200 Kindern ausländischer Arbeitskräfte. Innenminister Eli Yishai von der Shas-Partei gehörte zu den entschiedensten Befürwortern der zwangsweisen Abschiebung und rief Überfremdungsängste mit der Behauptung wach, diese Kinder im Land zu lassen, würde Hunderttausende weitere "illegale Migranten" anlocken, die alle erdenklichen Krankheiten wie Hepatitis, Masern, Tuberkulose und Aids wie auch Drogen einschleppten.

Zu diesem Zeitpunkt griff die israelische Regierung erneut die langgehegten Pläne auf, "illegale Migranten" künftig in Arbeitslagern im Süden des Landes unterzubringen. Die Flüchtlinge sollten Unterkunft, Lebensmittel und medizinische Betreuung erhalten, wofür sie im Gegenzug für ihre manuelle Arbeit außerhalb des Camps ihren kompletten Lohn an den Staat abgeben müßten. Mit diesem Verfahren wolle man afrikanische Asylsuchende abschrecken, die über die ägyptische Grenze nach Israel fliehen, und vorgedrungene Migranten abfangen. Sie sollen so lange im Lager bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden ist, was Monate oder Jahre dauern kann.

Mit diesem Vorhaben, Flüchtlinge gewaltsam in Arbeitslagern zu kasernieren, stellte sich Israel in Widerspruch zu internationalem Recht und jedem internationalen Abkommen, welches das Land diesbezüglich je unterzeichnet hat. Wie alle führenden Nationalstaaten und deren übergreifenden Bündnisse erwirtschaftet auch Israel seinen Reichtum auf Grundlage fortschreitender Verelendung der restlichen Menschheit, was mit überlegener Waffengewalt und den darauf gestützten ökonomischen und administrativen Potentialen durchgesetzt wird. In diesem Zusammenhang gilt es nicht zuletzt, sich die Hungerleider mit repressiven Einrichtungen und Maßnahmen vom Leib zu halten.

Der Staat Israel wurde einst unter dem Anspruch gegründet, ein Land von Flüchtlingen für Flüchtlinge zu sein. Wenn Netanjahu vom "jüdischen und demokratischen Charakter des Staates Israel" spricht, den es zu bewahren gelte, transportiert und perfektioniert er die fatale Einschränkung des Flüchtlingsbegriffs auf Menschen jüdischer Herkunft, die zugleich alle anderen ebenso ausschließt wie die nichtjüdischen Staatsbürger des Landes. Daß Israel zumindest in seinen Anfängen ein Hort für Flüchtlinge gewesen sei, muß man unter die Gründungsmythen subsumieren, welche die Vertreibung der Palästinenser systematisch ausblenden. Vermutlich hat Israel gemessen an seiner Bevölkerung mehr Menschen ihrer Heimat und Existenz beraubt, als irgendein anderer Staat im Zuge seiner Gründung und Durchsetzung, so daß es als ausgesprochener Produzent von Flüchtlingen in die Geschichte eingeht, von denen nicht wenige 60 Jahre nach der israelischen Staatsgründung noch immer in Lagern leben.

Anmerkungen:

[1] Israel zieht Zaun zu Ägypten (11.01.10)

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5105608,00.html

[2] Schutz vor illegalen Einwanderern: Grenze zu Ägypten soll gesichert werden (11.01.10)
http://www.israelnetz.com/themen/sicherheit/artikel- sicherheit/datum/2010/01/11/schutz-vor-illegalen-einwanderern-grenze- zu-aegypten-soll-gesichert-werden/

[3] Israel will Zaun an Grenze zu Ägypten bauen. Massnahme gegen illegale Migration und Menschenschmuggel (11.01.10)
http://www.nzz.ch/nachrichten/panorama/israel_will_zaun_an_grenze_zu_aegypten_bauen_1.4481860.html

11. Januar 2010