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NAHOST/990: Jordaniens König Abdullah warnt vor Regionalkrieg (SB)


Jordaniens König Abdullah warnt vor Regionalkrieg

Im Amman macht man sich Sorgen wegen zunehmender Spannungen


In einem bemerkenswerten Interview, das König Abdullah von Jordanien am 15. April der Redaktion des Chicago Tribune gab und aus dem die Jerusalem Post zwei Tage später zitierte, hat das Staatsoberhaupt eines der dem Westen am engsten verbündeten Staaten des Nahen Ostens eindringlich vor einem Regionalkrieg gewarnt, der bereits in diesem Sommer ausbrechen und Unheil in einem nicht absehbaren Ausmaß anrichten könnte. Die Warnungen Abdullahs sind nicht von der Hand zu weisen, denn weder die USA noch Israel, die beiden wichtigsten Militärmächte in der Region zwischen Mittelmeer und Persischem Golf, scheinen in der Lage oder gewillt zu sein, jene Zugeständnisse zu machen, die eine friedliche Beilegung ihrer Differenzen mit dem Iran respektive den Palästinensern ermöglichten.

Bereits 2002 haben die arabischen Staaten einen Friedensvorschlag gemacht, demzufolge sie und eine Reihe anderer muslimischer Staaten Israel anerkennen und zu ihm erstmals diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen aufnehmen würden, vorausgesetzt, die Israelis räumten ihrerseits die seit 1967 besetzten Gebiete und gestatteten die Gründung eines palästinensischen Staats mit der Hauptstadt in Ostjerusalem. Kurz darauf wurde die Arabische Friedensinitiative, so ihr offizieller Titel, von der 57 Mitgliedsstaaten zählenden Organisation der Islamischen Konferenz (OIG) übernommen. Bis heute hat es aus Tel Aviv keine Antwort auf die Friedensinitiative, die auch solche angeblich israelfeindlichen Staaten wie der Iran und Syrien mittragen, gegeben - weder von der Regierung Ariel Scharons, noch von dessem Nachfolger Ehud Olmert noch vom amtierenden Premierminister Benjamin Netanjahu. Laut Abdullah haben er und die anderen "moderaten" arabischen beziehungsweise muslimischen Staatsführer bisher gegen den Willen der Skeptiker in den eigenen Reihen den Friedensvorschlag, der eine erstmalige Einbindung Israels in die Nahost-Region und ein Ende der Spannungen zwischen ihm und seinen Nachbarn bedeutete, am Leben erhalten. Doch sollten die Israelis bis zum Sommer keine Gesprächsbereitschaft zeigen, wird der Vorschlag aller Voraussicht nach offiziell zurückgezogen werden, so der haschemitische König.

Abdullah äußerte sich "sehr frustriert" über das offensichtliche, durch den Ausbau jüdischer Siedlungen auf der Westbank demonstrierte Desinteresse Netanjahus an einer gerechten Einigung mit den Palästinensern und brachte seine Sorgen zum Ausdruck, daß, je länger der Stillstand im sogenannten Friedensprozeß andauere, desto größer die Gefahr werde, daß die ständig steigenden Spannungen in einer militärischen Auseinandersetzung ausarteten, die nicht wie die Gaza-Offensive zur Jahreswende 2008/2009 auf die Israelis und Palästinenser beschränkt bliebe. Abdullah zufolge stehen die Chancen "recht hoch", daß der von ihm befürchtete Krieg bereits in diesem Sommer ausbrechen wird.

Die Ängste Abdullahs sind mehr als begründet. In den letzten Tagen hat es zwischen Israelis, Syrern und Vertretern der libanesischen Hisb Allah unzweideutige Drohgebärden gegeben. Am 14. April warf Israels Präsident Shimon Peres Syrien vor, die Hisb-Allah-Miliz mit ballistischen Scud-Raketen beliefert zu haben. Gleich am darauffolgenden Tag wies das Außenministerium in Damaskus den Vorwurf als unbegründet zurück und bezichtigte die Israelis, Spannungen mit Syrien und der Hisb Allah zu schüren, um von den eigenen Problemen, nämlich dem aktuellen Streit zwischen der rechtsgerichteten Netanjahu-Regierung und der demokratischen Administration Barack Obamas in den USA um den richtigen Umgang mit den Palästinensern abzulenken und "die Atmosphäre für eine mögliche israelische Aggression" vorzubereiten. Am 16. April zitierte die in London auf Arabisch erscheinende Zeitung Asharq al-Awsat den Hisb-Allah-Generalsekretär Naim Qassem dahingehend, die Vorwürfe aus Tel Aviv dienten dazu, Israels eigenes umfangreiches Atomsprengkopfarsenal aus der aktuellen, von Obama angestoßenen Diskussion um eine nuklearwaffenfreie Welt herauszuhalten.

Tatsächlich hängen die Spannungen zwischen Israel auf der einen Seite und Syrien und der libanesischen Hisb Allah auf der anderen nicht zuletzt mit dem sogenannten Atomstreit zusammen. Die USA unterstellen dem Iran, im Rahmen seines zivilen Kernenergieprogramms heimlich an der Atombombe zu bauen, und verlangen von Teheran die Einstellung der Urananreicherung, mittels derer man spaltbares Material für Brennstäbe wie auch, unter erheblich größerem Aufwand, für Atomsprengköpfe gewinnen kann. Die Israelis, allen voran Netanjahu und sein umstrittener Außenminister Avigdor Lieberman, haben die bis heute nicht belegten, iranischen Bemühungen in Sachen Atombombe zu einer "existentiellen Bedrohung" ihres Staates erklärt und drohen militärisch selbst tätig zu werden, sollten die USA und die "internationale Gemeinschaft" das "Mullah-Regime" in Teheran nicht daran hindern, in den Besitz der Atombombe zu gelangen.

Experten bezweifeln, daß die Israelis - ohne den Einsatz eigener Atomwaffen, was ein verheerender Schritt wäre - in der Lage sind, alle über den ganzen Iran verteilten, zum Teil unterirdisch angelegten Atomanlagen zu vernichten. Deshalb wird stets mit einem Eingreifen der USA in den Konflikt gerechnet. Dies könnte passieren, nachdem die nächste Runde der von Washington angestrebten, vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu verhängenden Sanktionen gegen den Iran diesen nicht zum Einlenken gebracht hat. Dann könnte es zu einem Überraschungsangriff auf Ziele im Iran kommen, der entweder von den Amerikanern und den Israelis gemeinsam oder von einem der beiden alleine durchgeführt würde. Sollten die Israelis zuerst losschlagen, dann ist von einer Kriegsbeteiligung der USA in dem Moment auszugehen, in dem die Iraner als Vergeltungsmaßnahmen ihrerseits Raketen auf Israel abfeuern oder Maßnahmen gegen amerikanische Militärziele am Persischen Golf, im Irak und/oder in Afghanistan ergreifen. Des weiteren geht man davon aus, daß die Hisb-Allah-Miliz Israel mit Raketen beschießen wird, sobald der Iran angegriffen wird, worauf ihrerseits die Israelis mit umfangreichen Luftangriffen auf Ziele im Libanon und eventuell Syrien wegen dessen Militärallianz mit Teheran antworten werden.

Angesichts dieses Schreckenszenarios lieferte der Bericht der Londoner Sunday Times vom 18. April unter der Überschrift "Israel warns Syria over Hezbollah attacks" keinen Grund zur Beruhigung. Darin berichtete der Korrespondent Uzi Mahnaimi aus Tel Aviv, die Israelis hätten Anfang des Monats dem syrischen Präsidenten Baschar Al Assad einen geheimen Brief zukommen lassen, in dem des hieß, sie würden sein Land "in die Steinzeit zurückbombardieren", "sollte es die Hisb-Allah-Miliz wagen, auch nur eine einzige ballistische Rakete" auf ihr Territorium abzufeuern. Interessanterweise berichtete am selben Tag die New York Times ebenfalls von einem geheimen dreiseitigen Brief, den in diesem Fall im Januar Robert Gates an General a. D. James Jones, Obamas nationalen Sicherheitsberater, geschrieben und in dem der US-Verteidigungsminister sich darüber beklagt hatte, daß Washington keinen Plan für die Eventualität bereithielte, daß sich der Iran von Sanktionen nicht beirren lasse und sich alles aneigne, um eine Atombombe bauen zu können, den letzten Schritt aber nicht ausführe. Damit würde der Iran zum virtuellen Nuklearstaat, könnte jedoch weiter behaupten, er halte den Atomwaffensperrvertrag ein, so Gates.

Wie man weiß, sind die Hardliner in den USA und Israel nicht bereit, es soweit kommen zu lassen bzw. dem Iran die Ausschöpfung seiner vollen Rechte nach dem Nicht-Verbreitungsvertrag zuzugestehen. Entsprechend heftig reagierte der republikanische Senator John McCain, seit langem Wortführer von Amerikas Militaristen, auf den Bericht über Gates Brief, den die New York Times reißerisch als einen "Weckruf" an das Weiße Haus bezeichnet hatte. In der Politsendung "Fox News Sunday" behauptete der Vietnamkriegsheld und frühere Marineflieger, daß die Administration seines Bezwingers bei der letzten US-Präsidentenwahl, "keine Strategie" in der Iran-Frage habe und bisher viel zu nachgiebig mit Teheran umgehe. Wenn es nach McCain und Konsorten im Kongreß ginge, sollte sich dieses bald ändern. Im Repräsentantenhaus und Senat bereitet man derzeit ein Gesetz vor, das die Verhängung schwerer, unilateraler Wirtschaftssanktionen der USA gegen den Iran zur Folge hätte, die eventuell mittels einer Seeblockade zu erzwingen wären. Mit ähnlichen Mitteln haben die USA 1940 den "Überraschungsangriff" der Japaner auf Pearl Harbor und damit den von der außenpolitischen Elite in Washington und New York gegen den Willen des Volkes erwünschten Eintritt in den Zweiten Weltkrieg erzwungen.

19. April 2010