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NAHOST/1006: Ägyptens Muslimbruderschaft auf der Seite ElBaradeis (SB)


Ägyptens Muslimbruderschaft auf der Seite ElBaradeis

In Ägypten wächst die Opposition gegen das Mubarak-Regime zusammen


In Ägypten wächst der Widerstand gegen die Absicht von Präsident Hosni Mubarak, im kommenden Jahr seinen Sohn Gamal zum Nachfolger als Staatsoberhaupt zu machen. Am 3. Juni hat die Muslimbruderschaft, die größte oppositionelle Gruppierung des Landes, erklärt, daß sie die landesweite Unterschriftenaktion Mohamed ElBaradeis für eine Gesetzesänderung, welche die Aufstellung von Kandidaten für die Präsidentenwahl erleichtern soll, unterstützen wird. Dies bringt das Mubarak-Regime in Legitimationsschwierigkeiten.

In letzter Zeit nimmt in Ägypten der Widerstand gegen das dort herrschende politische System erheblich zu. Immer wieder kommt es zu Arbeitskämpfen sowie zu Protesten gegen Ägyptens Teilnahme an der Aufrechterhaltung der Abriegelung des Gaza-Streifens. Mit letzterer Maßnahme will Kairo den Israelis helfen, die in Gaza regierende Hamas-Bewegung zu stürzen, nimmt jedoch gleichzeitig billigend in Kauf, daß die rund 1,5 Millionen Bewohner des eingeschlossenen Landstrichs von der Wirtschaftsblockade schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Wie brisant das Thema in Ägypten ist, zeigt die Reaktion der Kairoer Regierung auf die gewalttätige Erstürmung der Free-Gaza-Flottille am 31. Mai im östlichen Mittelmeer durch israelische Marinestreitkräfte. Angesichts der großen Empörung nicht nur im eigenen Land, sondern auf der ganzen Welt - die USA und Israel natürlich ausgenommen - sah sich das Mubarak-Regime gezwungen, gleich am Tag darauf den Grenzübergang am südlichen Ende des Gazastreifens vorübergehend zu öffnen.

Die tatkräftige Unterstützung der Staatsführung der Türkei für die internationale Bewegung zur Beendigung der Gazablockade hat ein ganz schlechtes Licht auf den bisher völlig wirkungslosen Einsatz der arabischen Nachbarstaaten für die Palästinenser geworfen. In Ägypten, traditionell die Führungsmacht in der arabischen Welt, laufen die Menschen seit einiger Zeit Sturm gegen die Zusammenarbeit Kairos mit den Israelis und fordern, daß Kairo eine kritischere Haltung gegenüber Tel Aviv einnimmt. Diese Forderung wird gleichermaßen von ElBaradei, der vor kurzem nach langen Jahren als Chef der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien in sein Heimatland zurückgekehrt ist und dort die Nationale Koalition für Veränderung ins Leben gerufen hat, und der Muslimbruderschaft erhoben.

ElBaradei, der wegen seiner Standfestigkeit gegenüber der früheren US-Regierung von George W. Bush international großes Ansehen genießt, hätte Meinungsumfragen zufolge gute Chancen, bei einer Kandidatur die für 2011 geplante Präsidentenwahl in Ägypten zu gewinnen. Doch das geltende Wahlgesetz macht seine Bewerbung um das Amt fast unmöglich, weshalb er mit einer landesweiten Unterschriftenaktion eine Änderung erzwingen will. Dem Gesetz zufolge dürfen als offizielle Kandidaten für die Präsidentenwahl nur ägyptische Bürger antreten, deren Bewerbung zuvor von 230 lokalen Würdenträgern sowie Mitgliedern beider Häuser des Parlaments in Kairo eine schriftliche Unterstützung erfahren hat. Da sich das ägyptische Parlament fest im Griff von Mubaraks Nationaldemokratischer Partei (NDP) befindet, haben Oppositionelle kaum eine Chance, ihren Namen auf die Kandidatenliste zu setzen. Bei den Zwischenwahlen zum ägyptischen Oberhaus am 2. Juni hat die NDP 74 von 88 Sitzen gewonnen. Die Wahl wurde von Betrugsvorwürfen und zum Teil brutalen Einschüchterungsmaßnahmen gegenüber oppositionellen Kandidaten und Regimekritikern überschattet. Wenig überraschend lag die Wahlbeteiligung extrem niedrig.

Als feststand, daß die Muslimbruderschaft keinen einzigen ihrer Kandidaten in das 264sitzige Oberhaus gebracht hatte, obwohl einige von ihnen es eigentlich hätten schaffen müssen, wäre alles mit rechten Dingen zugegangen, gab diese ihre Entscheidung zur Unterstützung der Unterschriftenaktion ElBaradeis bekannt. Das politische Zweckbündnis zwischen Ägyptens berühmtestem Diplomaten und der größten Oppositionsgruppierung stellt für das Mubarak-Regime ein Dilemma dar. Sperrt es sich gegen die Kandidatur ElBaradeis, ist der demokratische Anstrich, den man der Machtübergabe des 81jährigen Hosni Mubarak an seinen 45jährigen Sohn verleihen wollte, dahin. Läßt man die Teilnahme ElBaradeis zu, ist es mit den dynastischen Träumen der Mubarak-Familie vermutlich vorbei. Derzeit sieht es nicht so aus, als würde sich das Regime von den Forderungen der Nationalen Koalition für Veränderung und der Muslimbruderschaft beeindrucken lassen. In dieser antidemokratischen Haltung wird Kairo von den USA, die Ägypten jedes Jahr Finanzhilfe in Milliardenhöhe zukommen lassen, unterstützt. Nicht umsonst hat im April die Regierung von Präsident Barack Obama die finanzielle Hilfe für die zivilgesellschaftlichen Gruppen in Ägypten, welche die Wahlen dort beobachten und Unregelmäßigkeiten gegebenenfalls publik machen sollen, um 50 Prozent reduziert.

5. Juni 2010