Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1019: US-Rüstungsbauer profitieren vom Atomstreit mit Iran (SB)


US-Rüstungsbauer profitieren vom Atomstreit mit Iran

Washingtons "Stabilität" am Persischen Golf drückt sich in Dollar aus


Niemand weiß, welche Entwicklung der sich aktuell verschärfende Streit um das iranische Atomprogramm, hinter dem die USA und ihre Verbündeten geheime Kernwaffenforschungen vermuten, in den kommenden Wochen und Monaten nehmen wird. Werden die Regierungen Barack Obamas und Mahmud Ahmadinedschads eine Lösung finden, welche beide Seiten das Gesicht wahren läßt, oder wird das ganze in eine militärische Konflagration ungeahnten Ausmaßes am Persischen Golf münden? Das ist die Frage, die dieser Tage die Basis für zahlreiche Spekulationen und Diskussionen in den Medien bildet. Ungeachtet des Ausgangs des Atomstreits läßt sich bereits jetzt ein Fazit ziehen, nämlich daß die Spannungen zwischen Teheran und Washington der US-Rüstungsindustrie volle Auftragsbücher bescheren.

Am 9. August berichtete das Wall Street Journal, das Pentagon habe mit der Regierung in Riad einen 30 Milliarden Dollar schweren Deal über den Verkauf von 84 Kampfjets vom Typ F-15 der Firma Boeing und 72 Kampfhubschraubern vom Typ UH-60 Black Hawk der Tochterfirma Sikorsky des Rüstungsgiganten United Technologies sowie über die Überholung der schon vorhandenen 70 F-15-Flugzeuge der saudischen Luftwaffe abgeschlossen. Saudi-Arabien gehört seit Jahren zu den wichtigsten Abnehmern von High-Tech-Rüstungsgütern Made in the USA. In einem am 12. August bei Antiwar.com und der in Abu Dhabi erscheinenden Tageszeitung The National veröffentlichten Artikel über den Waffendeal merkte der Nahost-Kenner Jonathan Cook an, von 2001 bis 2008 hätten die Saudis Waffen im Wert von 36 Milliarden Dollar eingekauft. Cook verwies auf Daten der CIA- und pentagonnahen Washingtoner Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS), wonach Saudi-Arabien mit 280 "kampftauglichen" Flugzeugen die drittgrößte Luftwaffe im Nahen Osten hinter Israel mit 424 und dem Iran mit 312 unterhält.

Mit weiteren brandneuen F-15 und Black Hawks sollen die saudischen Streitkräfte in den Stand gesetzt werden, sich im Falle eines Ausbruchs eines Kriegs wegen des bereits erwähnten Atomstreits gegen Angriffe des Irans angemessen zu verteidigen. Mit derselben Begründung plant die Obama-Regierung den Verkauf von 209 Patriot-Abfangraketen der neusten Generation für 900 Millionen Dollar an Kuwait. Dies meldete am 12. August die New York Times unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Reuters. Im benachbarten Irak, der sich unter Saddam Hussein mit dem Iran den längsten Krieg des 20. Jahrhunderts geliefert hat und dessen Streitkräfte von den US-Besatzern derzeit von grundauf erneuert werden, laufen seit einigen Jahren riesige Waffengeschäfte über die Bühne. Da dürfen die 140 amerikanischen Panzer vom Typ Abrams, von denen laut einem Bericht der New York Times vom 11. August derzeit die ersten an die irakische Armee ausgeliefert werden, nur einer von vielen Posten sein. Bagdad soll angeblich eine unbekannte Anzahl von F-16-Kampfjets von den USA kaufen wollen. Das Ausmaß, in dem die neuen irakischen Streitkräfte sich mit hochtechnisierten US-Waffensystemen eindecken bzw. eingedeckt werden, dürfte die Anwesenheit Tausender amerikanischer Ausbilder und Wartungsspezialisten auf Jahre hinaus im Zweistromland erforderlich machen. Auf diese Weise dürfte der für Ende 2011 geplante, komplette Abzug aller amerikanischen Streitkräfte aus dem Zweistromland zur Makulatur werden und in den kommenden Monaten eine Revidierung des 2008 von Präsident George W. Bush und Nuri Al Maliki beschlossenen State of Forces Agreement (SOFA) erforderlich machen.

Wie man weiß, haben die USA 2003 Saddam Hussein unter anderem deshalb gestürzt, weil dessen "Regime" angeblich eine Bedrohung für Israel darstellte. Stets sind die Israelis bestrebt, ihren waffentechnologischen Vorsprung gegenüber den Nachbarstaaten aufrechtzuerhalten. Deswegen spielen die Politiker Israels, dessen Streitkräfte selbst über mehr als 200 einsatzfähige Atomwaffen verfügen, die angeblich vom iranischen Kernenergieprogramm ausgehende "Bedrohung" hoch. Selbst im Vorfeld des Beschlusses des bereits erwähnten Rüstungsabkommens zwischen Riad und Washington hatten die Israelis Bedenken angemeldet, daß die gelieferten Waffen eventuell nicht nur gegen den Iran, sondern auch gegen sie selbst eingesetzt werden könnten. Nach Angaben der israelischen Tageszeitung Ha'aretz vom 9. August haben die Einwände Tel Avivs dazu geführt, daß die Saudis nicht das allermodernste F-15-Modell, sondern eines, das über keine Langstreckenwaffen verfügt und mit einem Zielerfassungssystem ausgestattet ist, das weniger leistungsstark als dasjenige ist, das in die Flugzeuge der US-Luftwaffe eingebaut wird, erhalten.

Um das Großgeschäft mit den Saudis an den Freunden Israels im Kongreß vorbeizubekommen, hat das Pentagon Tel Aviv den Verkauf des hypermodernen, von Lockheed Martin entwickelten und gebauten Joint Strike Fighter F-35, der wegen seiner Tarnkappeneigenschaften sowohl F-15 und F-16 deutlich überlegen sein soll, in Aussicht gestellt. Dies berichtete vor einigen Tagen die Ha'aretz. Doch da gibt es ein Problem. Ein einziger F-35 kostet 150 Millionen Dollar, und die USA wollen Israel am Anfang 20 Stück verkaufen und die Option zum Kauf weiterer 55 einräumen. In solchen Situationen bietet man an, einen Teil der Produktion im Empfängerland durchführen zu lassen, um für dieses die Kosten zu reduzieren. Folglich sollen im Falle einer Entscheidung Tel Avivs zum Kauf der ersten 20 F-35 israelische Rüstungsfirmen Zulieferverträge in Höhe von vier Milliarden Dollar erhalten.

Mit solchen Waffengeschäften verschaffen sich die Amerikaner nicht nur Märkte für die eigene Rüstungsindustrie, sondern gewinnen auch Einfluß bei der militärischen und politischen Führung des jeweiligen Abnehmerlandes. Geht die Rechnung nicht auf, reagiert man in Washington ziemlich sauer, wie das jüngste Affentheater um Waffenlieferungen für den Libanon zeigt. Seit Jahren haben sich die Libanesen über die Provokationen der israelischen Streitkräfte wie zum Beispiel die ständigen Verletzungen des libanesischen Luftraums durch Kampfjets der Luftwaffe des südlichen Nachbarlandes geärgert. 2006 kamen im sogenannten Libanonkrieg rund 1400 Libanesen, die allermeisten von ihnen Zivilisten, durch Bomben- und Raketenangriffe der israelischen Luftwaffe ums Leben. Seit am 3. August die libanesischen Streitkräfte die israelischen Kameraden mit Waffengewalt an einer Abholzaktion auf der nördlichen Seite der Grenze hinderten und es dabei zu einem Scharmützel kam, das drei Libanesen - zwei Soldaten und einem Journalisten - und einem israelischen Offizier das Leben kostete, schreien einige Politiker im US-Kongreß Zeter und Mordio.

Wegen der angeblichen schleichenden "Hisbollahisierung" der libanesischen Streitkräfte, wofür deren entschlossenes Auftreten den Israelis gegenüber vor zehn Tagen der Beleg sein soll, hat Howard Berman, demokratischer Abgeordneter aus Kalifornien und Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Repräsentantenhauses in Washington, die geplanten 100 Millionen Dollar Finanzhilfe der USA für Beirut sperren lassen. Mit diesem Geld sollten die libanesischen Streitkräfte aufgepäppelt werden, damit sie - aus Sicht der USA und Israels natürlich - die Hisb-Allah-Miliz in die Schranken weisen. Daß die verbesserte Bewaffnung und Ausbildung der libanesischen Soldaten dazu führen könnte, daß diese auf die Idee kommen, ihr Land vor Übergriffen der Israelis zu verteidigen, war nicht geplant.

Statt zu Kreuze zu kriechen, wie es viele ausländische Politiker tun, sobald sie Unmutsäußerungen aus Washington vernehmen, hat Libanons Verteidigungsminister Elias Murr sehr selbstbewußt auf die Kritik Bermans und der Israel-Lobby in Washington reagiert. Am 11. August erklärte er: "Wer zur Bedingung macht, daß die Hilfe nicht benutzt werden darf, das Land, das Volk und die Grenzen des Libanons vor dem Feind zu schützen, kann sein Geld behalten. Sollen sie ihr Geld behalten oder es Israel geben. Wir werden uns Israel mit unserem eigenen Potential stellen." Bei dieser Gelegenheit bestritt Murr, daß die Hisb Allah irgend etwas mit dem Vorfall zu tun gehabt hatte, und erklärte, der Soldat, der den tödlichen Schuß auf den israelischen Offizier abgegeben habe, habe auf direkten Befehl seines unmittelbaren Vorgesetzten gehandelt.

Die bizarrste Episode des ganzen internationalen Streits war die Reaktion Philip Crowleys, des Sprechers des US-Außenministeriums, vom 10. August auf das Angebot, das am Tag davor Irans Botschafter im Libanon, Ghazanfar Roknabadi, gegenüber dem libanesischen Armeechef Jean Khawaji gemacht hatte, nämlich daß Teheran die ausbleibende militärisch-finanzielle Hilfe aus den USA ersetzt. Davon riet Crowley ab, weil die Zuwendungen aus der Islamischen Republik "die Soveränität des Libanons kompromittieren" würden. Und die der Vereinigten Staaten etwa nicht?

13. August 2010