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NAHOST/1057: Intervention des Auslands in Libyen bereits im Gange (SB)


Intervention des Auslands in Libyen bereits im Gange

Debatte um Flugverbotszone täuscht Inaktivität des Westens vor


Beim Treffen am 10. März in Brüssel haben sich die NATO-Verteidigungsminister nicht auf die Verhängung einer Flugverbotszone über Libyen einigen können. So blieb die Forderung der Regierungen Frankreichs und Großbritanniens, des EU-Parlaments in Strasbourg, der neokonservativen Kriegstreiber im US-Kongreß um das Senatoren-Duo John McCain und Joseph Lieberman sowie weiter Teile der westlichen Presse einschließlich der New York Times, des inoffiziellen Sprachrohrs der "humanitären Interventionisten", unerfüllt. Statt dessen beschloß man, die Kriegsschiffe der nordatlantischen Allianz näher an der libyschen Küste zu postieren und AWACS-Aufklärungsflüge in der Region zu verstärken, um das "Situationsbewußtsein" der westlichen Militärs für die Lage in dem nordafrikanischen Land, wo sich derzeit die Anhänger und Gegner von Muammar Gaddhafi einen blutigen Bürgerkrieg liefern, zu erhöhen, so NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

Unterdessen laufen die diplomatischen Bemühungen um die "Isolierung" des Gaddhafi-"Regimes" auf Hochtouren. Letzte Woche hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Sanktionen gegen die Familie Gaddhafis verhängt. Am 10. März erkannte Frankreich als erstes land den von den Rebellen gegründeten Provisorischen Nationalrat als einzig legitime Regierung Libyens an, während am selben Tag im Washingtoner Außenministerium die Hausherrin Hillary Clinton erstmals offiziell Vertreter der libyschen Opposition empfing, sich ein Gesandter Spaniens zu Gesprächen mit den Aufständischen in deren Hochburg Benghazi im Osten Libyens traf und Rußland alle Rüstungsgeschäfte mit Tripolis auf Eis legte. Bereits am 28. Februar hatte das nördliche Nachbarland Italien den erst 2008 vereinbarten Nicht-Angriffspakt mit seiner ehemaligen Kolonie aufgekündigt.

Seit Wochen versuchen die diversen autoritären "Regime" der arabischen Welt mit Zuckerbrot in Form von finanziellen Zuwendungen oder Versprechen auf politische Reformen und Peitsche in Form von Polizei- und Militärgewalt das Aufbegehren der jungen Menschen in ihren Ländern in den Griff zu bekommen. In Ägypten und Tunesien mußten sogar die langjährigen Diktatoren Hosni Mubarak und Zine Al Abadine Ben Ali ihren Hut nehmen. Bei fast all diesen Kämpfen zwischen alteingesessener Oligarchie und unzufriedener Volksmasse, ob nun in Algerien, Bahrain, Ägypten, Irak, Jemen, Jordanien, Marokko, Oman oder Saudi-Arabien, haben die Sicherheitskräfte - mal mehr, mal weniger - unbewaffnete Zivilisten durch Schüsse getötet. Warum reagiert dann der Westen so heftig auf die Bemühungen der Behörden in Libyen, das Gewaltmonopol der Staats wiederherzustellen? Ist es, weil Gaddhafi Kampfflugzeuge eingesetzt hat?

Gerade dieser Vorwurf steht groß im Raum, ungeachtet der Tatsache, daß es keinen bislang stichhaltigen Beleg dafür gibt, daß die libysche Luftwaffe unbewaffnete Demonstranten angegriffen hat. Bisher hat es den Anschein, daß die Luftangriffe der libyschen Streitkräfte bewaffneten Aufständischen galten - wozu der Staat in diesem Fall das Recht hätte. In den letzten Jahren hat die CIA bei Angriffen auf mutmaßliche Taliban-Ziele im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan Hunderte von Zivilisten getötet, ohne daß das jemanden - außer den Pakistanern natürlich - sonderlich interessiert hätte. Die Aufregung im Westen über das, was man für sich im "Antiterrorkrieg" als bedauerliches Kollateralschaden rechtfertigt, sobald es in Libyen passiert, hat eine einfache Erklärung. Man zieht rhetorisch-moralisch gegen Gaddhafi zu Felde, weil man bereits am Boden militärisch-machiavellistisch aktiv den Sturz des alten und neuen Buhmanns betreibt.

Seit Jahren arbeiten die Briten mit den Kräften in Libyen gegen Gaddhafi, die sie an anderer Stelle dem Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Laden zurechnen würden, zusammen. Mit deren Hilfe hat der britische Auslandsgeheimdienst MI6 1996 in der Stadt Sirtre einen Bombenanschlag gegen Gaddhafi durchführen lassen, den der Revolutionsführer unverletzt überlebte, der jedoch mehrere Zivilisten tötete. Gerade am 4. März wurden rund 30 Kilometer westlich von Benghazi ein MI6-Agent zusammen mit sechs Mitgliedern des Special Air Service (SAS) und einem britischen Armeefunker, die schwerbewaffnet waren und sogar Sprengstoff mit sich geführt haben sollen, von mißtrauischen Aufständischen festgesetzt. Die Erklärung von Premierminister David Cameron und Außenminister William Hague für das peinliche Fiasko, das Geheimkommando sollte für London den Kontakt zur Rebellenführung herstellen, läßt an Überzeugungskraft missen.

Seit Wochen berichtet der US-Journalist Eric Margolis, der während der achtziger Jahre wichtige Erfahrungen als Kriegskorrespondent in Afghanistan und Pakistan gesammelt hat, daß Soldaten des SAS "in und um Benghazi Ölinstallationen sichern" und die Rebellen "unterstützen" und ihnen "bei Angriffen auf die pro-Gaddhafi-Kräfte helfen". Man kann davon ausgehen, daß unter den NATO-Verbündeten die Briten nicht die einzigen sind, die kleine Einheiten an Elitesoldaten geschickt haben, um dem Aufstand gegen Gaddhafi zum Erfolg zu verhelfen und die eigenen Claims abzustecken, was die Ausbeutung der massiven Öl- und Gasreserven Libyens nach der Installierung neuer "demokratischer" Herrscher in Tripolis betrifft.

Um den Vorwurf des Neokolonialismus zu vermeiden, arbeiten die Nordamerikaner und die europäischen Großmächte bislang im Verborgenen. Eine Militärintervention des Westens soll es angeblich nur dann geben, wenn die libyschen Rebellen, die Afrikanische Union und die Arabische Liga dies verlangen und die Operation vom UN-Sicherheitsrat mandatiert worden ist. Und weil es dauern könnte, bis diese Bedingungen erfüllt sind, hat nach Angaben des legendären britischen Nahost-Korrespondenten Robert Fisk die Regierung Barack Obama die Freunde Washingtons in Saudi-Arabien gebeten, die libyschen Rebellen mit Panzerfäusten, Mörsergranaten und Boden-Luft-Raketen aufzurüsten. Wie Fisk am 7. März in der britischen Tageszeitung Independent über das geheime Ersuchen der USA an Saudi-Arabien schrieb, würde dessen "Hilfe es Washington erlauben, jede Verwicklung in die Lieferkette zu bestreiten - wenngleich es amerikanische Waffen wären, für die die Saudis bezahlt hätten".

Am 9. März wartete die US-Nachrichtenagentur United Press International (UPI) mit einer interessanten Meldung auf, wonach das Militär Ägyptens den Rebellen im Nachbarland bereits unter die Arme greift. Ägypten verfügt mit rund 500.000 aktiven Soldaten und ebenso vielen Reservisten über eine der größten Armeen der Welt, die zudem seit über drei Jahrzehnten die modernsten Waffen Made in the USA erhält. Ein erfolgreiches Engagement in Libyen könnte sich für die ägyptischen Generäle, die zu Hause mit "demokratischen" Umwälzungen fertig werden müssen, zu einer lohnenden Sache werden. Ägypten könnte zudem seinen Ruf als Ordnungsmacht Nordafrikas und des Nahen Ostens festigen und seinen Einfluß im öl- und gasreichen Ostlibyen geltend machen. Folglich dürfte die von UPI wiedergebene Behauptung des privaten Nachrichtendiensts Strategic Forecasting (Stratfor) aus Texas, wonach 100 Mitglieder der ägyptischen Eliteeinheit 777 in Benghazi längst den Kampf der Aufständischen koordinieren und bei der Bildung des Nationalen Übergangsrats geholfen haben, nicht von der Hand zu weisen sein.

11. März 2011