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NAHOST/1062: Arbeiten die NATO und Al Kaida in Libyen zusammen? (SB)


Arbeiten die NATO und Al Kaida in Libyen zusammen?

Islamisten führen offenbar den Aufstand gegen Gaddhafi an


Seit Anfang der Proteste gegen die Regierung Muammar Gaddhafis in Libyen begründet der libysche Revolutionsführer das energische Vorgehen seiner Streitkräfte gegen seine Gegner mit dem Argument, hinter dem Aufstand gegen die Zentralregierung in Tripolis steckten islamistische "Terroristen", die Teile der Jugend unter anderem mit falschen Versprechungen zu Gewaltakten angestachelt hätten. Ungeachtet der Tatsache, daß bereits am 21. Februar Scheich Yusuf Qaradawi, ein führender sunnitischer Theologe der Moslembruderschaft in Ägypten bei einem Auftritt im arabischen Nachrichtensender Al Jazeera eine Fatwa gegen Gaddhafi verhängte und seine Tötung zur gerechten Sache erklärte, hat man im Westen die Beteuerungen des libyschen Machthabers als weiteren Beweis für dessen vermeintliche geistige Unzurechungsfähigkeit ausgelegt und die Regimegegner zu friedlichen Demokratiebefürwortern verklärt, die militärisch geschützt werden müssen, bevor der böse Tyrann von Tripolis sie alle abschlachte. Mit dieser Interpretation der Dinge haben die NATO-Staaten USA, Großbritannien und Frankreich am 17. März vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Mandatierung für eine Militärintervention zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung erhalten, die sie seit dem 19. März für Luftangriffe auf die regulären Streitkräfte des nordafrikanischen Landes und zur Unterstützung der Regierungsgegner benutzen. Dank ihres Eingriffs hat die NATO eine schnelle Niederschlagung der Erhebung durch Gaddhafis Truppen verhindert und somit den Weg für einen langen und noch blutigeren Bürgerkrieg freigemacht.

Was den Vorwurf, Gaddhafis Gegner in Libyen stammten aus dem Dunstkreis des Al-Kaida-"Netzwerkes", betrifft, so steht dieser spätestens seit 1998 im Raum. Damals hat David Shayler, ein ehemaliger Mitarbeiter des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, durch die Enthüllung, der Auslandschwesterdienst MI6 habe einen gescheiterten Bombenanschlag der islamischen Kampfgruppe (IFG), auch Al Muqatila genannt, im Februar 2006 in der Stadt Sirtre auf Gaddhafi mit mehreren Hunderttausend Pfund finanziert, für eine regelrechte Staatsaffäre gesorgt. Doch auch dieser Tage findet man bei vorsichtigem Lesen von Zeitungsberichten über die Vorgänge in Libyen hier und dort Hinweise, daß die Anhänger Osama Bin Ladens bei der Erhebung gegen die Gaddhafi-Regierung eine führende Rolle spielen.

So berichtete Anthony Shadid in einem am 7. März bei der New York Times erschienenen Artikel aus der Rebellenhochburg Darnah folgendes:

"... nur die Moslembruderschaft und militantere Strömungen, die Hunderte von Männern zählen sollen, weisen irgendeinen Organisationsgrad auf, da sich viele von ihnen im Gefängnis oder bei Kämpfen gegen die Regierung in den neunziger Jahren zusammengeschlossen haben. Einer dieser Männer heißt Abdul Hakim Al Hasidi, der fünf Jahre lang in Afghanistan [gegen die Truppen der Sowjetunion im Rahmen der Operation Zyklon der CIA - Anm. d. SB-Red.] gekämpft hat, landete für vier Jahre in den Gefängnissen von Oberst Gaddhafi und führt nun zusammen mit Hunderten von bewaffneten Männern die Verteidigung von Darnah und Umgebung an. Er hilft auch, die kommunale Rumpfverwaltung zu leiten und greift dabei auf sein beeindruckendes Talent für Logistik zurück, das von vielen in der Stadt anerkannt wird."

Shahid tut die Befürchtung, das ehemalige Mitglied jenes arabischen Söldnerkorps, der damals mit den Geldern Saudi-Arabiens und den Waffen der USA die Rote Armee aus Afghanistan vertrieb und später zu Al Kaida mutierte, und seine heutigen Kameraden könnten nach dem Sturz Gaddhafis nach der Macht in Tripolis greifen, mit dem Hinweis ab, Jasidi hätte ihm gegenüber "versprochen, seine Waffen niederzulegen, sobald der Sieg erkämpft worden ist, um seine Arbeit als Lehrer wiederaufzunehmen". So gutgläubig können nur die Vertreter der New York Times sein, wenn es den Interessen der USA dienlich ist.

Wie die Londoner Times am 22. März unter Verweis auf Paul Pillar, der von 2000 bis 2005 die Nahost-Abteilung bei der CIA leitete, berichtete, hat Gaddhafi nach dem Verzicht auf seine Massenvernichtungswaffen und der Versöhnung mit dem Westen 2003 im Rahmen der Zusammenarbeit im "globalen Antiterrorkrieg" den Geheimdiensten der USA und Großbritanniens umfangreiche Informationen über die Islamisten in seinem Lande zukommen lassen. Laut Pillar gehörten "sehr viele Libyer Al Kaida an" und hätten sich beim Kampf gegen die westlichen Truppen im Irak und Afghanistan hervorgetan. Pillar sprach von einer "hohen Wahrscheinlichkeit", daß nach einem Sturz Gaddhafis "Radikalislamisten über großen Einfluß" in Libyen verfügen würden.

Ähnliche Befürchtungen brachte Simon Tisdall in einem am 23. März beim Londoner Guardian erschienenen Kommentar zum Ausdruck. Was die Beweggründe der neuen Verbündeten der NATO betrifft, mit denen offenbar in den letzten Tagen die nordatlantische Allianz ihre Luftangriffe koordiniert, zitierte Tisdall Andy Stone, Kolumnisten der Website Nolan Chart, mit folgender interessanter Information:

"Die [libysche] Revolte wurde zwischen dem 15. und dem 17. Februar von einer Gruppe namens Nationale Konferenz der libyschen Opposition [eine Dachorganisation, die 2005 in London gegründet worden war] losgetreten. Die Proteste hatten eine eindeutig fundamentalistisch-religiöse Ausrichtung und sollten ein Andenken and die Proteste gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen im Jahre 2006 sein." (Damals hatten sich die Proteste in eine Anti-Gaddhafi-Demonstration verwandelt).

Wie man weiß, hat das Islamische Emirat Afghanistan die Militärintervention der NATO in Libyen als weitere unzulässige Intervention des Westens in ein muslimisches Land scharf verurteilt. Von den Taliban-Verbündeten der Al Kaida hat man bislang zu diesem Thema nichts gehört. Man darf gespannt sein, ob Bin Laden oder Aiman Al Zawahiri in ihrer nächsten öffentlichen Stellungnahme Position für Gaddhafi oder den "großen Satan" USA beziehen werden.

23. März 2011