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NAHOST/1082: Gates erwartet dauerhafte US-Militärpräsenz im Irak (SB)


Gates erwartet dauerhafte US-Militärpräsenz im Irak

Ex-CIA-Chef sieht die Pläne Washingtons für den Irak nicht in Gefahr


Ende Juli tritt Robert Gates als Verteidigungsminister der USA zurück. Anläßlich seiner, nach eigenem Bekunden "letzten großen Rede in Washington" gab sich am 24. Mai der ehemalige CIA-Chef zuversichtlich, daß es auch nach dem Ablauf der von Präsident George W. Bush und Premierminister Nuri Al Maliki im November 2008 vereinbarten Frist für den Abzug aller US-Streitkräfte aus dem Irak am 31. Dezember dieses Jahres weiterhin im Irak eine beträchtliche amerikanische Militärpräsenz geben wird. Daß die Verantwortlichen in Washington niemals die Absicht hatten, alle US-Soldaten aus dem Irak abzuziehen und einfach auf Zeit gespielt haben, war stets ein offenes Geheimnis. Nach der Wahl zum Präsidenten, ebenfalls im November 2008, hat der Demokrat Barack Obama, der sich im Wahlkampf als Kritiker des Irakkrieges verkauft hatte, nicht umsonst vom republikanischen Vorgänger Bush dessen Verteidigungsminister Gates übernommen. Mit jener Personalie, die ein Novum in der US-Politikgeschichte darstellte, ordnete sich Obama demonstrativ den langfristigen Zielen der außen- und sicherheitspolitischen Elite Washingtons für die Region Naher Osten unter. Nicht umsonst hatte der afroamerikanische Senator aus Illinois im Wahlkampf stets den Abzug der amerikanischen "Kampftruppen", niemals aber aller US-Militärs aus dem Irak versprochen.

Jenes Versprechen hat Obama im vergangenen Sommer, von großem medialen Tamtam begleitet, eingelöst. Doch im Irak blieben weiterhin rund 47.000 US-Soldaten und Zehntausende ausländischer Söldner, welche die Angehörigen der irakischen Armee trainieren, sie an ihrem neuen Kriegsgerät Made in the USA ausbilden, und sie häufig bei Operationen gegen sogenannte "Terroristen" begleiten bzw. ihnen Feuerschutz bieten. Wenn es nach dem Willen des Pentagons geht, sollen auch nach Ende diese Jahres zwischen 10.000 und 20.000 US-Militärs im Irak bleiben.

Wegen des angeblichen Bedarfs des Pentagons an "Planungssicherheit" hatte der US-Generalstabschef Admiral Michael Mullen bei einem Besuch in Bagdad am 22. April von der Maliki-Regierung zu erfahren verlangt, wie ab dem 1. Januar 2012 deren Wunsch nach militärischer Unterstützung aus den USA aussehe. Aus den Äußerungen Mullens war zu entnehmen, daß dieser nicht zu hören erwartete, die Mission der US-Streitkräfte im Irak sei erfüllt, sie könnten ruhig ihre Koffer packen und die Heimreise antreten. Als dann am 11. Mai Premierminister Maliki bekanntgab, er wolle bei den Vertretern der verschiedenen Fraktionen im Parlament sowie allen Provinzgouverneuren deren Meinung in dieser heiklen Frage einholen und würde sich nachher nach derjenigen der Mehrheit richten, gab es vielsagende rhetorische Warnschüsse Richtung der Befürworter eines amerikanerfreien Iraks und besonders des radikalen" schiitischen Predigers Muktada Al Sadr und seiner Anhänger.

Bezeichnend war die Gelegenheit, bei der Gates seine optimistische Einschätzung der Verwirklichung der amerikanischen Besatzungspläne für den Irak öffentlich machte, nämlich bei einem Auftritt am American Enterprise Institute (AEI), das als wichtigste Denkfabrik der Neokonservativen bekannt und mit Namen wie Paul Wolfowitz und Richard Perle untrennbar verbunden ist. Gates gab sich hoffnungsvoll, daß die Führung in Bagdad "einen Weg finden" werde, Washington um den Erhalt einer ordentlichen US-Truppenpräsenz im Irak "zu bitten". Er sagte, er gehe davon aus, "daß die USA ja sagen werden, wenn es soweit ist", wenngleich die Vorstellung, Washington würde nein sagen, jenseits von surreal wäre. Er räumte ein, daß die USA im Irak "nicht sehr populär" seien, erhob jedoch gleichzeitig ihren Anspruch, im Irak deshalb zu bleiben, weil sie dort "eine große Investition an Leben und Vermögen" getätigt hätten. Für Gates und Konsorten wiegt offenbar die Tatsache, daß die USA im Irak rund 4500 Soldaten verloren und sich den Sturz Saddam Husseins sowie die anschließende Besatzung des Lands mehr als eine Billion Dollar haben kosten lassen, schwerer als die Hunderttausenden Iraker, die infolge der ausländischen Invasion ums Leben kamen, und die Millionen ihrer Landsleute, die entweder zu Inlandsflüchtlingen wurden oder das Land gänzlich verlassen mußten.

Würden die USA weiterhin militärisch präsent im Irak bleiben, wäre das "ein wichtiges Signal, daß wir nicht aus der Region abziehen werden" und würde den Verbündeten Washingtons am Persischen Golf, nämlich den verschiedenen sunnitischen Monarchien "ein Gefühl der Sicherheit vermitteln", so Gates. Ganz nach der pro-israelischen Ausrichtung seiner AEI-Zuhörerschaft fügte der Veteran des Iran-Contra-Skandals, sarkastisch hinzu: "Es würde dem Iran kein Gefühl der Sicherheit vermitteln, und das ist gut so." Gates behauptete, die irakischen Streitkräfte wären nicht in der Lage die Sicherheit des Luftraums ihres Staates zu gewährleisten, während die USA mit den großen Fliegerhorsten Balad, Tallil und Al Asad dies mit nicht allzu viel Aufwand erledigen könnten.

Interessanterweise veröffentlichte am selben Tag der AEI-Vordenker Frederick Kagan eine Studie, in der die Mängel der irakischen Streitkräfte aufgezeichnet wurden und dadurch der langfristige Verbleib der Amerikaner zu einer geopolitischen Notwendigkeit erhoben wurde. Kagan gilt als Architekt jener "Eskalationsstrategie", mit der US-General David Petraeus 2007 für ein Abflauen der Gewalt im Irak gesorgt haben soll. Unter Obama sollte Petraeus die Lehren aus dem Irak in Afghanistan anwenden - nur daß dort die Truppenaufstockung einschließlich einer Ausweitung von Luftangriffen und Einsätzen der Spezialstreitkräfte die Taliban nicht in die Knie gezwungen, sondern erst recht gegen die Besatzungstruppen aufgebracht hat. Nach dem Ausscheiden von Gates wird der CIA-Chef Leon Panetta dessen Posten im Pentagon übernehmen. Dafür wird Petraeus Direktor des US- Auslandsgeheimdienstes. Das Personalkarussel läßt erkennen, daß ungeachtet des Wechsels an der Staatsspitze Washington gewisse Kontinuitäten in der Außen- und Sicherheitspolitik pflegt.

26. Mai 2011