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NAHOST/1113: Der "neue Nahost" nach NATO-Gnaden nimmt Form an (SB)


Der "neue Nahost" nach NATO-Gnaden nimmt Form an

Iran warnt vor Eskalation der Konfrontation mit Syrien


Nach der gelungenen Operation zum Sturz Muammar Gaddhafis in Libyen, an der die Geheimdienste und Luftwaffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens maßgeblich beteiligt waren, die dabei am Boden wertvolle Schützenhilfe von den Spezialstreitkräften Jordaniens, Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate sowie von islamistischen Freiwilligen erhalten haben, steht die Frage groß im Raum, im welchen Staat des Nahen Ostens der nächste "Regimewechsel" stattfinden wird. Als aussichtsreichster Kandidat gilt momentan Syrien, wo die sunnitisch-salafistischen Hasardeure, die unter anderem von Saudi-Arabien unterstützt werden, die Sicherheitskräfte mit Waffengewalt angreifen und diese dazu verleiten, rabiat und unverhältnismäßig auf die Teilnehmer oppositioneller Demonstrationen zu reagieren. Die Unruhen in Syrien werden ungeachtet oder vielleicht gerade wegen der undurchsichtigen Lage dort von den westlichen Medien einseitig zu Ungunsten von Baschar Al Assad ausgelegt. Demnach sei der politische Reformkurs des amtierenden syrischen Präsidenten nicht ernst gemeint.

Die USA in Person Präsident Barack Obamas und Außenministerin Hillary Clintons haben klar Position gegen Assad bezogen. Er hätte seine Legitimität verspielt und müsse von der Macht abtreten, behaupten sie. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, haben die USA und die EU gegen Syrien Wirtschaftssanktionen verhängt, welche die Führung in Damaskus in die Knie zwingen sollen. Vorerst sind keine militärischen Zwangsmaßnahmen geplant. Man kann aber davon ausgehen, daß in den NATO-Planungsstäben über verschiedene Szenarien nachgedacht wird. Schließlich grenzt dasjenige NATO-Land mit der in Mannschaftsstärke größten Armee nach den USA, die Türkei, an Syrien an. Ankara, wenngleich man dort nicht mit Kritik am Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte gespart hat, versucht aus Angst vor dem Ausbruch eines regelrechten Bürgerkriegs im Nachbarland bisher zwischen Opposition und Regierung zu vermitteln, um einen halbwegs geordneten Übergang vom Einparteien- zum Mehrparteiensystem zu erreichen.

Die Bedeutung Syriens liegt in seiner Funktion als Bindeglied in der anti-israelischen Front zwischen dem Iran und der schiitischen Hisb-Allah-Bewegung, die im Libanon der Regierung angehört und zugleich eine eigene, enorm starke Miliz unterhält. Fällt Bashar Al Assad, so bricht diese Front zusammen und der Iran ist in der Region endlich isoliert. Der Sturz der Mullahs in Teheran gilt als eines der wichtigsten strategischen Ziele der USA im Nahen Osten. Deswegen hat die Regierung George W. Bush 2002 die angebotene Hilfe des Irans beim Wiederaufbau Afghanistans abgelehnt und im Frühjahr 2003 die Anregung Teherans nach einer Aussöhnung und Beilegung aller bilateralen Streitpunkte abgewiesen. Deshalb kursierte unter den siegestrunkenen Neocons in Washington nach dem Sturz Saddam Husseins und der Einnahme Bagdads durch angloamerikanische Truppen im Frühsommer 2003 der Spruch, "echte Männer" wollten den Vormarsch bis Teheran fortsetzen, während im Sommer 2006 Bushs Außenministerin Condoleezza Rice angesichts des israelischen Libanonkrieges gegen die Hisb-Allah-Miliz von den "Geburtswehen eines neuen Nahen Osten" faselte.

Fünf Jahre später sehen die Amerikaner durch das Aufkommen des "arabischen Frühlings" endlich ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Sie setzen an, die öffentlichen Proteste in der Region gegen neoliberale Wirtschaftspolitik für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Nachdem die Menschen sich ihrer autokratischen Herrscher entledigt haben, will man ihnen die Zügel entpersonifizierter, von Großkonzernen gesteuerter Marktmechanismen, welche die erhoffte Demokratie zu einer Scheinveranstaltung verkommen lassen werden, anlegen. In diesem Zusammenhang ist Clintons Ernennung von William B. Taylors zum "Special Coordinator for Middle East Transitions" erwähnenswert. In der entsprechenden Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press vom 7. September hieß es, Taylor, der Wiederaufbauhilfe in Afghanistan geleistet und zuletzt Vice President for Conflict Management am U. S. Institute of Peace war, würde in seiner neuen Position das Hauptaugenmerk zunächst auf Ägypten, Tunesien und Libyen richten.

Die Transformationspläne Washingtons gehen aber weiter, wie die jüngsten Äußerungen des neuen US-Verteidigungsministers Leon Panetta erkennen lassen. Bei einem Interview für die Charlie Rose Show des Public Broadcasting Service (PBS), die am 6. September ausgestrahlt wurde, fragte Moderator Rose den ehemaligen CIA-Chef rundheraus, ob es möglich wäre, daß der "arabische Frühling" auch den Iran erfassen und zu Umwälzungen in dem dortigen politischen System führen könnte. Die Antwort Panettas: "Absolut". Unter Hinweis auf die gescheiterten Proteste gegen die Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads zum iranischen Präsidenten im Sommer 2009 erklärte der amtierende Pentagonchef, es sei "eine Frage der Zeit bis ... auch im Iran Wandel, Reform und Revolution stattfinden". Dabei gab Panetta, der vor wenigen Monaten als CIA-Direktor die erfolgreiche Geheimoperation zur Liquidierung Osama Bin Ladens leitete, offen zu, daß die USA die Regierungsgegner in der Islamischen Republik zum Sieg verhelfen wollen: "Wir sollten alles versuchen, um deren Bemühungen zu unterstützen, doch gleichzeitig müssen wir jede Situation analysieren, um sicherzustellen, daß wir nichts tun, was zu einen Gegenschlag führt oder jene Bemühungen unterminiert."

Ihrerseits senden die Iraner ebenfalls eindeutige Signale aus, und zwar daß sie nicht daran denken, sich der offenkundigen Rollback- Strategie der USA zu beugen. Dies geht aus Gesprächen hervor, die Ahmadinedschad am 25. August in Teheran mit dem Emir von Katar, Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani, führte, worüber die iranische Nachrichtenagentur Fars drei Tage später unter Berufung auf die libanesische Tageszeitung Al-Diyar berichtete. Demzufolge war das Staatsoberhaupt Katars in die iranische Hauptstadt gereist, um Ahmadinedschad "eine Botschaft zu übermitteln". Von wem die Botschaft stammte, wird nicht angegeben. Man kann aber annehmen, daß sie aus Washington kam, denn sie lautete, der Iran solle endlich seinen schwächelnden syrischen Verbündeten Bashar Al Assad fallen lassen. Laut Al-Diyar hat das Treffen mit dem iranischen Präsidenten für Al Thani oder dessen Auftraggeber nicht das erwünschte Ergebnis gebracht, denn Ahmadinedschad hätte ihm gegenüber erklärt, daß "jedwede westliche Aggression gegen Syrien jeden Moslem veranlassen würde, sich auf dessen Seite zu stellen", und sich der Iran dementsprechend verhalten werde. Dazu Fars: "... die iranischen Regierungsvertreter haben den katarischen Emir erklärt, daß die US-Politik in der Region zu einer 'Konfrontation' führen wird, und, daß eine solche Konfrontation für alle Seiten schreckliche Folgen mit sich brächte."

9. September 2011