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NAHOST/1119: UNESCO nimmt Palästina als Vollmitglied auf (SB)


Mutiger Schritt angesichts der Drohung Washingtons


Die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) hat Palästina heute als Vollmitglied aufgenommen. In der Generalkonferenz in Paris stimmten 107 Mitgliedstaaten dafür, 14 dagegen und 53 Staaten enthielten sich, womit die notwendige Zweidrittelmehrheit gewährleistet war. Damit die Mitgliedschaft wirksam wird, müssen die Palästinenser die UNESCO-Verfassung ratifizieren. Mit dieser Mehrheitsentscheidung, die gegen massiven Druck der USA getroffen wurde, hat sich die Generalkonferenz einer großen Gefahr gestellt. Die Vereinigten Staaten hatten gedroht, im Falle einer Aufnahme Palästinas ihre Beitragszahlungen einzustellen. Wie US-Außenministerin Hillary Clinton nun bekräftigte, sei es der US-Regierung auf Grund zweier Gesetze aus den 1990er Jahren verboten, Organisationen zu finanzieren, die die Palästinenser als Mitglied akzeptieren. [1]

Sollte Washington die Zahlungen wie angekündigt stornieren, bräche der UN-Organisation gut ein Fünftel ihrer finanziellen Basis weg. Die USA sind derzeit mit einem Anteil von 22 Prozent vor Japan und Deutschland größter Beitragszahler der UNESCO, zu deren Arbeit sie umgerechnet mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr beisteuern. Der aktuelle Zweijahreshaushalt der UN-Organisation mit ihren mehr als 2.000 Mitarbeitern in der französischen Hauptstadt beläuft sich ohne extrabudgetäre Mittel auf 653 Millionen US-Dollar. Da sich Israel nach Angaben seines Vertreters bei der Generalkonferenz, Nimrod Barkan, dem Schritt der USA anschließen will, könnte die UN-Kulturorganisation ein Viertel ihres Etats einbüßen. [2]

Mit dem Exekutivrat hatte sich bereits Anfang des Monats das zweitwichtigste Gremium der Organisation für eine Vollmitgliedschaft Palästinas ausgesprochen. Damals stimmten mit den USA, Deutschland, Lettland und Rumänien bei 14 Enthaltungen nur vier von insgesamt 58 Mitgliedern des Exekutivrats gegen den Antrag der Palästinenser. Die Gegner einer Mitgliedschaft Palästinas erklärten, daß das Aufnahmeverfahren dem Friedensprozeß im Nahen Osten nur schaden könne. Eine Vollmitgliedschaft Palästinas dürfe es ihrer Ansicht nach erst nach neuen Friedensverhandlungen mit Israel geben.

Vertreter der USA, Israels und mehrerer europäischer Staaten hatten in den vergangenen Tagen vergeblich versucht, die Abstimmung zu verhindern. Ungeachtet dieses Drängens hielten die Palästinenser stand und zogen ihren Antrag nicht zurück. Kurz vor der Abstimmung warb der palästinensische Außenminister Rijad al-Malki vor den Delegierten abermals für eine Vollmitgliedschaft Palästinas. Die US-amerikanische Staatssekretärin für Bildung, Martha Kanter, sprach sich erneut dagegen aus, da die Aufnahme Palästinas in die UNESCO ihres Erachtens "kontraproduktiv" und verfrüht wäre.

Für die europäischen Länder geriet die Abstimmung insofern zu einem Debakel, als sich die 27 EU-Staaten auch in dieser Frage nicht auf eine gemeinsame Linie in der Außenpolitik einigen konnten. Während unter anderem Frankreich, Belgien und Irland einer Aufnahme der Palästinenser zustimmten, sprachen sich Deutschland und die Niederlande dagegen aus. Ursprünglich hatte der gemeinsame Plan der Europäer ein geschlossenes Votum vorgesehen, das zumindest nach außen ein Bild von Einigkeit vermitteln sollte. In den Vorbesprechungen der Abstimmung ließen jedoch die Regierungen in Berlin und Den Haag diesen Pakt scheitern.

"Europa degradiert sich mit solchen Aktionen zu einem außenpolitischen Zwerg", rügte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn unmittelbar nach der Abstimmung das gespaltene Votum. "Wenn man sich in einer außenpolitisch derart wichtigen Frage unsolidarisch verhält, bedeutet das nicht nur für Europa einen Ansehensverlust - sondern vor allem für die Länder, die die gemeinsame Linie verlassen haben", übte er harsche Kritik an den Abweichlern. Vor demselben Dilemma stehen die Regierungen Europas bei der bevorstehenden Entscheidung über die Anerkennung Palästinas als Staat durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Stimmen die EU-Staaten auch dort gespalten ab, wüchsen die Zweifel an der Fähigkeit zu einer gemeinsamen Außenpolitik, wie sie der EU-Vertrag von Lissabon vorsieht.

Die Palästinenser sehen ihre Aufnahme in die UN-Kulturorganisation als ersten Schritt auf dem Weg zur Anerkennung eines eigenen Staates durch die Vereinten Nationen. Der Aufnahmeantrag Palästinas auf Vollmitgliedschaft bei der UNO wird derzeit vom UN-Sicherheitsrat geprüft. Dort werden den Palästinensern keine Chancen eingeräumt, weil die USA von ihrem Vetorecht Gebrauch machen wollen. Hingegen gibt es in der UNESCO keine Möglichkeit, Aufnahmen neuer Länder per Veto zu verhindern, sofern die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht wird.

Da die Vereinigten Staaten auf Grund ihrer strategischen Interessen im Nahen Osten Israel bedingungslos unterstützen, dessen einflußreiche Lobby in Washington überdies dafür sorgt, daß keine US-Regierung von diesem Kurs abweicht, ist eine Vollmitgliedschaft Palästinas erst dann möglich, wenn Israel und die USA es zulassen. Gegenwärtig ist nicht abzusehen, wann das der Fall sein sollte. Die Forderung an die Adresse der Palästinenser, sie könnten nur in direkten Friedensverhandlungen mit Israel ihr Schicksal wenden, hat sich seit Jahrzehnten als Sackgasse für sie erwiesen. Daß sich ausgerechnet unter der rechtsgerichteten Regierung Ministerpräsident Benjamin Netanjahus daran etwas ändern sollte, grenzte an ein Wunder.

Die Bundesregierung spielt in ihrer nicht minder kritiklosen Unterstützung israelischer Regierungspolitik einmal mehr die unrühmliche Rolle, im Zweifelsfall eher das Lager der Europäer zu spalten und die überwältigende Mehrheit der Vereinten Nationen zu ignorieren, als auch nur ein Jota von der israelisch-amerikanischen Doktrin abzurücken. Nicht, daß man sich eine starke Außenpolitik der EU wünschte, doch zeugt der Alleingang Berlins und Den Haags von einer nach wie vor ungebrochenen US-amerikanischen Suprematie, der gegenüber eine europäische Emanzipation nicht abzusehen ist.

Da die Palästinenser nicht mit einer Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen rechnen können, sie aber dennoch auf diesem Anliegen beharren, setzen sie behelfsweise auf einen Status vergleichbar dem des Vatikans, der ihnen Zugang zu bestimmten Gremien der UNO gewährt. Daß sich die engsten Bündnispartner Israels mit Macht dagegen stemmen, den Palästinensern diesbezüglich auch nur einen Fußbreit Boden freiwillig zu überlassen, hat seinen Grund. Völkerrechtler schließen nicht aus, daß Palästina auf diesem Weg in die Position gelangen könnte, Klage gegen die israelische Regierung vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu erheben.

Zwar verhindern die herrschenden Machtverhältnisse, daß die Palästinenser in der UNESCO oder gar vor dem Den Haager Gerichtshof einen nennenswerten Durchbruch erzielen könnten. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß die ideologische Mauer, hinter der sie weggeschlossen und ausgegrenzt werden, plötzlich Risse bekommt. Die Umwälzungen in den Ländern Nordafrikas und Vorderasiens haben zumindest angedeutet, daß repressive Regimes unversehens auf tönernen Füßen stehen, wenn ihnen erhebliche Teile der Bevölkerung die Gefolgschaft verweigern. Zuviel ist in Bewegung geraten, als daß die Hegemonialmächte zu allem Überfluß auch noch eine palästinensische Stimme dulden wollten, die Gehör findet.

Fußnoten:

[1] http://www.abendblatt.de/politik/article2077196/Trotz-US-Warnung-Palaestina-wird-Vollmitglied-in-Unesco.html

[2] http://www.welt.de/politik/ausland/article13689779/Palaestina-ist-neues-Vollmitglied-in-der-Unesco.html

31. Oktober 2011