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NAHOST/1187: Türkei löst Krise in den Beziehungen zu Rußland aus (SB)


Türkei löst Krise in den Beziehungen zu Rußland aus

Stellvertreterkrieg in Syrien birgt ungeheure Gefahren



Die von zwei F-16-Kampfjets der türkischen Luftwaffe erzwungene Landung einer syrischen Passagiermaschine in Ankara, die am Abend des 10. Oktober auf dem Weg von Moskau nach Damaskus war, hat die Beziehungen der Türkei zu Rußland in eine tiefe Krise gestürzt. Einst hatte die Regierung der konservativ-islamischen Fortschritts und Gerechtigkeitspartei (AKP) von Premierminister Recep Tayyip Erdogan und Außenminister Ahmed Davutoglu eine Außenpolitik propagiert, die auf streßfreie Beziehungen der Türkei zu allen Nachbarstaaten ausgerichtet war. Ob nun aus neoosmanischer Großmannssucht oder auf Druck des NATO-Verbündeten USA, in jedem Fall hat sich Ankara mit seiner eindeutigen Positionierung auf die Seite der syrischen Aufständischen und gegen das "Regime" Bashar Al Assads die Regierungen in Damaskus und des Irans zu Feinden gemacht und ist nun auf dem besten Weg auch die Beziehungen zu Rußland, einem der wichtigsten Handelspartner der Türkei, langfristig zu schädigen (Wegen der ständigen Artillerie- und Luftangriffe auf Ziele im kurdischen Nordirak sowie der Einmischung Ankaras in die irakische Innenpolitik machten sich Erdogan und Davutoglu bereits bei der Regierung von Premierminister Nuri Al Maliki in Bagdad unbeliebt).

Auf einer Pressekonferenz am 11. Oktober rechtfertigte Premierminister Erdogan die erzwungene Landung des A320-Airbus der staatlichen syrischen Luftgesellschaft, die mit 37 Passagieren und einer fünfköpfigen Besatzung unterwegs war. Der türkische Premierminister behauptete, das zivile Flugzeug habe Kriegsmaterial transportiert und damit gegen die internationalen Luftverkehrsregeln verstoßen, weshalb die ergriffenen Zwangsmaßnahmen der türkischen Behörden nicht nur rechtens, sondern auch angemessen seien. Interessanterweise unterließ Erdogan es, den Inhalt der zehn konfiszierten Luftfrachtcontainer genau zu identifizieren. Er sprach lediglich von Gütern, die von einem einschlägig bekannten russischen Rüstungsintitut stammten und an das syrische Verteidigungsministerium adressiert seien. Ohne sich für seine spärlichen Angaben zu entschuldigen, überließ Erdogan es dem Zuhörer wörtlich, "zu raten und zu verstehen, um welche Sorte von Dingen es sich hier handelt."

Entsprechend verärgert reagierten die Behörden in Moskau und Damaskus auf die spektakuläre türkische Militäroperation. Ein Sprecher des syrischen Außenministeriums erklärte, daß sich weder Waffen noch Munition an Bord der Passagiermaschine befunden hätten. Er warf Ankara vor, "Lügen" in die Welt zu setzen und verlangte die Rückgabe der beschlagnahmten Fracht. Die Behörden in Moskau bestritten ebenfalls, den zivilen Luftverkehr für den Transport von Kriegsgütern mißbraucht zu haben und bezeichneten die Vorwürfe aus Ankara als haltlos. Ein für den 15. Oktober geplanter Staatsbesuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Türkei wurde am 11. Oktober bis auf weiteres verschoben.

Am Abend des Geschehens hatte Davutoglu, der sich zu diesem Zeitpunkt in der griechischen Hauptstadt Athen aufhielt, den Einsatz der türkischen Luftwaffe wie folgt begründet: "Es gibt Informationen, daß das Flugzeug Fracht an Bord hatte, die den Erfordernissen der zivilen Luftfahrt nicht genügt." Am 11. Oktober berichteten die türkischen Medien von zehn versiegelten Containern im Laderaum des A320, die angeblich nicht in der Frachtliste aufgeführt waren. In der AKP-nahen Zeitung Yeni Safak hieß es, in den beschlagnahmten Cargobehältern hätten türkische Zollbeamte Funkgeräte und Raketenteile gefunden. Doch seitens der Erdogan-Regierung bleibt eine Bestätigung dieser Angaben immer noch aus. Des weiteren wollte Yeni Savak wissen, daß das türkische Militär aufgrund eines Hinweises der CIA, deren Agenten am Moskauer Flughafen Vnukovo das Beladen des syrischen Flugzeugs mit den verdächtigen Containern gesehen haben wollten, in Aktion getreten war.

Die bisherige Weigerung der Türkei, den eindeutigen Beweis für den angeblich illegalen Versuch Rußlands, Syrien auf dem Luftweg Rüstungshilfe zukommen zu lassen, der Weltöffentlichkeit vorzulegen, läßt vermuten, daß man es hier nicht eindeutig mit Kriegsmaterial, sondern mit Dual-Use-Technologie zu tun hat, die für militärische als auch für zivile Zwecke verwendet werden kann. Hinter den sogenannten Raketenteilen könnten sich zum Beispiel ganz einfach Computerchips erhöhter Leistung verbergen, über deren Verwendung der Empfänger selbst entscheidet. Der aktuelle Vorfall, der scheinbar von der CIA ins Rollen gebracht wurde, schmiedet die Türkei noch enger an die USA und treibt sie noch weiter in Richtung einer direkten Intervention in den Konflikt in Syrien, anderen gemeinsame Grenze sich schon seit Tagen türkische und syrische Streitkräfte beschießen. Möglicherweise bereitet die türkische Armee unter dem Vorwand der Schaffung eines "humanitären Flüchtlingskorridors" einen Vorstoß vor, um den bedrängten syrischen Rebellen in der Handelsmetropole Aleppo, die nur 50 Kilometer von der Grenze zur Türkei liegt, militärischen Beistand zu leisten. Den letzten Meldungen vom 12. Oktober zufolge, hatten die türkischen Streitkräfte 250 Kampfpanzer an der Grenze zu Syrien auffahren lassen.

12. Oktober 2012