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NAHOST/1274: Durchbruch im Atomstreit mit Iran erzielt (SB)


Durchbruch im Atomstreit mit Iran erzielt

Obama läßt sich von Netanjahu nicht irritieren



Der "Kampf der Titanen", wie es der langjährige israelische Kommentator und Friedensaktivist Uri Avnery bezeichnete, ist entschieden, jedenfalls vorerst. Gegen den ausdrücklichen Willen von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, dafür auf maßgebliches Betreiben von US-Präsident Barack Obama haben die Außenminister der fünf UN-Vetomächte - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA - plus Deutschland - nach einem fünftägigen Verhandlungsmarathon in Genf am 24. November mit ihrem iranischen Amtskollegen einen diplomatischen Durchbruch erzielt, der eine endgültige Beilegung des langjährigen Streits um das Atomprogramm der Islamischen Republik in greifbare Nähe rückt. Dadurch ist auch der Weg zu einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und dem Iran, die sich seit dem Sturz des Schahs und der Islamischen Revolution 1979 feindlich gegenüberstehen, freigeworden.

Eine solche Versöhnung hätte weitreichende Folgen für den Nahen Osten. Israel und Saudi-Arabien, bisher die wichtigsten Verbündeten der USA in der Region, verlören an Bedeutung. Mit der Hilfe Teherans könnte es Washington gelingen, den religiösen Krieg, der derzeit zwischen Sunniten und Schiiten im Irak und in Syrien tobt und zu einem Flächenbrand auszuarten droht, einzudämmen. Als Regionalhegemon können die USA kein ernsthaftes Interesse an einer weiteren Stärkung jener sunnitisch-salafistischen Freischärler haben, die mit der militärischen und finanziellen Unterstützung Saudi-Arabiens den Irak und Syrien zugrunde richten, um zwischen Mittelmeer und Persischem Golf ihr ersehntes "Kalifat" zu errichten.

Verabschieden sich die USA von der Vorstellung der großen iranischen "Bedrohung" und von der vermeintlichen Notwendigkeit eines "Regimewechsels" in Teheran, könnte Washington eventuell sogar den Verbündeten Israel zu jenen Zugeständnissen zwingen - Ende des Baus bzw. teilweise Räumung der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten -, die eine Vollendung des Nahost-Prozesses ermöglichten. Doch nicht nur das. Überzeugt der Iran den Westen von seinem erklärten Verzicht auf die Atombombe, bekämen diejenigen Kräfte im Nahen Osten Auftrieb, die dort eine nuklearwaffenfreie Zone errichten wollen. Eine solche Entwicklung käme den Kriegsfalken in Israel einer unerträglichen Beschneidung ihrer Macht, die nicht zuletzt auf mehr als 200 "nicht-deklarierten" Wasserstoffbomben beruht, gleich und wäre für sie deshalb inakzeptabel. Nicht umsonst hat Netanjahu die Einigung von Genf als "historischen Fehler" bezeichnet und erklärt, Israel fühle sich nicht daran gebunden und behalte sich militärische Maßnahmen gegen die iranischen Atomanlagen vor.

In dem sechsmonatigen "Gemeinsamen Aktionsplan", den die P5+1-Gruppe mit Teheran beschlossen hat, erklärt sich der Iran bereit, keine neuen Uranzentrifugen in Betrieb zu nehmen, die laufende Urananreicherung auf 5 Prozent U-235 - was für die Herstellung von zivilen Brennstäben ausreicht - zu begrenzen, seine Bestände an auf 20 Prozent U-235 angereichertem Uran abzuschwächen bzw. für die militärische Nutzung chemisch unbrauchbar zu machen, die Arbeit am Schwerwasserreaktor Arak einzustellen und seine sämtlichen Nuklearanlagen für verstärkte Kontrollen durch Vertreter der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) freizumachen. Im Gegenzug werden die Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen den Iran gelockert, der Handel mit iranischem Öl und der Zugang iranischer Banken zum internationalen Finanzsystem erleichtert.

Während der kommenden sechs Monate wollen die Iraner und die "internationale Gemeinschaft" auf der Basis der erreichten Vereinbarung und ihrer laufenden Umsetzung versuchen, ein umfassendes, langfristiges Abkommen auszuarbeiten. Den Beteiligten kann man viel Glück wünschen. Bereits jetzt drohen Netanjahus Gewährsmänner im US-Kongreß, die angeblichen "Freunde" Israels, damit, in den kommenden Tagen noch schärfere Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Aus Angst, ein solcher Schritt würde den mühsam ausgehandelten "Gemeinsamen Aktionsplan" zur Makulatur machen, hat Präsident Obama seinerseits mit einem Veto gedroht. Der Kampf der Titanen in Washington und Tel Aviv geht offenbar in die nächste Runde.

25. November 2013