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NAHOST/1294: Israels Luftwaffe greift Armeeziele in Syrien an (SB)


Israels Luftwaffe greift Armeeziele in Syrien an

Luftangriffe sollen Vergeltung für Bombenanschlag auf dem Golan sein



In den frühen Morgenstunden des 19. März hat die israelische Luftwaffe Angriffe auf mehrere Ziele in Syrien geflogen. Es war nicht die erste militärische Intervention der Israelis in dem seit 2011 anhaltenden Bürgerkrieg im Nachbarland. Die bisherigen israelischen Luftangriffe auf Militärstützpunkte bei Damaskus sowie Latakia an der Mittelmeerküste Syriens wurden mit der angeblichen Notwendigkeit, die Auslieferung hochmoderner ballistischer Raketen aus dem Iran bzw. syrischer Chemiewaffen an die libanesische Hisb-Allah-Miliz zu verhindern, begründet. Der jüngste Einsatz fand jedoch auf der syrischen Seite der Golanhöhen statt und wurde von Tel Aviv als Vergeltung für die Explosion entweder einer Mine oder einer Sprengfalle dort, die vier israelische Soldaten verletzt hatte, deklariert.

Seit dem Sechstagekrieg 1967 hält Israel fast die gesamten Golanhöhen, die völkerrechtlich zu Syrien gehören, besetzt. Dort leben rund 20.000 syrische Drusen und rund 10.000 jüdische Siedler. Der Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien ist auch nicht spurlos am Leben auf den Golanhöhen vorbeigegangen. Es werden dort verletzte syrische Rebellen von den Israelis medizinisch versorgt; sunnitische Milizionäre benutzen die Golanhöhen auch als Rückzugsgebiet und führen von dort aus Operationen gegen die Hisbollah im nordwestlich gelegenen Libanon oder gegen die staatlichen Streitkräfte in Syrien durch. Sporadisch kommt es entlang der inoffiziellen Grenze zu Artillerieduellen zwischen der israelischen und der syrischen Armee.

Am 14. März haben israelische Soldaten auf dem Golan Stellungen der Hisb-Allah-Miliz im Südlibanon mit Artilleriegranaten eingedeckt. Anlaß war die Explosion einer Sprengfalle in unmittelbarer Nähe eines israelischen Militärkonvois. Später stellte sich heraus, daß der Artilleriebeschuß gegen die Hisb Allah falsch adressiert war. Zu dem Anschlag bekannte sich die Gruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL), die dermaßen "radikal-islamisch" ist, daß ihr vor einigen Wochen von Aiman Al Zawahiri höchstpersönlich die Zugehörigkeit zum Al-Kaida-"Netzwerk" öffentlich aufgekündigt wurde. Der ISIL, der sich durch seine extrem strenge Auslegung der Scharia in den von ihm kontrollierten Landesteilen im syrischen Nordosten und wegen seiner Brutalität bei den anderen Oppositionsgruppen unbeliebt gemacht hat, war bis zu diesem Anschlag, bei dem niemand verletzt wurde, auf dem Golan noch nicht militärisch in Erscheinung getreten.

In der Meldung vom 19. März auf der Website der britischen Tageszeitung Guardian klang eine gewisse Verwunderung über die Begründung Tel Avivs für den Luftangriff auf eine Kommandostelle, ein Ausbildungslager und ein Artilleriebataillon auf der syrischen Seite der Demarkationslinie auf den Golanhöhen, durch. Israel hätte die Regierung in Damaskus "für die Sprengbombe am Straßenrand verantwortlich gemacht, obwohl sich Teile der von Syrien kontrollierten Seite des Golans in den Händen von islamistischen Rebellen befinden,", so der Guardian. Es drängt sich der Verdacht auf, daß es den Israelis hier wie in der Vergangenheit vor allem um die militärische Unterstützung der syrischen Rebellen ging. Wie der Zufall so will, hat Kamal Al Labwani, ein prominentes, frühzeitig von den USA protegiertes Mitglied des oppositionellen Syrischen Nationalrats, des in Istanbul sitzenden politischen Arms der Freien Syrischen Armee (FSA), am 16. März vorgeschlagen, Israel die Golanhöhen im Austausch gegen finanzielle und militärische Hilfe - dazu gehörte die Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien für Maschinen der syrischen Streitkräfte - "dauerhaft" zu überlassen.

Jedenfalls kommt die israelische Intervention in den syrischen Bürgerkrieg zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Aufständischen stark in der Defensive befinden. Der ISIL liefert sich ständig Kämpfe mit den anderen oppositionellen Milizen, darunter auch mit den kurdischen Volksschutzeinheiten im syrischen Norden, nahe der Grenze zur Türkei und dem Irak, die ihm allerdings schwer zusetzen. Nach langen und heftigen Kämpfen wurde am 16. März die strategisch wichtige, nahe der Grenze zum Libanon liegende Stadt Yabrud, die sich fast seit Beginn des Aufstandes in den Händen der Rebellen befand, von Verbänden der syrischen Armee und der Hisb-Allah-Miliz zurückerobert. Die Regierung in Damaskus vermittelt den Eindruck, das Schlimmste überstanden zu haben, und hat für Juni bzw. Juli Wahlen angekündigt, bei denen Präsident Baschar Al Assad offenbar wieder kandidieren will.

Assads Gegner, allen voran die USA und Saudi-Arabien, halten ihrerseits weiterhin am Ziel eines "Regimewechsels" fest. Um dies zu erreichen, gehen Washington und Riad zu den al-kaida-nahen Milizen deutlich auf Distanz. Dafür sollen die "gemäßigten" Rebellen stärker unterstützt werden - unter anderem mit Boden-Luft- und Anti-Panzer-Raketen. Berichten der arabischen und westlichen Presse zufolge bereiten die Assad-Gegner eine großangelegte Offensive vom Süden Syriens nahe der oppositionellen Hochburg Dara'a in Richtung Damaskus vor. Zu diesem Zweck werden Tausende Aufständische in Jordanien von westlichen Spezialstreitkräften ausgebildet und dort die logistischen und politischen Vorkehrungen für den "Marsch auf Damaskus" getroffen. Vor diesem Hintergrund könnte der israelische Luftangriff auf die Golanhöhen, von wo sich praktisch der ganze Landstrich zwischen Dara'a im Süden der 114 Kilometer weiter nördlich gelegenen syrischen Hauptstadt überblicken läßt, eine Vorankündigung der nächsten Phase des syrischen Bürgerkrieges sein. Jüngsten Meldungen zufolge wurde bei dem Angriff ein syrischer Soldat getötet; sieben weitere wurden verletzt.

19. März 2014