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NAHOST/1310: Syriens Rebellenarmee demontiert sich selbst (SB)


Syriens Rebellenarmee demontiert sich selbst

Der geplante "Regimewechsel" in Damaskus gilt als gescheitert



Der seit 2011 dauernde Syrienkrieg hat mehr als 150.000 Menschenleben gefordert und neun Millionen entweder zu Binnenflüchtlingen gemacht oder zur Flucht nach Jordanien, in die Türkei oder in den Libanon veranlaßt. Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht, dennoch steht nach drei Jahren eines fest: Das ursprüngliche Vorhaben der Aufständischen und ihrer ausländischen Unterstützer, allen voran die USA, Jordanien, Türkei und Saudi-Arabien, den Sturz von Präsident Baschar Al Assad herbeizuführen, ist gescheitert. Für diese Entwicklung gibt es zwei Hauptursachen: Erstens, die militärische Unterstützung, welche die Regierung in Damaskus von Rußland, dem Iran und der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz erfährt, und zweitens, die Uneinigkeit der Rebellengruppen, die sich wegen ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen immer häufiger gegenseitig bekämpfen.

Den Protesten des Westens trotzend wird die syrische Regierung am 3. Juni eine Präsidentenwahl durchführen, bei der sich erstmals mehrere Kandidaten um das Amt des Staatsoberhaupts bewerben können, was Damaskus als Beweis für demokratische Reformen verstanden haben will. Die Wahl findet in den Landesteilen statt, die noch unter der Kontrolle der Zentralregierung stehen, also in der westlichen Hälfte Syriens zwischen Damaskus im Süden und der Hafenstadt Latakia an der Mittelmeerküste. Alle Beobachter gehen davon aus, daß Präsident Assad wiedergewählt und seine Gegenkandidaten Maher Hadschar and Hassan Al Nuri von der gemäßigten Opposition besiegen wird. Auch wenn viele Syrer Assad nach wie vor kritisch gegenüberstehen, rechnen ihm doch viele hoch an, daß er die laizistische Gesellschaft erfolgreich verteidigte und die komplette Eroberung des Landes durch religiöse Fanatiker, in deren Reihen sich zahlreiche ausländische Dschihadisten befinden, verhinderte.

Nach wie vor halten die Verbündeten Syriens zu der Regierung in Damaskus. Gemäß eines 2011 unterzeichneten Vertrages im Wert von 100 Millionen Dollar will Rußland vor Ende dieses Jahres mit der Auslieferung des ersten Kontingents hochmoderner Kampfjets vom Typ Yak-130 an die syrische Luftwaffe beginnen. Damaskus soll bis 2016 insgesamt 36 dieser mit einer Bordkanone, Bomben und Raketen ausgerüsteten Maschinen erhalten. Dies meldete der Nachrichtensender Al-Arabiya am 5. Mai unter Berufung auf russische Medien. Wie Simon Tisdall am 12. Mai aus Teheran für die britische Tageszeitung Guardian berichtete, geht die iranische Führung davon aus, daß die Assad-Truppen den Konflikt für sich entschieden haben, auch wenn sich einige Gebiete an der Grenze zur Türkei, zum Irak und zu Jordanien im Norden, Westen beziehungsweise Süden des Landes weiterhin unter der Kontrolle irgendwelcher Rebellengruppen befinden. Dessen ungeachtet geht der Krieg mit unverminderter Härte weiter, wie die Autobombenanschläge der Rebellen und der Einsatz von Faßbomben durch die syrische Luftwaffe zeigen.

Auf seiten der Assad-Gegner herrscht dagegen Uneinigkeit und Durcheinander. Während eines mehrtägigen Besuchs einer Delegation der Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte unter der Leitung ihres Vorsitzenden Ahmad Al Dscharba in Washington hat das amerikanische Außenministerium dieser am 5. Mai diplomatischen Status verliehen und ihr weitere Hilfsgelder in Höhe von 28 Millionen Dollar versprochen. Beim Gespräch mit Außenminister John Kerry, im Interview mit der New York Times sowie bei einer Rede am 7. Mai vor dem U. S. Institute of Peace machte sich Al Dscharba dafür stark, daß die Regierung Barack Obamas die Freie Syrische Armee (FSA) nicht nur mit Anti-Panzer-Raketen vom Typ TOW ausstattet, sondern ihr auch tragbare Boden-Luft-Raketen zukommen läßt. Davor scheut die Obama-Administration bislang zurück und zwar wegen der Sorge, daß diese Waffen in die Hände sunnitischer Extremisten geraten könnten, die nicht davor zurückschrecken, die eine oder andere Passagiermaschine damit abzuschießen.

In letzter Zeit sind Videos aus Syrien aufgetaucht, die den Einsatz von TOW-Raketen dokumentieren und aus denen klar hervorgeht, daß diese im Besitz der eher säkular ausgerichteten FSA befindlichen Waffen bereits von den Mudschaheddin benutzt werden. Aus allem, was in den letzten Wochen aus Syrien berichtet wird, hat man den Eindruck, daß die Aufständischen hauptsächlich damit befaßt sind, ihre Animositäten untereinander auszutragen, statt wirksam gegen die syrischen Streitkräfte vorzugehen. Ungeachtet wiederholter Aufrufe zur Einigkeit seitens des Al-Kaida-Chefs Aiman Al Zawahiri scheinen die Kämpfer des radikalen Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) nach blutigen Schlachten im Osten Syriens ihre Rivalen von der gemäßigteren Al-Nusra-Front endgültig verdrängt zu haben. In der Provinz Rakka mit der gleichnamigen Hauptstadt übt der ISIL eine angeblich auf dem Koran basierende Schreckensherrschaft aus, zu deren ordnungspolitischen Maßnahmen die öffentliche Kreuzigung von Gegnern und Kritikern gehört.

Währenddessen liefern sich Al Nusra und FSA in der Grenzregion zu Jordanien einen heftigen Machtkampf um die Provinz Dera'a, in deren gleichnamiger Hauptstadt es vor drei Jahren zu den ersten Protesten gegen die Regierung in Damaskus kam, den die FSA zu verlieren scheint. Am 4. Mai hat die Al-Nusra-Front bei einem Überfall mehrere FSA-Offiziere entführt, darunter auch Ahmed Nehmeh, einen ehemaligen Oberst der syrischen Luftwaffe, der zu den Rebellen übergelaufen war und seit eineinhalb Jahren als Chef der oppositionellen Dera'a Military Council (DMC) die Zusammenarbeit der Rebellen mit den Geheimdiensten der USA, der Türkei, Jordaniens und den arabischen Staaten am Persischen Golf koordinierte. Wenige Tage später veröffentlichte die Al Nusra im Internet ein Video, in dem ein sichtlich verletzter und mißhandelter Nehmeh zugab, die FSA hätte zusammen mit ihren ausländischen Unterstützern im vergangenen Jahr dafür gesorgt, daß die Islamisten eine große Schlacht um die strategisch wichtige Stadt Khirbet Ghazaleh, die an der Verbindungstraße zwischen Amman und Damaskus liegt, gegen die Assad-Truppen verloren. Nehmeh nannte den Namen eines Offiziers des jordanischen Geheimdienstes, der ihn damit beauftragt haben soll, wichtige Informationen an die syrischen Streitkräfte weiterzuleiten. Das Motiv für den Verrat soll der Wunsch der Jordanier und seiner Verbündeten gewesen sein, ein weiteres Erstarken der Al-Nusra zu verhindern.

Von der besagten Niederlage in der Provinz Dera'a scheinen sich die Islamisten längst erholt zu haben. Die Al-Nusra-Front, die im Osten vom ISIL verdrängt wurde, wird im Süden Syriens zur stärksten Kraft unter den Rebellen-Fraktionen. Gleichwohl rückt auch im Süden der ISIL, dessen Verbündete in der irakischen Provinz Anbar die Stadt Falludscha seit Monaten besetzt halten, nach. Von dort aus will die Gruppe ihren heiligen Krieg auch auf Jordanien ausdehnen und die haschemitische Monarchie um König Abdullah II. stürzen. Nicht nur im Westen, sondern sogar in Saudi-Arabien, dem bisher größten Geldgeber der sunnitischen Milizionäre, macht man sich zunehmend Gedanken um vagabundierende, kriegserfahrene "Terroristen", deren Gewaltbereitschaft man nicht mehr steuern kann. Folglich könnte die sich abzeichnende Lösung im Atomstreit mit dem Iran und eine Aussöhnung zwischen Teheran und Riad die Gelegenheit bieten, den sunnitisch-schiitischen Konfessionskonflikt, der den Irak und Syrien erfaßt hat und auf weitere Länder der Region überzugreifen droht, auf dem Verhandlungsweg doch noch zu beenden.

13. Mai 2014