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NAHOST/1331: Krisenstaat Irak bekommt einen neuen Präsidenten (SB)


Krisenstaat Irak bekommt einen neuen Präsidenten

Stunde der Entscheidung rückt für Noch-Premierminister Maliki näher



Nach hitzigen Streitereien, die zwischendurch eine Aussetzung des parlamentarischen Betriebs in Bagdad erforderlich machten, haben sich Iraks Volksvertreter am 24. Juli auf einen neuen Präsidenten geeinigt. Der irakische Staatsoberhaupt heißt fortan Fouad Massum. Der 76jährige Kurde hat in den achtziger Jahren als Aufständischer gegen die Truppen Saddam Husseins gekämpft. Er tritt die Nachfolge von Jalal Talabani, dem ersten irakischen Präsidenten der Nach-Saddam-Hussein-Ära, an. Talabani war 2005 Präsident geworden, ist jedoch seit einem Schlaganfall vor zwei Jahren kaum noch in Erscheinung getreten. Zwecks Amtsübergabe war er vor einigen Tagen extra aus Deutschland, wo er zur medizinischen Behandlung weilte, ins Zweistromland zurückgekehrt.

Inwieweit Massum etwas zur Beilegung der politischen Krise im Irak beitragen kann, muß sich noch zeigen. Medienberichten zufolge wird er von politischen Kollegen aus allen Volksgruppen sehr geschätzt. Das Amt des Präsidenten dient jedoch in erster Linie repräsentativen Zwecken. Die eigentliche Macht liegt beim Premierminister, der die Minister für die einzelnen Ressorts benennt und die Regierung leitet. Nach der irakischen Verfassung muß der Präsident ein Kurde, der Parlamentssprecher ein Sunnit und der Regierungschef ein Schiite sein. Vor einer Woche war Salim al-Jubouri, ein gemäßigter Sunnit, von den Volksvertretern zum Parlamentssprecher gewählt worden. Es steht also nun die schwierige Entscheidung bevor, wer künftig den Irak regieren soll.

Aus den Parlamentswahlen im April ist die schiitische Rechtsstaatsallianz, in der die Islamische Dawa-Partei des amtierenden Premierministers Nuri Al Maliki die wichtigste Einzelgruppierung stellt, mit 92 von 328 Sitzen als stärkste Fraktion hervorgegangen. Deswegen erhebt Al Maliki Anspruch auf Beibehaltung seines Postens, stößt jedoch mit diesem Wunsch auf großen Widerstand. Seit 2006 steht Al Maliki, zuletzt als Premier-, Innen- und Verteidigungsminister in Personalunion, an der Spitze der irakischen Regierung. Während seiner achtjährigen Amtszeit hat er es versäumt, für einen Ausgleich unter den Kurden, Schiiten und Sunniten zu sorgen. Entgegen früherer Vereinbarungen hat er die sunnitischen Milizionäre, die vor wenigen Jahren noch unter der Regie der US-Besatzungstruppen Al Kaida im Irak den Garaus gemacht haben, nicht in dem Beamtenapparat und bei der Armee untergebracht. Politische Gegner unter den Sunniten hat Al Maliki unter dem Vorwand der "Terrorbekämpfung" verhaften lassen oder ins Exil gedrängt. Er hat mit brutaler Gewalt auf die demokratischen Proteste reagiert, die, vom sogenannten Arabischen Frühling in Ägypten und Tunesien inspiriert, 2011 und 2012 in den sunnitischen Provinzen Zentraliraks ausgebrochen waren.

Die kurzsichtige Machterhaltungsstrategie von Al Maliki hat sich inzwischen auf fatale Weise gerächt. Nachdem sie die sunnitischen Rebellenhochburgen Falludscha und Ramadi Anfang des Jahres vollends unter ihre Kontrolle gebracht hatten, eroberten Kämpfer der salafistischen Gruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) Anfang Juni Mossul, die zweitgrößte irakische Stadt, und brachten den zahlenmäßig weit überlegenen Streitkräften Al Malikis eine schwere Niederlage bei. Inzwischen kontrolliert ISIS weite Teile des Zentraliraks sowie Ostsyriens. Dort hat ISIS-Chef Abu Bakr Al Baghdadi vor kurzem ein Kalifat namens Islamischer Staat ausgerufen und strenge Scharia-Gesetze eingeführt. Alle Männer müssen einen Bart tragen. Der Genuß von Tabak und alkoholischen Getränken ist verboten. Frauen müssen einen Schleier tragen und dürfen sich nur in Begleitung eines männlichen Familienangehörigen in der Öffentlichkeit zeigen. Schreine und Denkmäler werden dem Erdboden gleichgemacht. Am 19. Juli sind die letzten Christen Mossuls ins Kurdengebiet geflüchtet, nachdem Al Baghdadis Männer sie vor die Wahl stellten, entweder zum Islam überzutreten oder als Ungläubige hingerichtet zu werden.

Al Maliki steht also vor einem politischen Trümmerhaufen. Von ihm ist auch keine Besserung der politischen oder der militärischen Lage zu erwarten. Der von den irakischen Streitkräften unternommene Versuch, Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit von den ISIS-Rebellen zu befreien, ist vor zwei Wochen kläglich gescheitert. Die Operation fing gut an. Al Malikis Soldaten stießen bis in das Stadtzentrum vor. Doch dort angekommen, mußten sie feststellen, in eine gut vorbereitete Falle gelockt worden zu sein. Nach mehreren Tagen mußte der Angriff abgebrochen werden. Angesichts dieser Schmach wundert es nicht, daß sich sogar der Iran, die letzte Stütze Al Malikis, einen neuen Premierminister in Bagdad wünscht. Das soll eine iranische Delegation vor wenigen Tagen während eines Besuchs in der Pilgerstadt Nadschaf der Führung der schiitischen Geistlichkeit mitgeteilt haben.

Soll Bagdad die Hauptstadt eines einheitlichen Iraks bleiben, müssen von dort bald entsprechende Impulse der Erneuerung hin zu einem gerechten politischen Ausgleich unter den diversen Volksgruppen ausgehen. Davon ist der Irak derzeit Lichtjahre entfernt. In der irakischen Hauptstadt steht die Entführung, Folter und Ermordung von Menschen anderer Glaubensrichtungen bzw. Ethnien wieder hoch im Kurs. Im ganzen Land kommt es zu Bombenanschlägen und Überfällen. Im Norden liefern sich Kurden und ISIS-Dschihadisten schwere Kämpfe. Unterdessen macht sich die kurdische Autonomieregion immer selbständiger. An diesem 26. Juli wird ein Schiff, das im Juni im türkischen Ceyhan mit Rohöl aus dem kurdischen Nordirak beladen wurde, in der Hafenstadt Galveston in Texas erwartet. Es wird die erste Öllieferung aus dem noch-irakischen Kurdistan an die USA sein.

26. Juli 2014