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NAHOST/1339: Machtwechsel in Bagdad - Al Abadi ersetzt Al Maliki (SB)


Machtwechsel in Bagdad - Al Abadi ersetzt Al Maliki

Politische Krise befördert den Untergang des irakischen Staates



Nach wochenlangen politischen Ränkespielen bekommt der Irak vielleicht doch noch einen neuen Regierungschef. Nuri Al Maliki, der seit 2006 Premierminister gewesen und zuletzt auch die Ressorts Inneres und Verteidigung leitete, soll zurücktreten. Neuer Ministerpräsident in Bagdad soll der 64jährige Haider Al Abadi werden, der wie Al Maliki Schiite ist, im Gegensatz zu letzterem jedoch die Unterstützung der sunnitischen und kurdischen Abgeordneten im Parlament genießt. Ob es Al Abadi jedoch gelingen wird, den Vormarsch der sunnitischen Extremistenarmee des Kalifats Islamischer Staat (IS) aufzuhalten und den Irak vor der endgültigen Auflösung zu retten, muß sich noch zeigen.

Aus den Parlamentswahlen im April war die schiitische Rechtsstaatsallianz, in der die Islamische Dawa-Partei Al Malikis die wichtigste Einzelgruppierung stellt, mit 92 von 328 Sitzen als stärkste Fraktion hervorgegangen, weswegen gleich nach Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses der amtierende Premierminister Anspruch auf eine weitere, vierjährige Amtszeit anmeldete. Doch dagegen regte sich großer Widerstand. Als Regierungschef hatte Al Maliki mit dem Dauerstreit um die Verteilung der Einnahmen aus dem Ölexport das Vertrauen der Kurden verloren und durch schwere Repressalien gegen die Sunniten die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe vom irakischen Staat entfremdet. Als dann Anfang Juni die Armee versagte und den zum Teil aus Syrien kommenden IS-Milizionären die Stadt Mossul, die mit zwei Millionen Einwohnern zweitgrößte Metropole des Landes, praktisch kampflos überließ, war die fehlende Eignung Al Malikis als Premierminister für alle sichtbar.

Seitdem hat sich die militärische Lage aus Sicht des irakischen Staats nicht verbessert, sondern verschlechtert. Bestimmt hängt dies damit zusammen, daß Al Maliki eher mit der Rettung des eigenen Stuhls als des ihm anvertrauten Staatswesens befaßt ist. Während "Terrorchef" Abu Bakr Al Baghdadi Ende Juni in den von IS-Milizionären kontrollierten Teilen Ostsyriens und Zentraliraks das Kalifat ausrief, schlug Al Maliki die Aufforderungen Washingtons, Teherans sowie der beiden einflußreichen schiitischen Geistlichen Muktada Al Sadr und Großajatollah Ali Sistani, seinen Platz für jemanden zu räumen, der die verschiedenen religiösen Gruppen und Ethnien des Iraks wieder zusammenführen könnte, in den Wind. Bis zuletzt wollte er nicht einsehen, daß seine Tage im Amt gezählt waren.

Darum kam es bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments am 1. Juli zu tumultartigen Szenen. Die darauf folgende politische Blockade wurde erst in der Nacht vom 10. auf den 11. August gelöst, als Iraks neuer Präsident, der Kurde Fuad Masum, Al Abadi mit der Regierungsbildung beauftragte. Damit war Al Maliki, der wenige Stunden zuvor in einer Fernsehrede Masum Verfassungsbruch vorgeworfen hatte, weil er ihn innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht zum neuen Premierminister ernannte hatte, ausmanövriert. Schließlich kommt Al Abadi, der zuletzt Stellvertretender Parlamentssprecher war, aus Al Malikis Dawa-Partei. Ohne es zu merken, war dem Noch-Regierungschef die Unterstützung der eigenen Fraktion abhanden gekommen.

Seitdem versuchen alle innen- und außenpolitischen Akteure Al Maliki dazu zu bringen, endlich in eine friedliche Machtübergabe einzuwilligen. Ajatollah Ali Khamenei, der oberste geistliche Führer im Iran, hat inzwischen Al Abadis Ernennung zum neuen irakischen Premierminister öffentlich begrüßt, was als demonstrativer und endgültiger Bruch Teherans mit Al Maliki verstanden werden darf. US-Außenminister John Kerry hat telefonisch den Noch-Regierungschef davor gewarnt, sich mit Gewalt der politischen Entwicklung zu widersetzen. Dessen ungeachtet hat sich Al Maliki in der Grünen Zone mit seinen engsten Vertrauten und schwerbewaffneten Sicherheitskräften verschanzt und am 13. August per Fernsehansprache angekündigt, daß er die Entscheidung von Präsident Masum, Al Abadi mit der Regierungsbildung zu beauftragen, vor dem Obersten Gerichtshof anfechten werde.

Mit einem solchen widerspenstigen Verhalten hat sich der bedrängte Nachfolger Saddam Husseins endgültig ins Abseits manövriert. Eine Fortsetzung der lähmenden politischen Krise in Bagdad ist das Letzte, was alle, die an einem Erhalt des Iraks als einheitlichem Staat interessiert sind, gebrauchen können. Zehntausende Yesiden verdursten und verhungern am Sindschar-Gebirge, während die IS-Kämpfer auf der Ebene in der Provinz Nineveh männliche Andersgläubige abschlachten und ihre Frauen verschleppen. Die Lage in Norden Iraks hat sich derart zugespitzt, daß sich die USA am 7. August zur erneuten Intervention veranlaßt sahen. Seitdem fliegen amerikanische Kampfjets und Drohnen Bomben- und Raketenangriffe auf IS-Positionen und -Ziele, wie beispielsweise Militärkonvois, um die Peschmergas zu unterstützen und eine Eroberung der kurdischen Hauptstadt Erbil durch Al Baghdadis Kalifat zu verhindern. Zuletzt hatte Teheran Al Maliki sicheres Exil im Iran angeboten. Möglicherweise hat er mit seiner Erklärung, seine Absetzung gerichtlich verhindern zu wollen, diese Option verwirkt. Sollte das der Fall sein, dürfte es in Bagdad in den kommenden Stunden und Tagen zu einem blutigen Showdown kommen.

13. August 2014