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NAHOST/1351: Innerpalästinensischer Machtkampf neu entfacht (SB)


Innerpalästinensischer Machtkampf neu entfacht

Hamas erwägt Direktgespräche mit Israel



In Israel und Palästina sind die Nachwehen des Gazakrieges, der vom 8. Juli bis zum 26. August dauerte, noch deutlich zu spüren. Operation Protective Edge hat 2140 Gazabewohner, die meisten von ihnen Zivilisten, und 73 Israelis, die meisten von ihnen Soldaten, das Leben gekostet. Weite Teile des Gazastreifens sehen aus wie Berlin am Ende des Zweiten Weltkrieges. In dem kleinen Landstreifen mit seinen Tausenden von Verletzten und Traumatisierten herrscht eine humanitäre Katastrophe. Israel hält an seiner Blockadepolitik fest und verlangt für eine Lockerung des Personen- und Güterverkehrs eine Demilitarisierung Gazas. Dazu ist aber die dort regierende Hamas nicht bereit. Am 25. September läuft eine zunächst auf einen Monat befristete Feuerpause aus. Bis dahin sollen die Verhandlungen, die in den kommenden Tagen in Kairo wieder aufgenommen werden, einen Durchbruch gezeitigt haben, sonst droht die Hamas mit dem erneuten Raketenfeuer auf Israel.

Währenddessen tobt der politische Machtkampf in Palästina auf hohem Niveau. Vor dem Hintergrund des Scheiterns der Nahost-Friedensgespräche mit Israel hatte sich im April die im Westjordanland regierende Fatah mit der Hamas im Gazastreifen versöhnt. Anfang Juni war es zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit gekommen. Ungeachtet der Tatsache, daß die Kabinettsposten allesamt an parteiunabhängige Technokraten gingen, warf Israels Premierminister Benjamin Netanjahu dem Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas, der auch Fatah-Chef ist, vor, ein Bündnis mit "Terroristen" eingegangen zu sein. Es wird vermutet, daß Israel mit dem Ausbruch des Gaza-Krieges die neue palästinensische Einigkeit zu torpedieren versuchte.

Die israelische Militäroffensive hat die politischen Verhältnisse im palästinensischen Lager zwar verändert, nur vielleicht nicht in die Richtung, die von der Netanjahu-Regierung beabsichtigt gewesen ist. Trotz des schrecklichen Leids der Gaza-Bevölkerung hat die Hamas wegen ihrer Bereitschaft, sich den israelischen Streitkräften entgegenzustellen, ihr Ansehen unter den eigenen Landsleuten erhöhen können. Die Fatah dagegen, deren Hauptaufgabe während des ganzen Konflikts darin zu bestehen schien, mit Hilfe der israelischen Sicherheitskräfte den Zorn der Palästinenser im Westjordanland wegen der Vorgänge in Gaza unter Kontrolle zu halten, sieht sich dem Vorwurf der Kollaboration ausgesetzt.

Das Gefühl des schwindenden Einflusses erklärt vielleicht, warum Fatah in den letzten Wochen wiederholt die Hamas bezichtigt hat, einen Putsch auf der Westbank vorzubereiten. Auch wenn beide Seiten gemeinsam unter der Vermittlung Ägyptens einen Waffenstillstand mit Israel ausgehandelt haben, ist das Verhältnis zwischen Hamas und Fatah aktuell von Disharmonie und gegenseitigem Mißtrauen geprägt. Die Notlage in Gaza wird dadurch zusätzlich erschwert, daß die palästinensische Autonomiebehörde (PA) seit Monaten die Gehälter für Zehntausende Beamte in Gaza, die der Hamas angehören, nicht ausbezahlt, für diejenigen, die nach wie vor zur Fatah halten, aber schon. Bei einem Treffen der Außenminister der Arabischen Liga in Kairo am 6. September hat Abbas der Hamas öffentlich vorgeworfen, einen sinnlosen Krieg gegen Israel verursacht zu haben und sich nicht an die Vereinbarungen in Verbindung mit der Gründung der Einheitsregierung zu halten.

Wenngleich Hamas-Chef Chalid Meschal aus seinem Exil in Doha, der Hauptstadt Katars, mit versöhnlichen Worten auf die Behauptungen von Abbas reagiert hat, scheint sich die Geduld der Islamischen Widerstandsbewegung mit dem palästinensischen Präsidenten, dessen reguläre vierjährige Amtszeit bereits 2009 ablief und von dem Kritiker behaupten, er habe seine Position als Noch-Staatsoberhaupt lediglich der "internationalen Gemeinschaft" zu verdanken, dem Ende zu nähern. Wegen des Streits um die nicht-ausgezählten Gehälter und des Stillstands in der Frage der Lockerung des Sanktionsregimes für Gaza hat Mousa Abu Marzook, ein im Exil in Ägypten lebender, führender Hamas-Vertreter, am 11. September erstmals die Idee direkter und offener Verhandlungen seiner Organisation mit Israel ins Spiel gebracht.

Seit Jahren verhandeln Israel und Hamas heimlich über verschiedene Themen gemeinsamen Interesses wie Gefangenenaustausch und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Waffenstillstands. Direkte Gespräche galten aufgrund der prinzipiellen Weigerung der Hamas, Israel anzuerkennen, bisher als absolut tabu. Offenbar ist das nicht mehr der Fall. Bei der Versöhnung zwischen Hamas und Fatah im Frühjahr war die baldige Abhaltung von Parlamentswahlen vereinbart worden. Derzeit deutet alles daraufhin, daß die Hamas wie bereits 2006 als Siegerin daraus hervorgeht. Damit es nicht erneut zu der Nicht-Anerkennung des Ergebnisses durch die USA und die EU kommt, will die Hamas anscheinend ihr Profil als Gesprächsspartner - auch Israel gegenüber - stärken. Dies könnte den überraschenden Vorstoß Marzooks erklären.

Jedenfalls braucht die Hamas kein baldiges Wiedererstarken der Fatah in der öffentlichen Meinung in den beiden getrennten Teilen Palästinas zu befürchten. Ein am 11. September erschienener Bericht des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera hat die PA-Führung um Abbas schwer diskreditiert. Demnach hat die Regierung in Ramallah noch im Juli eigenmächtig die Aufnahme von Ermittlungen durch den International Criminal Court (ICC) in Den Haag gegen Israel wegen des Verdachts der Kriegsverbrechen in Gaza verhindert. Die internationalen Ermittler wollten in Aktion treten, doch hat die PA aus Rücksicht auf die Netanjahu-Regierung ihr Veto eingelegt. Durch die gut recherchierte, mit Originaldokumenten belegte Al-Jazeera-Enthüllung haben sich Abbas' Drohungen der vergangenen Wochen, den Internationalen Strafgerichtshof anzurufen und Israel diplomatisch bloßzustellen, als leeres Gerede entpuppt.

17. September 2014