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NAHOST/1407: Rußland erhöht seinen Einsatz im Syrien-Krieg (SB)


Rußland erhöht seinen Einsatz im Syrien-Krieg

Kooperation oder Konfrontation mit Moskau - Washington vor der Wahl


Was zunächst als unseriöse Meldung abgetan wurde, weil am 24. August von Voltaire Network, der Website des französischen Querdenkers Thierry Meyssan, und am 1. September vom Onlinedienst der israelischen Zeitung Yedioth Ahranoth verbreitet, hat sich mit der Titelgeschichte der New York Times am 5. September, "Russian Moves in Syria Pose Concerns for U.S." als Tatsache herausgestellt: Moskau erhöht massiv sein militärisches Engagement in Syrien. Welche Auswirkungen von dem Schritt zu erwarten sind, ist unklar. Eines steht jedenfalls fest: Finden sich die USA nicht mit der Maßnahme Rußlands ab und kommt es zu keinen gemeinsamen Anstrengungen gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), so kann Syrien zu einem für die ganze Welt hochgefährlichen Schauplatz der anhaltenden Konfrontation zwischen Washington und Moskau werden.

Den Angaben der New York Times zufolge, die sich auf amerikanische Geheimdiensterkenntnisse stützt, haben die russischen Streitkräfte in den letzten Wochen eine mobile Radar- und Luftaufklärungsanlage sowie Fertigbauunterkünfte für mehrere hundert Militärangehörige auf einen Fliegerhorst in Latakia verlegt. Die gebirgige Mittelmeerprovinz gilt als Hochburg der religiösen Minderheit der Alewiten, zu der Syriens Präsident Baschar al Assad und sein Klan gehören. Deswegen wird Latakia von Beobachtern als möglicher Rumpfstaat gehandelt, wohin sich Assad und seine Anhänger zurückziehen könnten, sollten sie die Hauptstadt Damaskus an die Rebellen verlieren bzw. den Kampf um die Einheit Syriens aufgeben. In Latakia, genauer gesagt in der Hafenstadt Tartus, unterhält die russische Marine ihren einzigen Stützpunkt außerhalb Rußlands.

Laut der New York Times hat Rußland zudem für September bei den Nachbarländern Syriens Überflugrechte für Militärmaschinen beantragt. Die Regierung von US-Präsident Barack Obama geht von einer geplanten Verlegung von bis zu 3.000 russischen Militärangehörigen sowie verschiedenen Waffensystemen, darunter auch Kampfjets, und Munition nach Syrien aus. Vermutlich handelt es sich hierbei um Ausbilder, Spezialstreitkräfte, Fluglotsen und Kampfpiloten. Moskau hat den Bericht nicht dementiert, sondern lediglich die Entsendung von russischen Bodentruppen ausgeschlossen.

Bislang haben Rußlands Waffenlieferungen und die Unterstützung der schiitischen Hisb-Allah-Miliz sowie der iranischen Revolutionsgarden das "Regime" Assad vor dem Untergang bewahrt. Die Syrische Arabische Armee (SAA) hat weite Teile der östlich an den Irak und nördlich an die Türkei angrenzenden Regionen an IS, die Al-Nusra-Front und andere Rebellengruppen verloren, kontrolliert jedoch nach wie vor weitestgehend Damaskus, die Mitte, den Süden und den Westens des Landes. Wie die New York Times am darauffolgenden Tag berichtete, hat US-Außenminister John Kerry am 5. September seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow telefonisch die "tiefe Sorge" Washingtons über die geplante Aufstockung der russischen Militärpräsenz in Syrien übermittelt und ihn "gewarnt", daß der Schritt zu einer "Konfrontation" mit der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition führen könnte.

Für Außenstehende läßt sich schwer beurteilen, ob man es hier mit einer echten oder nur vorgetäuschten Meinungsdifferenz zwischen Rußland und den USA in der Syrien-Frage zu tun hat. Nach dem erfolgreichen Abschluß des Atomabkommens mit dem Iran im Juli hatte Obama lobende Worte über die hilfreiche Rolle Rußlands, insbesondere von Präsident Wladimir Putin, bei den langwierigen und schwierigen Verhandlungen gefunden. Während die Kämpfe im Osten der Ukraine abflauten, kam es zu einer Reihe von diplomatischen Begegnungen, die darauf hindeuteten, daß Washington und Moskau gemeinsam nach Wegen suchten, die Syrienkrise zu beenden. Am 3. August trafen Kerry und Lawrow mit dem saudischen Außenminister Adel Al-Dschubeir in Katars Hauptstadt Doha zusammen. Im selben Monat wurde eine Delegation des Syrischen National Rats, der wichtigsten Formation der "gemäßigten" Opposition, im Kreml empfangen. Dort wurde ihr eröffnet, daß Moskau nicht an Assad hänge. Rußland hat sogar indirekte Gespräche zwischen Damaskus und Riad auf der Ebene der Geheimdienstchefs vermittelt.

Nach dem Staatsbesuch des saudischen Königs Salman in Washington am 4. und 5. September hat Außenminister Al-Dschubeir überraschend Riads Zufriedenheit über die Zusicherungen aus Washington bezüglich des Atomabkommens mit dem Iran erklärt. Dies ist wichtig, denn ohne eine Entspannung zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran, die sich in Syrien - wie übrigens auch im Irak und im Jemen - einen erbarmungslosen Stellvertreterkrieg liefern, besteht keine Aussicht auf ein Ende des Blutvergießens im Nahen Osten. Am 4. September am Rande des Eastern Economic Forum in Wladiwostok teilte Putin mit, daß Assad zu vorgezogenen Parlamentswahlen sowie zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit mit der "gemäßigten" Opposition bereit sei. Gleichwohl betonte Rußlands Präsident die Wichtigkeit des Kampfes gegen den "Terrorismus" in Form von IS.

Das Motiv des Kremls, sich stärker als bisher militärisch in Syrien zu engagieren, liegt auf der Hand. Rußland will unbedingt verhindern, daß die sunnitischen Fundamentalisten in Syrien den Sieg davon tragen, weil für sie als nächstes die Fortsetzung des Dschihads im Kaukasus und in Zentralasian anstünde. Die USA, die Türkei und die restlichen NATO-Staaten müssen sich entscheiden, ob sie ihre Anti-Terror-Rhetorik tatsächlich ernst meinen oder ob sie weiterhin die gewaltbereiten Salafisten als Marionetten zur Destabilisierung Rußlands und Chinas benutzen wollen. Es hängt nun alles davon ab, ob sich Obama und Kerry in Washington gegen die neokonservativen Kriegstreiber wie Ex-General David Petraeus, der meint, CIA und Pentagon sollten Al Nusra bzw. Al Kaida im Kampf gegen den IS unterstützen, durchsetzen können.

7. September 2015


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