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NAHOST/1408: Im Irak tritt der Kampf gegen IS auf der Stelle (SB)


Im Irak tritt der Kampf gegen IS auf der Stelle

Bagdad in Not - den IS-Gegnern fehlt es an Geld und schweren Waffen


Überschattet von dem blutigen Konflikt im Syrien und dem gigantischen Flüchtlingsstrom Richtung Europa reißt im Irak der grausam geführte Bürgerkrieg nicht ab. Laut einer Zählung, die Margaret Griffis auf der Website antiwar.com täglich aktualisiert und dabei sämtliche Vorfälle der vorangegangenen 24 Stunden auflistet, kamen im August im Irak 4547 Menschen - Soldaten, Milizionäre, Angehörige der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) sowie Zivilisten - gewaltsam ums Leben, während 2296 verletzt wurden. Zu den Getöteten darf man die vier Mitglieder der Volksmobilisierungskräfte zählen, deren Hinrichtung - sie wurden an dem Gerüst einer Kinderschaukel aufgehängt und bei lebendigem Leib verbrannt - der IS Ende August als gruselige Videoaufnahme ins Internet gestellt hat.

Die 120.000 Mann starken Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilisation Forces - PMF) waren im Juni 2014 als Reaktion auf das Versagen der irakischen Armee, die praktisch die zweitgrößte irakische Stadt Mossul kampflos den IS-Dschihadisten überlassen hatte, nach einem entsprechenden Aufruf der höchsten schiitischen Geistlichkeit des Zweistromlands, Großajatollah Ali Sistani, gegründet worden. In vergangenen April haben sie sich bei der Rückeroberung von Tigrit, der Heimatstadt Saddam Husseins, die etwa auf halber Strecke zwischen Bagdad in der Landesmitte und Mossul im Norden liegt, verdient gemacht. Anschließende tödliche Übergriffe auf Dutzende sunnitischer Männer wegen des Verdachts, während der IS-Besatzung von Tigrit mit den Salafisten kollaboriert zu haben, haben den Ruf der PMF jedoch beschädigt.

Seitdem läuft die Zusammenarbeit zwischen den PMF und der regulären irakischen Armee, die am Boden von rund 5000 US-Militärberatern unterstützt wird, mehr schlecht als recht. Wegen besagter Vorkommnisse in Tigrit sowie der Tatsache, daß Irans Revolutionsgarden die PMF und die verschiedenen, schon länger existierenden, 35.000 Mann starken schiitischen Milizen beraten und zum Teil ausrüsten, haben die irakischen Streitkräfte im Mai auf deren Hilfe beim Kampf um Ramadi, der Hauptstadt der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Anbar, verzichtet. Das hat sich dann als Fehler herausgestellt. Denn im Mai hat der IS Ramadi gänzlich erobert. Die Soldaten, welche die seit Monaten umzingelte Stadt halten sollten, haben die von ihnen verlangte Munition und militärische Unterstützung nicht erhalten und sind von einem Tag auf den nächsten zusammen mit Tausenden Zivilisten in Richtung Bagdad geflohen.

Trotz der Entsendung von 450 US-Militärberatern an den Stadtrand von Ramadi kommt die Rückeroberung der Stadt, die ursprünglich als Übung für die Großoffensive gegen Mossul geplant war, überhaupt nicht voran. Das irakische Militär wirft der US-Luftwaffe vor, zu wenige Angriffe auf IS-Stellungen in Ramadi zu fliegen. Seinerseits macht das US-Regionalkommando CENTCOM die sommerliche Hitze für den mangelnden Fortschritt verantwortlich. Währenddessen sind die Kämpfe um Baidschi, der größten Ölraffinerie des Iraks, die unweit von Tigrit liegt und seit Monaten fest unter der Kontrolle der Zentralregierung sein sollte, wieder aufgeflammt. Am 2. September meldete das Pentagon, IS-Kämpfer hätten Teile der weitläufigen Anlage zurückerobert und sich dort festgesetzt. Die angrenzende Stadt Baidschi droht nun wieder an die IS-Rebellen zu fallen.

Wie Hannah Allam am 4. September unter der Überschrift "Is Iraq too broke to fight ISIS?" für eine US-Zeitungsgruppe berichtete, erschwert der gesunkene Ölpreis auf dem Weltmarkt Bagdads Kampf gegen das IS-Kalifat. Da der irakische Staatshaushalt zu 85 Prozent aus den Einnahmen aus dem Ölexport finanziert wird, die nun seit 2014 stark rückläufig sind, stößt das Verteidigungsministerium in Bagdad inzwischen auf erhebliche Probleme bei der Bezahlung und der Ausrüstung der Armee und den mit ihr kooperierenden Milizen. Manche Soldaten und Milizionäre warten bereits seit mehreren Monaten auf ihr Gehalt, was sich wiederum negativ auf die Kampfmoral der Truppe auswirkt. Wegen der prekären Finanzlage Bagdads hat die Regierung von US-Präsident Barack Obama in die Bresche springen und der irakischen Armee kostenlos Ausrüstung und Munition in nicht geringem Umfang zur Verfügung stellen müssen.

Eine besondere Kampftaktik des IS stellt die irakischen Streitkräfte vor erhebliche Probleme. Bei der Eroberung von Ramadi hat der IS drei oder vier der insgesamt 2300 gepanzerten Fahrzeuge, welche die US-Streitkräfte Ende 2011 beim Abzug aus dem Zweistromland der irakischen Armee überließen und welche 2014 bei der Einnahme Mossuls dem Kalifat in die Hände fielen, mit Sprengstoff gefüllt und sie von Selbstmordattentätern in die gefestigten Stellungen der Armee fahren und dort zur Explosion bringen lassen. Wenn nicht vorher die Luftwaffe eingreift, stehen die irakischen Streitkräfte solchen Aktionen praktisch hilflos gegenüber. Eine solche gepanzerte Fahrzeugbombe, die in der Regel rund 250 Kilo Sprengstoff enthält, richtet bei der Explosion riesige Sachschäden an und tötet oder verletzt alle Personen in einem Umkreis von mehr als einem halben Kilometer. Darum forderte im Interview mit der Washington Times am 6. September General Dedawa Khurshid von den kurdischen Peschmerga, die IS-Gegner dringend mit mehr schweren Waffen, allen voran Anti-Panzer-Raketen, auszustatten.

8. September 2015


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