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NAHOST/1427: Streit der Großmächte über Syrien findet kein Ende (SB)


Streit der Großmächte über Syrien findet kein Ende

Neuester Friedensplan Rußlands bereits jetzt eine Totgeburt?


Vor dem Hintergrund der Anschläge am 13. November in Paris, des Bombenanangriffs in Beirut am Tag davor und des Absturzes einer russischen Passagiermaschine am 31. Oktober über der ägyptischen Halbinsel Sinai - die jeweils 129, 43 und 229 Zivilisten das Leben kosteten -, waren sich die versammelten Staats- und Regierungschefs der G20 am 15. Oktober zum Auftakt ihres diesjährigen Gipfeltreffens im türkischen Antalya in der Verurteilung des Übels des "Terrorismus" demonstrativ einig. Zu allen drei Vorfällen hatte sich der Islamische Staat (IS) bekannt, weshalb die Bekämpfung jener "Terrormiliz" im Rahmen einer Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien ganz oben auf der Tagesordnung des G20-Gipfels stand. Leider ist jedoch kein Kompromiß unter den wichtigsten ausländischen Akteuren - den westlichen Großmächten USA, Großbritannien und Frankreich, der neo-osmanischen Türkei, dem Rußland Wladimir Putins, den sunnitischen Autokratien am Persischen Golf, allen voran Saudi-Arabien, und dem schiitischen Iran - die sich in Syrien einen grausamen Stellvertreterkrieg liefern, in Sicht.

Seit Oktober finden in Wien internationale Gespräche statt, bei denen ein Ausweg aus der Syrien-Krise gefunden werden soll. Im Gegensatz zu den früheren diplomatischen Bemühungen in Genf ist diesmal der Iran mit von der Partie. Grundlage der Beratungen der Vertreter von insgesamt 18 Nationen ist ein von Moskau erarbeiteter Plan. Am 30. Oktober haben sich die Beteiligten, sowohl die Befürworter eines Regimewechsels, also Saudi-Arabien und die NATO-Staaten, als auch die Verbündeten des syrischen Präsidenten Baschar Al Assad, also Rußland und der Iran, auf ein Kommuniqué geeinigt.

Darin bekennen sich alle Seiten zu einem einheitlichen, säkularen syrischen Staat. Bis Januar wollen die Großmächte die Regierung in Damaskus und die "gemäßigten" oppositionellen Kräfte an einen Tisch bringen. Vorher soll es an den entsprechenden Frontabschnitten eine Feuerpause zwischen der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und den friedenswilligen aufständischen Verbänden geben. Des weiteren sieht der Plan die Ausarbeitung einer neuen syrischen Verfassung sowie die Durchführung freier und allgemeiner Präsidents- und Parlamentswahlen innerhalb von 18 Monaten vor. Während das neue Parlament in Damaskus die Regierung stellt, wird der neue syrische Präsident, ähnlich dem System in Frankreich und den USA, die Außenpolitik bestimmen und das Oberkommando über die Streitkräfte behalten.

Über die konkrete Umsetzung des ambitionierten Plans wird vor und hinter den Kulissen erbittert gestritten. Washington und Riad beharren darauf, daß sich Assad nicht erneut als Kandidat für die Präsidentenwahl aufstellt. Moskau und Teheran lehnen diese Bedingung dagegen als unzulässige Einmischung in die syrische Innenpolitik kategorisch ab. Was den "säkularen Charakter" des syrischen Staates - eine wichtige Komponente des Wiener Kommuniqués, die der Mehrheit der Syrer die Angst vor der Einführung einer Scharia-Gesetzgebung nehmen sollte - betrifft, so hat der britische Außenminister Philip Hammond diesen inzwischen zur Disposition gestellt. In einem Interview, das am 10. November in der New York Times erschienen ist, legte Hammond mit folgendem Satz ein atemberaubendes Beispiel britischer Arroganz und Doppelzüngigkeit vor: "Was wir [im Westen - Anm. d. SB-Red.] mit säkularer Verfassung meinen und was die Leute in der muslimischen Welt darunter verstehen, werden zwei unterschiedliche Dinge sein."

Als Knackpunkt könnte sich die Frage erweisen, welche oppositionellen Milizen Vertreter zu den Verhandlungen mit der Regierung schicken dürfen und welche auf eine "Terrorliste" gesetzt und von der "internationalen Gemeinschaft" mit allen Mitteln bekämpft werden sollen. Zu letzter Kategorie gehören bereits jetzt der IS und die al-kaida-nahe Al-Nusra-Front. Bei einer Pressekonferenz am 10. November in Washington, unmittelbar nach seinem Treffen mit seinem US-Amtskollegen John Kerry im State Department, meinte Großbritanniens Außenminister Hammond, Saudi-Arabien werde niemals damit einverstanden sein, daß die von Riad unterstützte Miliz Ansar Al Scham, die genau wie IS und Al Nusra einen sunnitischen Gottesstaat in Syrien errichten will, als "terroristische" Vereinigung eingestuft werde. Die von Hammond geforderte "pragmatische Lösung" läuft bereits jetzt auf einen Abschied vom "säkularen Charakter" des syrischen Staats hinaus. Man kann davon ausgehen, daß sich Rußland, der Iran und die Regierung in Damaskus weigern werden, den Vorstellungen der Assad-Gegner, deren umfangreiche finanzielle und militärische Hilfe für die Rebellen Syrien in ein Schlachthaus verwandelt hat, zu entsprechen.

16. November 2015


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