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NAHOST/1441: Entsendet Saudi-Arabien Bodentruppen nach Syrien? (SB)


Entsendet Saudi-Arabien Bodentruppen nach Syrien?

Rußlands Intervention macht die Regimewechselpläne Riads zunichte


Am 3. Februar sind in Genf die internationalen Verhandlungen für Syrien, kaum daß sie begonnen hatten, nach nur drei Tagen gescheitert. Auslöser der vom italienischen UN-Sondervermittler Staffan de Mistura angekündigten "Vertagung" bis zum 25. Februar war der Abzug der syrischen Rebellen, die unter dem Titel Hoher Verhandlungsrat erschienen waren. Zuvor war die Rebellendelegation in Riad unter der Regie Saudi-Arabiens zusammengesetzt worden. Es sollen auch saudische Diplomaten gewesen sein, die in Genf ihren Schützlingen den Befehl zum Abmarsch gegeben haben. Bis zuletzt hatten sich die Rebellen geweigert, sich mit den Vertretern der syrischen Regierung an einen Tisch zu setzen, solange letztere nicht in den Rücktritt von Präsident Baschar Al Assad als Bedingung für eine Friedenslösung einwilligten.

Doch dazu waren ihrerseits die Gesandten aus Damaskus nicht bereit. Schließlich befindet sich die Syrische Arabische Armee (SAA) mit Hilfe der russischen Luftwaffe, iranischer Militärberater sowie schiitischer Milizionäre aus dem benachbarten Ausland allen voran der libanesischen Hisb Allah auf dem Vormarsch. Seit Wochen erzielen die Befürworter eines säkularen syrischen Staates im Süden an der Grenze zu Jordanien und im Norden in der Provinz Latakia sowie im Raum Aleppo einen strategisch wichtigen Geländegewinn nach dem anderen. Waren es im letzten Frühjahr die sunnitischen Rebellen, die dank ausländischer Waffenlieferungen, speziell der US-Antipanzerrakete TOW, die SAA vor sich hertrieben und kurz vor dem Sturm auf Damaskus standen, so hat die im September begonnene Militärintervention Rußlands die Lage grundlegend geändert.

In Aleppo steht die Vertreibung der letzten Rebellenformationen, welche den Ostteil der Handelsmetropole seit zwei Jahren besetzt halten, unmittelbar bevor. Am 3. Februar war es der SAA nach schweren russischen Luftangriffen gelungen, die Belagerung der Städte Nubl und Zahraa, die rund 30 Kilometer nördlich von Aleppo liegen, aufzuheben. Damit ist die Nachschubroute der Rebellen zwischen Aleppo und der türkischen Grenze im Norden abgeschnitten. Sollten die syrischen Streitkräfte nach der bevorstehenden Rückeroberung Ostaleppos weiter in nordöstlicher Richtung marschieren, könnten sie mit Hilfe der syrisch-kurdischen Volkverteidigungseinheiten, die von der Stadt Kobane aus die Region Rojava unter ihrer Kontrolle halten, die gesamte Nordgrenze zur Türkei für die Rebellen fast unpassierbar machen. Für das neo-osmanische "Regime" in Ankara wäre eine solche Entwicklung das Alptraumszenario schlechtin. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, dessen Armee seit vergangenen Sommer mit brutaler Gewalt gegen die PKK in Ostanatolien vorgeht, hat den syrischen Kurden mehrmals mit Krieg gedroht, sollten die YPG auf das westliche Ufer des Euphrats übersetzen. Russischen Militärkreisen zufolge ziehen sich an der syrischen Grenze Verbände der türkischen Bodenstreitkräfte zusammen. Möglicherweise steht ein türkischer Einmarsch in Syrien bevor.

Am 4. Februar, einen Tag nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen in Genf, hat der saudische Brigadegeneral Ahmed Asiri die Bereitschaft Riads zur Entsendung eigener Bodentruppen nach Syrien erklärt. Seit Monaten verlangen die beiden republikanischen US-Senatoren und Kriegstreiber John McCain und Lindsey Graham die Bildung einer mehrere Tausend Mann starken sunnitisch-arabischen Armee, die unter der Leitung des Pentagons im Irak und Syrien die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in die Knie zwingen sowie in Damaskus Assad stürzen soll. In den vergangenen Wochen hat Barack Obamas Verteidigungsminister Ashton Carter wiederholt das angeblich mangelnde Engagement der sunnitischen Staaten am Persischen Golf bei der Anti-IS-Kampagne kritisiert. Die überraschende Offerte Saudi-Arabiens, welcher sich am 5. Februar der Duodezstaat Bahrain anschloß, ist eine Reaktion auf die Kritik aus Washington sowie auf die für die Gegner Assads rapide sich verschlechternde strategische Lage in Syrien.

In Damaskus, Moskau und Teheran braucht man sich wegen einer Entsendung saudischer Truppe nach Syrien keine große Sorgen zu machen. Seit März vergangenen Jahres versuchen die Saudis und ihre sunnitischen Verbündeten am Persischen Golf die Huthi-Rebellen im Jemen vergeblich zu bezwingen. Zwar haben die ausländischen Invasoren die südliche Hafenstadt Aden erobern können, doch sie machen hauptsächlich durch Luftangriffe auf zivile Ziele und eine Seeblockade, welche im Jemen eine gigantische humanitäre Krise verursacht hat, von sich reden. Ihre fehlende militärische Schlagkraft am Boden versuchen die Saudis und die arabischen Golfstaaten mit Hilfe eingekaufter Bodentruppen aus dem Sudan und Marokko sowie ausländischer Söldner aus Lateinamerika wieder wettzumachen.

Dennoch birgt der Vorstoß Riads die Gefahr einer Internationalisierung und einer drastischen Eskalation des Krieges in Syrien in sich. Offenbar sind weder Ankara noch Riad bereit, ihre Pläne für einen "Regimewechsel" in Damaskus aufzugeben. Um die jüngsten Rückschläge ihrer dschihadistischen Stellvertreter in Syrien wie die Al-Nusra-Front und die Ahrar-Al-Sham zu kompensieren, erwägen die Türkei und Saudi-Arabien offenbar, mit eigenen Truppen in den Konflikt einzusteigen. Mit der Schließung der türkischen Grenzübergänge für Flüchtende vor den Kämpfen in Aleppo hat Ankara eine "humanitäre Krise" verursacht, die sich als Vorwand für die Entsendung eigener Bodentruppen in das südliche Nachbarland perfekt eignet. Gelingt es den Verantwortlichen in Washington, Moskau, Ankara, Riad und Teheran nicht schnell, eine Kompromißlösung für ihr gemeinsames Problem Syrien zu finden, dann wird der Krieg dort in eine neue und noch blutigere Phase als bisher eintreten.

6. Februar 2016


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