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NAHOST/1465: Französische Soldaten bei Kämpfen in Libyen gefallen (SB)


Französische Soldaten bei Kämpfen in Libyen gefallen

Demonstrationen gegen ausländische Einmischung in mehreren Städten


In Libyen gestaltet sich die Situation nach wie vor sehr schwierig. Das Land hat drei Regierungen, die sich nicht einigen können, und unzählige, verfeindete Milizen verschiedener Größe sowie ethnischer und religiöser Zugehörigkeit. Hinzu kommt die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), der über Tausende ausländische Kämpfer verfügt und Libyen offenbar zur Brutstätte eines Kalifats in Nordafrika auserkoren hat. Um dies zu verhindern, sind ausländische Spezialstreitkräfte aus den NATO-Staaten USA, Frankreich, Großbritannien und Italien sowie aus Ägypten, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten seit Monaten in Libyen unterwegs. Währenddessen versuchen die Besatzungen westlicher Kriegsschiffe im Mittelmeer, des Stroms aus Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsmigranten Herr zu werden, die aus allen Teilen Afrikas stammen und von Libyen aus mit nicht hochseetauglichen Booten in See stechen.

Noch im März war eine Ende letzten Jahres in Marokko unter Vermittlung der Vereinten Nationen gebildete Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) unter der Leitung des Geschäftsmanns Fayiz Al Sarradsch von Tunesien kommend in Tripolis gelandet und hatte sich in einem Marinestützpunkt verschanzt. Zuvor war ihr mehrmals der Übergang an der tunesisch-libyschen Grenze von verfeindeten Milizionären verwehrt worden. Der in Tripolis seit dem Sturz Muammar Gaddhafis 2011 regierende, von Islamisten dominierte Allgemeine Volkskongreß (General National Congress - GNC) hat die GNA zunächst nicht anerkannt, sich jedoch zurückgezogen und ihr vorerst das Feld überlassen.

Um die Autorität der GNA zu demonstrieren, haben Ende Mai deren Soldaten, verbündete Milizionäre aus der Stadt Misurata und militärisch ausgebildete Mitglieder der Petroleum Facilities Guard (PFG), welche für den Schutz der Ölfelder, Pipelines und Raffinerien Libyens zuständig sind, zum Sturm auf Sirte geblasen, das seit Februar 2015 vom IS kontrolliert und als dessen "Hauptstadt" in Libyen angesehen wird. Die Operation, an der amerikanische und britische Spezialstreitkräfte unter anderem mit Aufklärungsdrohnen teilnehmen und die auch von Kampfjets, die von einem NATO-Flugzeugträger im Mittelmeer starten, unterstützt wird, war ursprünglich auf einen schnellen Erfolg angelegt. Inzwischen dauert sie jedoch fast schon zwei Monate.

Die IS-Dschihadisten lassen sich offenbar nicht so schnell in die Knie zwingen. Sie haben sich im Stadtzentrum verschanzt, das sie erbittert verteidigen. Gleichzeitig benutzen IS-Mitglieder immer wieder gepanzerte Fahrzeuge für Selbstmordanschläge gegen Kontrollpunkte ihrer Gegner an den Ausfallstraßen von Sirte und in dessen Umgebung. Solche Anschläge haben nicht nur eine enorme psychologische Wirkung, sondern richten auch schwere Schäden an. Beim Kampf um Sirte sollen auf seiten der Angreifer mehr als 250 Kämpfer gefallen und über 1400 verwundet worden sein. Die Zahl der bislang getöteten oder verletzten IS-Kämpfer ist unbekannt. Angaben über Opfer unter der Zivilbevölkerung liegen nicht vor.

Am 20. Juli sah sich Frankreichs Präsident Francois Hollande gezwungen, den gewaltsamen Tod der ersten französischen Soldaten in Libyen zu bestätigen. Am Tag davor hatte die Nachrichtenagentur Associated Press den Abschuß eines Hubschraubers und die Tötung mehrerer französischer Militärs gemeldet. Der Vorfall hatte sich am 17. Juli 65 Kilometer westlich von Benghazi ereignet. Eine islamistische Gruppe namens Benghazi Verteidigungsbrigade hatte den Abschuß mit einer tragbaren Boden-Luft-Rakete vom Typ SA-7 für sich reklamiert.

Während Hollande den Einsatz der französischen Spezialstreitkräfte in Libyen unter Verweis auf die nationale Sicherheit Frankreichs und dessen führende Rolle im internationalen "Antiterrorkrieg" rechtfertigte, löste die Nachricht in dem nordafrikanischen Land selbst beträchtliche Empörung aus. In mehreren libyschen Städten, darunter auch in Tripolis, kam es zu spontanen Demonstrationen gegen die ausländische Militärintervention. Auch die GNA hat eine formelle Protestnote an Paris gerichtet. Denn tatsächlich hatten die getöteten französischen Soldaten an einer Operation zur Unterstützung der libyschen Nationalarmee teilgenommen, die unter der Leitung des CIA- Vertrauensmanns, Ex-General Khalifah Hifter, auf der Seite des 2014 vom Volk gewählten, von Tobruk aus das östliche Libyen regierenden Repräsentantenhaus (House of Representatives - HoR) steht.

Seit über zwei Jahren versuchen Hifters Männer vergeblich, die Ansar Al Scharia aus Benghazi zu vertreiben. Während das HoR an dem erfahrenen Ex-General festhält, sehen die Anhänger der GNA sowie des GNC in ihm einen potentiellen Diktator, der Libyen mit starker Hand à la Abd Al Fattah Al Sisi in Ägypten regieren möchte. Die Tatsache, daß Kairo zu den größten Förderer Hifters gehört und diesem finanziell und waffentechnisch unterstützt, bestärkt den Verdacht. In Verbindung mit dem Zugeständnis Hollandes, Frankreichs Soldaten seien nicht nur im Westen sondern auch im Osten Libyens unterwegs, wurde auch bekannt, daß amerikanische, britische und französische Spezialstreitkräfte ein Operationszentrum auf dem Luftwaffenstützpunkt Banina bei Benghazi eingerichtet haben ähnlich dem, das sie auch in Misurata seit Monaten unterhalten.

Nach einem Treffen am 16. Juli zwischen Vertretern der GNA, des GNC und des HoR in Tunis hatte der UN-Sondergesandte Martin Kobler deren Unfähigkeit zum Kompromiß beklagt. Laut Kobler "hängen alle Probleme in Libyen heute mit der Sicherheitsfrage zusammen". Er rief zur Schaffung "einer einheitlichen libyschen Armee unter dem Kommando des Präsidialrates", sprich der GNA, auf. "Ein vereinigtes Libyen wird es nicht geben, solange mehrere Armeen da sind", erklärte er. Ob das zunehmende militärische Engagement des Auslands in Libyen dazu beiträgt, die Zerstrittenheit von GNA, GNC und HoR zu beheben? Man darf seine Zweifel haben. Eher ist damit zu rechnen, daß die ausländische Militärpräsenz in Libyen wie in Afghanistan und im Irak diejenigen Kräfte stärken wird, welche - ob nun IS, Ansar Al Scharia oder der Gaddhafi-Klan - viele Einheimische von der Notwendigkeit eines Kampfs der nationalen Abwehr überzeugen können.

23. Juli 2016


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