Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1469: Syrien - Kampf um Aleppo geht in die Endphase (SB)


Syrien - Kampf um Aleppo geht in die Endphase

Rivalität zwischen Rußland und den USA hält den Syrienkrieg am Laufen


In Syrien geht der Kampf um die einstige Wirtschaftsmetropole Aleppo, die heute einer Ruinenlandschaft gleicht, in die Endphase. Mit Hilfe der russischen Luftwaffe, von Hisb-Allah-Kämpfern aus dem Libanon und dem Irak sowie iranischen Militärberatern hat die Syrische Arabische Armee (SAA) Ende Juli die Kontrolle über die letzte Ausfallstraße aus Aleppo erkämpft und die von der Bevölkerungszahl her zweitgrößte Stadt Syriens umzingelt. Der Ostteil Aleppos, wo sich rund 5000 Aufständische und rund eine Viertelmillion Zivilisten aufhalten, ist von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Den Gegnern des "Regimes" von Baschar Al Assad steht ihre schwerste und vielleicht entscheidenste militärische Niederlage bevor. Um eine solche Entwicklung doch noch zu verhindern, rufen die nicht so heimlichen Unterstützer des seit fünf Jahren währenden Aufstands, die Regierungen des Westens sowie am Persischen Golf, Moskau und Damaskus dazu auf, die Offensive bei Aleppo einzustellen, um "die Zivilbevölkerung zu schonen".

Durch die Zurschaustellung vermeintlicher Sorge um die Nicht-Kombattanten in Aleppo hat die Heuchelei westlicher Politik und Medien einen neuen traurigen Tiefpunkt erreicht. Seit Ende Mai fliegt die amerikanische und französische Luftwaffe verstärkt Bomben- und Raketenangriffe auf die Stadt Manbij im Norden des Gouvernements Aleppo, um einer Großoffensive der vom Pentagon unterstützen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) zum Durchbruch zu verhelfen. Seit Mitte Juni ist Manbij ebenfalls umzingelt. In den letzten Wochen schießt die Zahl der dort bei Luftangriffen getöteten Zivilisten in die Höhe. Am 19. Juli kamen im Dorf Tokhar bis zu 200 Zivilisten, die vor den Kämpfen in Manbij flohen, bei einem gemeinsamen amerikanisch-französischen Luftangriff ums Leben. Es soll sich bei diesem Vorfall um die höchste Opferzahl unter Zivilisten bei einer einzigen Militäroperation im gesamten Syrienkrieg handeln.

Die eigenen Fehltritte hindern die Vertreter Washingtons nicht im geringsten daran, über die Bemühungen der russischen und syrischen Streitkräfte um Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung abfällige Urteile zu treffen. Am 28. Juli hat die SAA mehrere "humanitäre Korridore" eingerichtet, mittels derer Zivilisten Ostaleppo verlassen können, und die Regierung in Damaskus eine Amnestie für Rebellen, die sich ergeben, verkündet. Aus syrischen Hubschraubern wurden Flugblätter mit den entsprechenden Informationen über dem Osten Aleppos verteilt. Ungeachtet der Tatsache, daß die Streitkräfte der USA und des Iraks in den letzten Monaten eine ähnliche Vorgehensweise bei der Vertreibung des IS und der Rückeroberung der Städte Ramadi und Falludscha verfolgt haben, hat Samantha Power, Barack Obamas Botschafterin bei den Vereinten Nationen, das Angebot aus Damaskus an die Eingeschlossenen im Osten Aleppos als "beängstigende" Drohung bezeichnet. US-Außenminister John Kerry nannte den Vorstoß eine "List", mittels derer Moskau und Damaskus lediglich die vollständige Einnahme Aleppos erreichen wollten.

Inzwischen werden SAA und russische Luftwaffe bezichtigt, gezielte Angriffe auf Krankenhäuser im Osten Aleppos durchgeführt sowie im Krieg mit Chlorgas gefüllte Granaten eingesetzt zu haben. Der Chemiewaffenvorfall soll am 2. August bei Sarakeb im Gouvernement Idlib, unweit von Aleppo, passiert sein. Am Tag davor waren in derselben Gegend fünf russische Militärs ums Leben gekommen, als ihr Hubschrauber von Rebellen abgeschossen wurde. Ihrerseits behaupten die Russen, die von der CIA unterstützte Rebellengruppe Nureddin Al Zenki hätte ebenfalls am 2. August durch den Gebrauch eines "giftigen Kampfstoffs" sieben Menschen in dem von der Regierung kontrollierten Stadtteil Salaheddin in Aleppo getötet. Mitte Juli hatten Kämpfer der Nureddin Al Zenki durch die Veröffentlichung eines schockierenden Videos, auf dem zu sehen war, wie sie nahe Aleppo zur eigenen Belustigung mit einem Messer einem zwölfjährigen Jungen den Kopf abschnitten, die Legende von den "gemäßigten" islamistischen Rebellen in Syrien schwer erschüttert.

Der aktuelle Versuch der Al-Nusra-Front, der schlagkräftigsten Rebellenarmee im Syrienkrieg, die Bezeichnung "terroristisch" von sich abzuschütteln, wirft viele Fragen auf. Durch die Umbenennung in Dschabat Fatah Scham und die formelle Trennung von Al Kaida will die bis zu 20.000 Mann starke Formation zu den "gemäßigten" Gruppen gezählt werden, um weiterhin finanzielle und militärische Hilfe der sunnitischen Petromonarchien am Persischen Golf zu erhalten. Wie der legendäre englische Nahost-Korrespondent Robert Fisk am 1. August in der Londoner Zeitung Independent berichtet, stand Emir Tamim bin Hamad Al Thani, der Alleinherrscher Katars, der Scheinabkehr der Jabhat Al Nusra vom globalen Kampf des Al-Kaida-"Netzwerks" Pate. Laut Fisk können Al Thani, die Saudis und letztendlich die USA nicht auf die Männer um Abu Mohammad Al Golani verzichten, wollen sie den von ihnen seit fünf Jahren angestrebten "Regimewechsel" in Damaskus doch noch realisieren.

Jedenfalls scheinen die wochenlangen Gespräche zwischen Rußland und den USA über einen gemeinsamen Kampf gegen die "Terroristen" in Syrien beide Seiten nicht näher gebracht zu haben. Für Moskau ist der Preis, um sich an der Anti-IS-Koalition Washingtons beteiligen zu dürfen, nämlich Assad fallen zu lassen, offenbar zu hoch. Die fehlende Einigung findet deutlichen Ausdruck in der Russophobie, die den Präsidentschaftswahlkampf in den USA seit Ende Juli kennzeichnet. Die demokratische Kandidatin Hillary Clinton bezichtigt den republikanischen Bewerber Donald Trump, der für bessere Beziehungen zu Moskau eintritt, öffentlich, eine Marionette Wladimir Putins zu sein, die auf Amerikas Führungsrolle auf der internationalen Bühne zu verzichten bereit ist. Aus dem Clinton-Lager wird schon jetzt gemeldet, daß nach der eventuellen Rückkehr der ehemaligen First Lady ins Weiße Haus Ende kommenden Januars mit einer deutlich aggressiveren Syrien-Politik der USA zu rechnen sei. Hierzu paßt der Gastkommentar, mit dem am 3. Juli in der New York Times Dennis Ross und Andrew Tabler, beide vom israel-nahen Washington Institute for Near East Policy (WINEP), Stimmung für "The Case for (Finally) Bombing Assad" gemacht haben.

Die voraussichtliche Ära Hillary Clintons vorwegnehmend machte Obama bei einem seltenen Auftritt im Pentagon am 4. Juli Assad und Putin quasi zu den Alleinverantwortlichen für das Chaos in Syrien. Syriens Präsident hätte "sein Land zerstört, nur um an der Macht zu kleben", während Rußland "bereit gewesen" sei, "ein mörderisches Regime zu unterstützen", so Obama. Wie man weiß, verstärken die USA ihre Bemühungen um die Einnahme von Manbij, damit die von ihnen abhängigen SDK noch vor der SAA die IS-Hochburg Rakka im Osten Syriens angreifen und eventuell einnehmen können. Auch wenn demnächst Aleppo tatsächlich an die SAA fallen sollte, kann der Krieg in Syrien wegen der anhaltenden Rivalität zwischen Rußland und dem schiitischen Iran auf der einen Seite und den USA, Frankreich, Großbritannien, Saudi-Arabien, Katar, Jordanien und Israel auf der anderen noch lange dauern.

5. August 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang