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NAHOST/1473: USA richten Flugverbotszone im Norden Syriens ein (SB)


USA richten Flugverbotszone im Norden Syriens ein

Washington spielt die kurdische Karte gegen Ankara und Damaskus


In den USA deuten alle Anzeichen auf einen Sieg der Demokratin Hillary Clinton über den Republikaner Donald Trump, der in sämtlichen Umfragen deutlich zurückliegt, bei der Präsidentenwahl in November hin. In Erwartung des Wiedereinzugs der Clintons ins Weiße Haus im Januar machen schon jetzt die Kriegsfalken mobil. Die republikanischen Neokonservativen preisen seit Monaten die demokratische Präsidentschaftskandidatin als bessere Wahl für den Posten des Oberkommandierenden der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika, während 51 ehemalige Untergebene Clintons aus deren Zeit als Barack Obamas Außenministerin in einem Ende Juni in der New York Times erschienenen offenen Brief ein stärkeres Militärengagement der USA im Syrienkrieg gefordert haben. Seit langem tritt die einstige First Lady für die Einrichtung einer Flugverbotszone ein, um den Aktionsradius der syrischen Luftwaffe einzuschränken. Inoffiziell ist das Pentagon vor wenigen Tagen der Forderung Clintons nachgekommen, als es den Luftraum über der nordsyrischen Stadt Hasaka de facto zur Sperrzone für die syrische Luftwaffe erklärt hat.

Hasaka, Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements, liegt im äußersten Nordosten Syriens im Länderdreieck mit der Türkei und dem Irak. Dort stellen die syrischen Kurden die Bevölkerungsmehrheit. Seit Ausbruch des Kriegs vor fünfeinhalb Jahren herrscht in den kurdischen Gebieten in Hasaka sowie im benachbarten Gouvernement Rakka zwischen der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und den syrisch-kurdischen Volkverteidigungseinheiten YPG eine Art Waffenstillstand. Vereint war man bisher in Gegnerschaft zur "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), die Mitte 2013 die gemäßigte Rebellenformation Freie Syrische Armee (FSA) aus Rakka, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, vertrieben und sie zur Hauptstadt des eigenen Kalifats ausgerufen hatte.

Seit die USA im Sommer 2014 in Reaktion auf die Einnahme Mossuls, der zweitgrößten Stadt des Iraks, durch den IS den Männern um den selbsterklärten Kalifen Abu Bakr Al Baghdadi den Krieg erklärt haben, arbeiten in Hasaka sowie im Raum Kobane nahe Aleppo mehrere hundert Angehörige amerikanischer Spezialstreitkräfte mit den YPG zusammen. An beiden Orten sollen die US-Militärs eigene Luftwaffenstützpunkte eingerichtet bzw. ausgebaut haben. Die YPG haben sich Ende 2015 der von Washington protegierten, als "gemäßigt" geltenden Rebellenformation Syrische Verteidigungskräfte (SDF), in denen auch arabische und assyrische Milizen vertreten sind, angeschlossen.

Die SDF haben inzwischen fast den kompletten Norden des Gouvernments Rakka unter ihre Kontrolle gebracht und stoßen immer weiter westwärts vor. Nach schweren Kämpfen mit der Al-Nusra-Front und anderen dschihadistischen Gruppen haben die SDF am 12. August die Stadt Manbij, die zwischen der ehemaligen Wirtschaftsmetropole Aleppo und der türkischen Grenze liegt, eingenommen. Aktuell versuchen sie die Stadt Jarabulus, die sich direkt an der Grenze zur Türkei, unweit der kurdischen Hochburg Kobane befindet, ebenfalls zu erobern. Gelingt ihnen dies, denn hätten die syrischen Kurden praktisch im gesamten Grenzgebiet Syriens zur Türkei das Sagen. Schließlich gehört die Gründung einer kurdischen Autonomieregion, bestehend aus Hasaka sowie dem Norden der Gouvernemnts Rakka und Aleppo zu den erklärten Kriegszielen der YPG.

Über diese Entwicklung ist die Regierung in Ankara alles andere als glücklich, befürchtet sie doch, daß von einer kurdischen Autonomieregion in Syrien eine Gefahr für die staatliche Einheit der Türkei ausgeht. Während die Türkei gute Beziehungen zur kurdischen Autonomieregion im Irak unterhält, die vom konservativen Klan Masud Barsanis beherrscht wird, steht sie mit den YPG auf Kriegsfuß, weil diese ideologisch mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK Abdullah Öcalans auf derselben Linie liegt. Deswegen greifen seit einigen Tagen türkische Kampjets und Artillerie kurdische Stellungen in Syrien an.

Die Allianz zwischen Pentagon und YPG hat zu einer Abkühlung der Beziehungen zwischen Ankara und Washington geführt. Mit Unbehagen sehen die Türken in der Einrichtung der beiden US-Luftwaffenstützpunkte bei Kobane und Hasaka eine unverantwortliche, gegen sie gerichtete Unterstützung der Autonomie- bzw. Unabhängigkeitsbestrebungen der syrischen Kurden. Vor dem Hintergrund des gescheiterten Staatstreichs in der Türkei Mitte Juni, der mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ohne grünes Licht seitens der CIA stattfand, nähert sich die Türkei Rußland, dem Iran und sogar Syrien, dessen Präsident Baschar Al Assad Ankara seit 2011 zu stürzen versucht, an.

Wie Gareth Porter als einer der wenigen westlichen Beobachter des Geschehens im Nahen Osten am 19. August in einem Artikel bei antiwar.com feststellte, haben sich in den Tagen zuvor die sunnitische Türkei und der schiitische Iran auf eine gemeinsame Linie in der Syrien-Politik geeinigt. Dazu gehören vor allem der Erhalt der Einheit und Integrität des syrischen Staates sowie die Schaffung eines Regierungssystems, in dem "alle Ethnien und Religionen" vertreten sind. Bei einer Erklärung vor dem Parlament in Ankara am 16. August zu den Beratungen mit dem Iran hat der türkische Premierminister Binali Yildirim der Idee der Gründung eines kurdischen Staats eine kategorische Absage erteilt. Vier Tage danach hat sich Yildirim sogar dafür offen gezeigt, daß demnächst russische Kampfjets auf dem NATO-Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationiert werden könnten, um von dort aus "Antiterroroperationen" in Syrien zu fliegen.

Am 16. August brachen in Hasaka Kämpfe zwischen der YPG und der Damaskus-treuen Miliz Nationale Verteidigungskräfte (NDF) aus. Wie es dazu kam ist unklar. Einem Bericht der in England ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge waren YPG-Mitglieder ohne Absprache in die von den NDF kontrollierte Stadt eingedrungen und hatten dadurch die Eskalation provoziert. Auf seiten der NDF griffen daraufhin die SAA und die syrische Luftwaffe ein. Erst nachdem am selben Tag syrische Kampfjets vom Typ Su-24 ihre Bomben abgeworfen hatten, stiegen die F-22 der US-Luftwaffe auf, um sie zu verjagen. Am 17. August haben die amerikanischen Maschinen durch rechtzeitige Luftpräsenz ein Eingreifen der syrischen Luftwaffe verhindert. Am 21. August hat Pentagonsprecher Peter Cook angekündigt, daß die US-Luftwaffe in Hasaka syrische Kampjets abschießen würde, sofern sie eine Gefahr für die amerikanischen Soldaten am Boden darstellten. Cook vermied es tunlichst, den Begriff "Flugverbotszone" zu benutzen - vielleicht deshalb, weil die US-Militärpräsenz in Syrien gegen den Willen der Regierung in Damaskus erfolgt und damit gegen das Völkerrecht verstößt. Inzwischen haben YPG-Kämpfer die letzten NDF-Angehörigen besiegt und Hasaka vollständig eingenommen.

23. August 2016


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