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NAHOST/1493: Ausländische Militärintervention in Libyen nimmt zu (SB)


Ausländische Militärintervention in Libyen nimmt zu

VAE und USA richten neue Basen in Libyen respektive Tunesien ein


Zum großen Durchbruch ist es auf der zweitägigen Libyen-Konferenz, die am 31. Oktober und 1. November in London unter der Schirmherrschaft der beiden Außenminister Boris Johnson und John Kerry stattfand, nicht gekommen. Die Präsenz ranghoher Diplomaten nicht nur aus Großbritannien und den USA, sondern auch aus Frankreich, Italien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zeugte vom Interesse der "internationalen Gemeinschaft" an einer Beendigung des seit dem gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis vor fünf Jahren in dem nordafrikanischen Land herrschenden Chaos. Doch die mangelnde Beteiligung der wichtigsten Akteure Libyens ließ die Suche nach einem Ausweg aus der politische Krise dort nicht zu. Während Premierminister Fayiz Al Sarradsch mit einer Delegation der 2015 mit Hilfe der Vereinten Nationen ins Leben gerufenen Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) aus Tripolis gekommen war, blieben Vertreter der beiden anderen rivalisierenden Machtblöcke, des seit Ende 2011 von der Moslembruderschaft dominierten, ebenfalls in Tripolis residierenden Allgemeinen Volkskongresses (General National Congress - GNC) und des 2014 ins östliche Tobruk geflohenen Abgeordnetenhauses (House of Representatives - HoR), dem Gipfeltreffen an der Themse demonstrativ fern.

Bei den Beratungen im Londoner Prachtbau Lancaster House wurden die Libyer wiederholt zur Zusammenarbeit aufgerufen. Schließlich droht Libyen wegen anhaltender Instabilität, fehlender Steuereinnahmen und häufiger Unterbrechungen der Stromversorgung der wirtschaftliche Kollaps. Davor hatte vor einigen Tagen die Weltbank in Washington nachdrücklich gewarnt. Offenbar hat die Wiederaufnahme des Energieexports, die Ende September die Rückeroberung der wichtigsten Ölverladehäfen durch die Libysche Nationalarmee unter der Leitung des selbsternannten "Feldmarschalls" Khalifa Hifter ermöglicht hatte, nur geringfügig zur Linderung des finanziellen Notstands in Tripolis beigetragen.

Mit Verlauf und Ergebnis der Gespräche in London zeigte sich anschließend der westlich orientierte Al Sarradsch nicht gerade zufrieden. Die ausländischen Partner interessierten sich im Grunde nur für zwei Themen, nämlich für die Bekämpfung des "Terrorismus" und die Eindämmung der "illegalen" Einwanderung Zehntausender Afrikaner von Libyen über das Mittelmeer nach Europa, erklärte der GNA-Chef in einem Interview, das am 2. November in der Zeitung Libya Herald erschienen ist. Auch wenn Al Sarradsch mit der Einschätzung richtig liegt, daß eine Lösung der politischen und wirtschaftlichen Krise in Libyen die Voraussetzung für die Behebung der beiden oben genannten Mißstände sei, kann man gleichzeitig die Ungeduld des Auslands nachvollziehen. Allein in der Nacht vom 2. auf den 3. November sind laut Vereinten Nationen vor der Küste Libyens bei zwei Bootsunglücken mehr als 239 Migranten ertrunken. In diesem Jahr sollen nach Angaben der International Organisation for Migration (IOM) bei der versuchten Überfahrt von Libyen nach Italien bereits mehr als 4220 Bootsflüchtlinge das Leben verloren haben.

Angesichts des politischen und vor allem des militärischen Stillstands in Libyen - seit Mai ist es der GNA mit Hilfe von Milizionären aus Misurata immer noch nicht gelungen, die "Terrororganisation" Islamischer Staat (IS) aus ihrer Hochburg Sirte zu vertreiben, während in Benghazi ein Ende der jahrelangen blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hifters Truppen und der al-kaida-nahen Ansar Al Scharia nicht in Sicht ist - verstärken ausländische Militärs ihre Präsenz im Raum zwischen Ägypten im Osten und Tunesien und Algerien im Westen. Am 28. Oktober meldete die Zeitung Libyan Express unter Berufung auf die militärische Fachzeitschrift Jane's Defence Weekly, daß die Vereinigten Arabischen Emirate in Al Kadim, 100 Kilometer östlich von Benghazi, eine landwirtschaftliche Landepiste umfassend ausgebaut und in einen kompletten Luftwaffenstützpunkt mit Hangars et cetera verwandelt hätten, um Hifters Libysche Nationalarmee noch mehr als bisher bei deren "Operation Würde" gegen islamistische Milizen zu unterstützen. Von Al Kadim aus operieren nun Kampfjets, Kampfhubschrauber sowie unbewaffnete Drohnen, während regelmäßig Transportflugzeuge mit Waffen und Munition landen, so der Libya Express.

Über das Treiben auf dem neuen Fliegerhorst, der südlich der Stadt Al Marj liegt, berichtete am 1. November auch der Blog The New Arab. Dessen Angaben zufolge wird der Stützpunkt der Emirate in Zusammenarbeit mit den Franzosen betrieben. Nur Hifter und dessen engste Vertraute erhielten dort Zugang. Auf dem Gelände seien Militärs aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Frankreich, Ägypten, dessen Diktator General Abdel Al Sisi zu den frühesten Förderern Hifters gehörte, und Pakistan stationiert. Letztere würden die Aufklärungsflugzeuge und Kampfjets der VAE fliegen, meinte The New Arab zu wissen.

Währenddessen hat sich die US-Luftwaffe in Absprache mit der Regierung in Tunis auf einem Stützpunkt der Streitkräfte Tunesiens niedergelassen, um von dort aus in das Geschehen in Libyen eingreifen zu können. Bereits seit Juni führen Aufklärungsdrohnen der USA von dem tunesischen Stützpunkt aus Missionen im libyschen Luftraum durch. Dies berichtete am 26. Oktober die Washington Post. In dem Artikel hieß es unter Verweis auf nicht namentlich genannte Vertreter der Regierung Barack Obamas, auf dem Stützpunkt in Tunesien seien 70 US-Militärangehörige, Personal für den Drohnenbetrieb sowie eine Einheit von Spezialstreitkräften stationiert; die Drohnen seien zur Unterstützung der Offensive gegen die IS-Hochburg Sirte eingesetzt worden.

Bislang weigern sich Tunesien und Italien, wo auf dem US-Stützpunkt Sigonella auf Sizilien ebenfalls Aufklärungsdrohnen stationiert sind, vor allem aus innenpolitischer Rücksicht auf das Empfinden der eigenen Bevölkerungen die Nutzung ihres Territoriums für den Einsatz von Kampfdrohnen zuzulassen. Deswegen kam die einzige US-Kampfdrohne, die bisher an der Sirte-Offensive beteiligt gewesen ist, aus Jordanien. Die große Distanz und die damit einhergehenden Treibstoffkosten verbieten die regelmäßige Wiederholung dieses Vorgangs. Seit Anfang August haben bemannte Kampfjets der US-Luftwaffe mehr als 300 Angriffe auf IS-Stellungen in Sirte geflogen. Angesichts ähnlicher Entwicklungen in Afghanistan, im Irak, im Jemen, in Syrien und Somalia ist es folglich nur eine Frage der Zeit, bis das Pentagon Kampfdrohnen auf dem libyschen Abschnitt des "globalen Antiterrorkriegs" der USA einsetzt, die auf dem afrikanischen Kontinent stationiert sind.

3. November 2016


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