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NAHOST/1512: Inselstreit bringt Ägyptens Diktatur in Bedrängnis (SB)


Inselstreit bringt Ägyptens Diktatur in Bedrängnis

Für Al Sisi wird das Insel-Geschäft mit Saudi-Arabien zur Gefahr


In Ägypten belastet der Streit um die Inseln Tiran und Sanafir die Diktatur von General Abdel Fattah Al Sisi zusehends. Seit dem gewaltsamen Sturz des ersten gewählten Präsidenten Ägyptens, Mohammed Mursi von der Moslembruderschaft, im Sommer 2013 hat sich das Al-Sisi-Regime als unfähig erwiesen, die von ihm versprochene wirtschaftliche Erholung und gesellschaftliche Stabilität des mit 91 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Landes der arabischen Welt herbeizuführen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Tourismus liegt am Boden. Auf der Sinai-Halbinsel bekriegen sich Armee und die "Terrormiliz" Islamischer Staat. Der ägyptische Pfund verliert stetig an Wert, während die Preise für Grundlebensmittel in die Höhe schießen. Die vom IWF geforderten "Reformen", die in Richtung Privatisierung staatlichen Vermögens und eines Abbaus sozialer Absicherungen hinauslaufen, dürfte die ohnehin in Ägypten grassierende Armut nur noch steigern. Der Inselstreit, wodurch der Militärdiktatur das Argument, immerhin Ägyptens staatliche Souveränität garantieren zu können, abhanden gekommen ist, könnte demnächst das Aus für Al Sisi und seine Clique bedeuten.

Im April 2016 hatte die ägyptische Regierung das eigene Volk völlig überrascht, als sie anläßlich des Staatsbesuchs des saudischen Königs Salman bekanntgab, Kairo und Riad hätten sich nach langen Verhandlungen endlich über den genauen Verlauf der gemeinsamen Seegrenze geeinigt und dabei die Rückgabe der Insel Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien vereinbart; in diesem Zusammenhang hätten sich die Saudis bereiterklärt, den Bau einer Autobahnverbindung von der nordwestlichen Küste Saudi-Arabiens über Tiran an die Südostspitze der Sinai-Halbinsel zu finanzieren. In Ägypten schlug die Nachricht wie die sprichwörtliche Bombe ein.

In Kairo und anderen Städten kam es zu den größten Straßenprotesten seit dem Sturz Hosni Mubaraks 2011. In den sozialen Medien am Nil wurde "Tiran und Sanafir bleibt unser" skandiert, während Al Sisi als Staatsverräter, der heiligen ägyptischen Boden gegen Geld von den korrupten Ölscheichs verscherbelt, beschimpft. Die Protestler wiesen darauf hin, daß junge ägyptische Soldaten zweimal - 1956 während der Suezkrise und 1973 während des Yom-Kippur-Kriegs - bei der Verteidigung von Tiran und Sanafir gegen die Streitkräfte Israels gefallen seien. Die zwei unbewohnten Wüsteninseln liegen am Eingang des Golfs von Akaba. Wer sie besitzt, kontrolliert die Straße von Tiran und damit den Schiffsverkehr von und zu den israelischen und jordanischen Häfen am Roten Meer namens Eilat respektive Akaba.

Im Juni 2016 hat ein Gericht die Abtretung der beiden Inseln gestoppt und für illegal erklärt. Gegen das Urteil hat die Sisi-Regierung Einspruch eingelegt, jedoch vor dem obersten Verwaltungsgericht Ägyptens am 16. Januar eine niederschmetternde Niederlage erfahren. Trotz massiver Einschüchterungsversuche der Generalität, in deren Verlauf im Dezember ein Richter unter dubiosen Umständen in einem von Militär betriebenen Hotel nahe dem internationalen Flughafen von Kairo "sich selbst erhängt" hat, kam das Gericht zu dem Entschluß, daß Tiran und Sanafir schon lange ägyptisches Staatsterritorium seien. Im Urteil hieß es, die Regierung in Kairo habe dem Gericht keinen einzigen Beweis vorgelegt, daß die Inseln ursprünglich zu Saudi-Arabien gehörten und lediglich 1950 aus Angst vor einer Beschlagnahmung durch Israel an Ägypten verpachtet worden seien. Die geplante Übertretung von Tiran und Sanafir an die Saudis wäre ein "ungeheurer historischer Fehler" und würde eine "permanente Bedrohung der nationalen Sicherheit Ägyptens ... und eine Beschädigung der wirtschaftlichen Interessen Ägyptens innerhalb seiner Territorialgewässer" bedeuten, so die Richter.

Angeblich überlegt Al Sisi, ob er nun versuchen sollte, vor dem Obersten Gerichtshof das Urteil als unzulässigen Eingriff der Gerichte in die von der Verfassung vorgesehenen Befugnisse der Exekutive auszuhebeln oder nicht. Schließlich halten seit dem Putsch gegen die Moslembruderschaft 2013 die Milliardenspenden der Saudis Ägypten finanziell über Wasser und sichern dem Militärregime in Kairo das Überleben. Der Inselstreit hat sich jedoch zu einer existentiellen Gefahr für den Machterhalt Al Sisis entwickelt, seit vor wenigen Tagen Tonaufnahmen veröffentlicht wurden, auf denen zu hören ist, wie im Vorfeld der Verhandlungen mit Saudi-Arabien Ägyptens Außenminister Samih Shukri mit Yitzhak Molcho, dem langjährigen Berater und Vertrauten des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, den Wortlaut des Seegrenzabkommens abspricht und sich von diesem die einzelnen Passagen absegnen läßt. Al Sisi dürfte nicht entgangen sein, daß es nicht zuletzt eine Kontroverse um vergünstigte Lieferungen ägyptischen Erdgases an Israel gewesen ist, die Ende 2010, Anfang 2011 den Volkszorn zum Überlaufen brachte und Hosni Mubarak den Posten als Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte kostete.

13. Februar 2017


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