Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1516: Die türkische Armee verheddert sich in Syrien (SB)


Die türkische Armee verheddert sich in Syrien

Erdogans neoosmanische Träume zerplatzen an der Wirklichkeit


Der Anspruch Recep Tayyip Erdogans, die Türkei müsse in Syrien und im Irak die Turkmenen und die sunnitisch-arabische Bevölkerung schützen und als neoosmanische Ordnungsmacht auftreten, wird dieser Tage auf eine harte Probe gestellt. Die militärischen Fähigkeiten der türkischen Armee, nach den USA personell die zweitstärkste innerhalb der NATO, läßt an Durchsetzungsvermögen sehr zu wünschen übrig, wie die anhaltenden Kämpfe gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zeigen. Hinzu kommt der diplomatische Zickzackkurs Ankaras, das vergeblich versucht, Rußland und die USA gegeneinander auszuspielen und dabei lediglich die eigene Schwäche allzu sichtbar macht. Der klaffende Widerspruch zwischen "Sultan" Erdogans großtuerischem Gehabe und den wenig ruhmreichen Militärinterventionen der Türkei in Syrien und im Irak wird vermutlich dazu führen, daß die Mehrheit der türkischen Wähler bei der Volksbefragung am 16. April die vom Staatschef und der konservativen AK-Partei propagierte Verfassungsänderung hin zu einem stark auf den Präsidenten zugeschnittenen Regierungssystem ablehnt.

2011 machte Erdogan seinen früheren "Freund", Präsident Baschar Al Assad, für den Aufstand in Syrien verantwortlich und forderte zusammen mit der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton lautstark dessen Rücktritt. Um das Ziel zu erreichen, hat Ankara die Südtürkei in ein Aufmarsch- und Rückzugsgebiet für die syrischen Rebellen verwandelt, die von der CIA und dem türkischen Geheimdienst MIT militärisch, von Saudi-Arabien und Katar finanziell unterstützt werden. Seit 2014 ist die Türkei an der Seite der USA und der anderen NATO-Staaten an der Koalition gegen den IS beteiligt, der bekanntlich weite Teile Ostsyriens und Westiraks kontrolliert. Die Regierungen Erdogans und Barack Obamas bezichtigten sich gegenseitig, am Aufkommen des IS, der aus Al Kaida im Irak und Syrien hervorgegangen ist, beteiligt gewesen zu sein. Fest steht, daß sich beide Seiten vergeblich der Dschihadisten als willkommenen Druckmittels bedient haben, um den erwünschten "Regimewechsel" in Damaskus zu realisieren.

Als Rußland im September 2015 auf Drängen des Irans militärisch in den Syrienkrieg zugunsten der Syrischen Arabischen Armee (SAA) intervenierte, wurde der Vormarsch der Rebellen gestoppt und in sein Gegenteil verkehrt. Der Auftritt der russischen Streitkräfte im südlichen Nachbarland sorgte bei der türkischen Führung zunächst für Verärgerung. Eine Folge war der Abschuß eines russischen Kampfjets am 24. November 2015, der angeblich in den türkischen Luftraum eingedrungen war. Doch der gescheitere Staatsstreich gegen Erdogan am 15. Juli 2016 löste praktisch über Nacht eine neue Harmonie in den Beziehungen zwischen Ankara und Moskau aus. Hinter dem Putschversuch sollen CIA-nahe Kräfte um den Islamgelehrten Fethullah Gülen, der bekanntlich in den USA lebt, gesteckt haben. Angeblich hat Rußlands Präsident Wladimir Putin Erdogan rechtzeitig vor dem bevorstehenden Militärputsch gewarnt. Seitdem koordinieren Moskau und Ankara ihre Syrien-Politik. Rußland und die Türkei standen den jüngsten Friedensverhandlungen, die im Januar in der kasachischen Hauptstadt Astana unter Teilnahme der syrischen Kriegsparteien, des Irans und Saudi-Arabiens, jedoch nicht der USA stattfanden, Pate.

Die Türkei lehnt die Zusammenarbeit zwischen den USA und den Demokratischen Kräften Syriens (Syrian Democratic Forces - SDF) ab, weil letztere mehrheitlich aus Kämpfern der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bestehen, die aus Sicht Ankaras eine Ablegerorganisation der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) sind. Um die SDF vom westlichen Ufer des Euphrats zu vertreiben, sind die türkischen Streitkräfte am 16. August letzten Jahres in die nordsyrische Provinz Aleppo einmarschiert. Gleich in den ersten Tagen der Operation Euphratschild haben sie die Stadt Dscharabulus eingenommen. Der Einzug dort fiel nur deshalb so leicht, weil die Rebellen von der Freien Syrischen Armee (FSA) keinen Widerstand geleistet, sondern sich statt dessen ihren türkischen Verbündeten gleich angeschlossen haben.

Gemeinsam rücken seit November letzten Jahres die türkische Expeditionsstreitmacht und die FSA von Norden her auf die Stadt Al Bab vor, die sich in den Händen des IS befindet. Nach der Vertreibung der letzten Rebellen aus Aleppo im Dezember mit russischer und iranischer Hilfe näherte sich auch die SAA Al Bab von Süden her. Seit einigen Wochen ist die Stadt nun praktisch eingeschlossen. Dank russischer Vermittlung konnte bisher verhindert werden, daß es zum Schlagabtausch zwischen der SAA und den türkischen Streitkräften gekommen ist. Dessen ungeachtet gestaltet sich die Einnahme der lediglich 60.000 Einwohner zählenden Stadt als sehr schwierig. Die FSA soll hohe Verluste erlitten haben. Auch nicht wenige türkische Soldaten sollen entweder schwer verletzt oder ums Leben gekommen sein. Angeblich sollen die IS-Kämpfer Dutzende türkische Panzer und gepanzerte Fahrzeuge zerstört haben.

Angesichts der anhaltenden Belagerung von Al Bab ist die von Erdogan bereits im vergangenen November angekündigte Eroberung der 40 Kilometer noch weiter östlich gelegenen Stadt Manbidsch in weite Ferne gerückt. Die Forderung Ankaras, die türkische Armee solle bei der Offensive gegen die IS-Hochburg Rakka im Osten Syriens die Hauptrolle spielen, weshalb die USA dabei auf die Unterstützung der SDF verzichten sollten, wird in Washington gar nicht ernst genommen. Auch wenn der neue US-Präsident Donald Trump bestrebt ist, Erdogan aus der Putinschen Umarmung zu befreien, will er doch vor allem rasche Siege gegen den IS vorweisen können. Deshalb hält das Pentagon an der Zusammenarbeit mit den SDF fest. Der Sturm der SDF auf Rakka steht unmittelbar bevor. Während sich die SDF vom Norden her mit amerikanischen Panzerwagen und von US-Spezialstreitkräften begleitet in Position bringt, stecken die türkischen Streitkräfte 180 Kilometer weiter östlich am westlichen Ufer des Euphrat fest. Für Erdogan entwickelt sich also das Engagement Ankaras in Syrien zum militärischen Fiasko. Wenn man bedenkt, daß der türkische Präsident immer wieder auch eine führende Rolle für seine Armee bei der laufenden Offensive zur Rückeroberung von Mossul, der zweitgrößten Metropole des Iraks, verlangt, kann man nur den Kopf schütteln.

21. Februar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang