Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1550: Saudi-Arabien gerät ins Taumeln (SB)


Saudi-Arabien gerät ins Taumeln

Riad sucht Rettung durch die Annäherung an Israel


Die jüngste Nachricht von einem Besuch des saudischen Thronfolgers Mohammed Bin Salman Anfang September in Israel elektrisiert die Medien im Nahen Osten. Vielfach wird die Frage erörtert, worum es dabei gegangen sein könnte. Zeitlich fiel die geheimnisumwitterte Visite Mohammed in der vergangenen Woche mit einem Raketenangriff der israelischen Luftwaffe auf einen Militärstützpunkt in Syrien zusammen, in dem der Iran nach Angaben Tel Avivs Raketen für die schiitisch- libanesische Hisb-Allah-Miliz fertigen lasse. Jedenfalls deutet die nicht mehr ganz so "heimliche Allianz", die Saudi-Arabien seit einigen Jahren mit Israel pflegt, auf die Sorge der Monarchie in Riad um ihren Machterhalt hin. Diese Sorge ist mehr als berechtigt.

Nach vor wenigen Jahren wähnten sich die Saudis auf der Siegerstraße der Geschichte. 2011 gelang es ihnen, sich mit Hilfe der NATO des libyschen Erzfeinds Muammar Gaddhafi endgültig zu entledigen. 2013 haben auf Betreiben Riads und Tel Avivs die Militärs in Kairo Mohammed Mursi von der Moslembruderschaft, den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens, gestürzt und das demokratische Experiment im bevölkerungsreichsten Staat der arabischen Welt mit einem großen Gemetzel, bei dem Tausende Menschen getötet und Zehntausende verhaftet wurden, beendet. 2014 sah es noch so aus, als könnten die von Saudi-Arabien und den anderen sunnitischen Staaten am Persischen Golf unterstützten Dschihadisten das säkulare "Regime" Baschar Al Assads in Syrien zu Fall und somit den "schiitischen Bogen" von Teheran über Damaskus nach Südlibanon zum Einsturz bringen.

In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Riad jedoch eine Niederlage nach der anderen hinnehmen müssen. Trotz gigantischen Widerstands seitens Israels und Saudi-Arabiens hat die US-Regierung Barack Obamas 2015 zusammen mit China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rußland im Rahmen eines umfassenden Abkommens den jahrelangen Atomstreit mit dem Iran beigelegt. Im selben Jahr hat Rußland auf Bitten von Damaskus massiv in den Syrienkrieg eingegriffen und den Vormarsch der Rebellen in sein Gegenteil verkehrt. Mit der Befreiung Ostaleppos zur Jahreswende 2016/2017 und der Beendigung der Belagerung der östlichen Provinzhauptstadt Deir ez-Zors vor wenigen Tagen durch die Syrische Arabische Armee (SAA) und ihre iranischen und russischen Verbündeten steht Saudi-Arabien und mit ihm Israel in der Syrien-Politik vor einem Scherbenhaufen. Der großangelegte Versuch, mit "terroristischen" Mitteln in Damaskus einen "Regimewechsel" herbeizuführen, ist gescheitert.

Nach dem Tod von König Abdullah Anfang 2015 trat sein über 80 Jahre alter Bruder Salman die Thronfolge an. Um die ungebrochene Potenz Saudi-Arabiens zu demonstrieren, hat Salmans 30jähriger Sohn, Prinz Mohammed, im März desselben Jahres als neuer Verteidigungsminister im Jemen einen Krieg vom Zaun gebrochen, der dort den gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi zurück an die Macht bringen und die schiitischen Huthi-Rebellen, die angeblich vom Iran unterstützt würden, in die Schranken weisen sollte. Zweieinhalb Jahre später bleiben beide Ziele unerfüllt. Saudi-Arabien hat sich militärisch blamiert, während einzig amerikanische und britische Rüstungsproduzenten sowie die jemenitische Fraktion Al Kaidas von der humanitären Katastrophe im Armenhaus Arabiens profitieren.

Im Juni haben Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten die diplomatischen Beziehungen zu Katar abgebrochen und ein Wirtschaftsembargo gegen das Emirat verhängt. Verlangt wurde von Doha der Abbruch der Beziehungen zur Moslembruderschaft, die auf repräsentative Demokratie setzt und somit eine ideologische Bedrohung der Monarchien in Riad, Abu Dhabi, Manama sowie der Militärdiktatur in Kairo darstellt, die Schließung des Nachrichtensenders Al Jazeera sowie ein Ende des Annäherungskurses gegenüber dem Iran. Katar ist auf keine der Forderungen eingegangen, sondern hat zum Zwecke des Selbsterhalts türkische Truppen ins Land geholt und die Beziehungen zu Teheran ausgebaut. Mit Hilfe des Irans, der Türkei und Rußlands haben die Kataris innerhalb weniger Tage sämtliche blockadebedingten Engpässe bei der Lebensmittelversorgung beheben können. Doha hat seine Eigenständigkeit bewahrt. Riad dagegen hat sich als Papiertiger entpuppt, der ganz umsonst die von ihm zuletzt angeführte Regionalorganisation des Golfkooperationsrats gesprengt hat.

Langanhaltende Niedrigpreise für Öl machen sich seit einiger Zeit im saudischen Staatshaushalt negativ bemerkbar. Darum hatte vor zwei Jahren Kronprinz Mohammed, der Ende Juni unter merkwürdigen Umständen zum Thronfolger wurde und in dieser Funktion den 58jährigen, politisch höchst erfahrenen Innenminister Mohammed Bin Nayef ersetzte, die sogenannte "Vision 2030" entworfen. Mohammeds Plan sieht eine Privatisierung staatlicher Betriebe und Vermögen im großen Stil vor, um Saudi-Arabien für die Zeit nach dem Ende der Öl-Ära zu rüsten. Ausländische Investoren wittern das ganz große Geschäft. Allein der vorgesehene Börsengang für den staatlichen Ölkonzern Aramco könnte 200 Milliarden Dollar einbringen, die den Grundstock für einen saudischen Staatsfonds bilden, der den einheimischen Privatsektor zum Blühen bringen sollte. Doch bedenkt man die Rückständigkeit des saudischen Bildungssystems, wie sie jedes Jahr von der OECD konstatiert wird, dürfte Mohammeds Vision von den zahlreichen Start-Up-Unternehmen im High-Tech-Bereich, die demnächst der saudischen Jugend gut bezahlte Arbeitsplätze bieten sollen, eine Fata morgana bleiben.

Nicht nur das Schulsystem, die ganze Gesellschaft Saudi-Arabiens ist extrem reformbedürftig. Den Tausenden Enkelkindern des Staatsgründers Ibn Saud und deren Familien ein sorgenfreies Luxusleben zu gewährleisten kostet Riad jedes Jahr ein Vermögen. Kronprinz Mohammed würde angeblich gern die Sittengesetze lockern, müßte jedoch befürchten, daß jede Initiative in diese Richtung die religiösen Fundamentalisten auf die Barrikaden treibt. Gleichzeitig ist die strenge wahhabitische Auslegung des Korans in Saudi-Arabien wichtig, denn sie schützt die Saudis vor etwaiger Opposition durch die anderen Stämme. Gerade der jüngste Streit mit Katar destabilisiert Saudi-Arabien im Innern, weil nicht wenige Angehörige der anderen Stämme mit der katarischen Herrscherfamilie Al Thani sympathisieren.

In diesem Sommer ist es zudem in der Ostprovinz, wo die meisten Schiiten Saudi-Arabiens leben und sich auch die meisten Ölfelder befinden, zu den schwersten Unruhen seit Jahrzehnten gekommen. Die saudischen Sicherheitskräfte haben die Stadt Awamiya, die als Hochburg der schiitischen Opposition galt, dem Erdboden gleichgemacht. Wie viele Menschen dabei gewaltsam zu Tode kamen, läßt sich wegen der herrschenden Pressezensur und Behinderung einer unabhängigen Berichterstattung nicht präzise sagen. Ende Juli berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch unter Verweis auf Augenzeugen, daß bis zu 25.000 der 30.000 Einwohner aus Angst um ihr Leben Awamiya verlassen hätten.

Saudi-Arabiens Schiiten, die zehn bis 15 Prozent der saudischen Bevölkerung von mehr als 32 Millionen ausmachen, fühlen sich seit Januar 2016 endgültig wie Staatsfeinde im eigenen Land. Damals wurde der höchste schiitische Geistliche Saudi-Arabiens, Nimr Al Nimr, der 2011 eine Bewegung für politische Reformen angeführt hatte, unter fadenscheinigen Gründen als "Terrorist" hingerichtet. Seitdem sind auch die Beziehungen zwischen Riad und Teheran zerrüttet. Saudi-Arabien steht vor ganz großen innenpolitischen und außenpolitischen Herausforderungen. Doch leider scheint die Führung in Riad ihre Probleme einzig durch die Verschärfung der Konfrontation mit dem Iran - eventuell bis hin zum Krieg, bei dem Saudi-Arabien den USA und Israel natürlich den Vortritt lassen würde - lösen (sic) zu können.

12. September 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang