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NAHOST/1554: Neue UN-Roadmap soll Libyen aus der Krise führen (SB)


Neue UN-Roadmap soll Libyen aus der Krise führen

Ghassan Salamé muß man mehr Glück als Martin Kobler wünschen


In Libyen nehmen die Vereinten Nationen einen neuen Anlauf, die politische Krise zu beenden, in die die von der NATO 2011 gewaltsam herbeigeführte Entmachtung und Ermordung Muammar Gaddhafis das ölreiche nordafrikanische Land gestürzt hat. Am Rande der diesjährigen UN-Generalversammlung in New York hat der portugiesische UN-Generalsekretär António Guterres eine neue "Roadmap" vorgelegt, anhand derer die Streitparteien in Libyen endlich zu einer produktiven Zusammenarbeit finden sollten. Begleitet werden sie hierbei vom ehemaligen libanesischen Kulturminister Ghassan Salamé, der im Juni den deutschen Diplomaten Martin Kobler als UN-Sondergesandten für Libyen abgelöst hat.

Bei Verhandlungen im Dezember 2015 in Marokko unter der Leitung von Kobler einigten sich die Vertreter aller relevanten politischen Gruppierungen auf die sogenannte Libyan Political Agreement (LPA). Jene Vereinbarung sah die Gründung einer Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) mit dem Geschäftsmann Fayiz Al Sarradsch als Premierminister vor. Beratend sollte ein neunköpfiger Präsidentenrat Al Sarradsch zur Seite stehen. Gleichzeitig wurde das Repräsentantenhaus (House of Representatives - HoR) als einzige legitime Volksvertretung anerkannt. Das HoR war aus landesweiten Wahlen 2014 hervorgegangen, doch seine Mitglieder hatten sich wegen Streits mit den Anhängern des von islamistischen Kräften, 2012 entstandenen Allgemeinen Volkskongresses (General National Congress - GNC) um dessen Premierminister Khalifa Mohamed Al Ghweil gezwungen gesehen, sich aus Tripolis in die östliche Hafenstadt Tobruk zurückzuziehen. Dort genießt das HoR den Schutz der Libyschen Nationalarmee (LNA) unter der Leitung des einstigen Gaddhafi-Gegners und Ex-CIA-Verbindungsmanns "Feldmarschall" Khalifah Hifter.

Von Anfang an sind die Dinge für Al Sarradsch und die GNA schlecht gelaufen. Weil Milizen im Westen Libyens ihnen die Einreise aus Tunesien auf dem Landweg verweigerten, mußten sie sich per Schiff im Frühjahr 2016 nach Tripolis begeben. Dort angekommen, haben sich die Mitglieder der neuen Regierung aus Angst um ihr Leben in einem Marinestützpunkt verbarrikadiert. Nur schleppend gelingt es ihnen, die Kontrolle über die verschiedenen Ministerien zu übernehmen. Immer wieder flammen Kämpfe zwischen Sarradschs Wachleuten und Al Ghweils Milizionären auf. Um die GNA zu sichern hat die britische Regierung in diesem August nach einem Besuch von Außenminister Boris Johnson in Tripolis die Entsendung einer Truppe nepalesischer Ghurkas beschlossen.

Was den Stand der GNA erheblich erschwerte ist die Tatsache, daß das HoR entgegen früherer Zusicherungen sie niemals offiziell anerkannt hat. Wegen dieser Haltung haben die EU und die USA gegen den HoR-Vorsitzenden Agila Saleh Sanktionen verhängt. Die Parlamentarier in Tobruk haben sich jedoch von der Maßnahme unbeeindruckt gezeigt, denn die militärischen Erfolge Hifters sicherten ihnen immer mehr Macht. Noch im Sommer 2016 hat die LNA die wichtigsten Ölanlagen des Lands erobert und den Betrieb dort wieder in Gang gesetzt. Im Juli dieses Jahres hat Hifter mit der Vertreibung der Ansar Al Scharia aus Benghazi den bisher größten Erfolg seiner dreijährigen Antiterroroffensive namens "Operation Würde" verzeichnen können. Hifter genießt die militärische und finanzielle Unterstützung Ägyptens, der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Frankreichs und Rußlands. An ihm kommt niemand mehr vorbei. Deshalb bemühen sich seit Monaten London, Paris und Rom um eine Versöhnung zwischen Hifter und Al Sarradsch. Die UN-Roadmap ist das Ergebnis jener Bemühungen.

Der neue Friedensplan sieht eine Verkleinerung des Präsidentenrats von neuen auf drei Personen vor. Es soll demnächst eine Nationalkonferenz abgehalten werden, deren Delegierte, bestehend aus Vertretern sowohl des HoR als auch des GNC, Verbesserungen zum LPA von 2015 vor dessen Ablauf am 17. Dezember ausarbeiten sollen. Beabsichtigt ist die Erstellung einer neuen Verfassung, auf deren Basis 2018 freie und demokratische Wahlen stattfinden können. Ob das alles so reibungslos von statten geht, wie sich UN-Sonderbotschafter Salamé erhofft, darf man bezweifeln. Die mächtigen Milizen der Stadt Misurata, die sich bisher weder Tobruk noch Tripolis gebeugt haben, werden sicherlich ein Wörtchen mitzureden haben. Das gleiche dürfte auch für den einst designierten Nachfolger Muammar Gaddhafis, seinen Lieblingsohn Saif, gelten. Gaddhafi jun., der heute noch großen Rückhalt bei den zahlreichen Anhängern seines Vaters genießt, war im Juni auf Veranlassung des HoR nach fast sechs Jahren in Untersuchungshaft freigelassen worden und hält sich seitdem an einem sicheren Ort im Osten Libyens auf.

23. September 2017


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