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NAHOST/1562: Der Widerstand gegen Ägyptens Militärdiktatur wächst (SB)


Der Widerstand gegen Ägyptens Militärdiktatur wächst

Al Sisis "Regime" erfährt die Begrenztheit der Unterdrückungsgewalt


Als das Militär 2013 in Ägypten nach nur zwei Jahren demokratischer Verhältnisse Mohammed Mursi, den ersten frei gewählten Präsidenten des Landes, stürzte, tat es das mit dem Versprechen, die Stabilität wieder herzustellen. Inzwischen wünschen sich bestimmt viele der rund 100 Millionen Ägypter das "Chaos" der kurzen Mursi-Ära zurück - so grausam sind die gesellschaftlichen Verhältnisse unter der Schreckensherrschaft der Generäle um Abdel Fatah Al Sisi. Beim brutalen Putsch im Juli 2013 gegen Mursi und die damals regierende Moslembruderschaft kamen mehr als 1000 Zivilisten ums Leben. Seitdem hat das Militär mehr als 40.000 Menschen hinter Gitter gebracht, die meisten von ihnen entweder ohne Anklage und/oder nach einer fadenscheinigen Begründung. Verschleppung und Folter finden routinemäßig statt. Die meisten Opfer der staatlicher Willkür werden nach vielleicht einer oder mehreren Nächten im Gefängnis einschließlich körperlicher Mißhandlung bis hin zur Vergewaltigung auf freien Fuß gesetzt. Nicht wenige jedoch werden ermordet, tauchen niemals wieder auf und gelten als "verschwunden". In einem vor kurzem veröffentlichten Studie der New Yorker Human Rights Watch (HRW) hieß es, Ägypten durchlebe "die schlimmste Krise seiner Geschichte in Sachen Menschenrechte".

Jeder, der in Ägypten öffentlich das Militär kritisiert, kann in die Hände von Al Sisis Folterschergen geraten. Wegen des lautstarken Einsatzes für eine unabhängige Justiz sitzt Richter Mahmud Al Khudeiri, trotz hohen Alters und schlechten Gesundheitszustands, im Gefängnis. Ende Juni starb Mohammed Mahdi Akef, langjährige Führungspersönlichkeit der Moslembruderschaft, mit 89 Jahren in Gefangenschaft an Krebs. Akef war im Zuge des Putsches verhaftet worden. Ihm wurde zu Last gelegt, 2013 für den Tod von zwölf Beteiligten am Angriff auf das Hauptquartiers der Moslembruderschaft in Kairo mitverantwortlich zu sein. Obwohl Akef 2016 vom Obersten Berufungsgericht für unschuldig erklärt wurde, weigerte sich das Militär ihn freizulassen aus Angst um seine Popularität und Strahlkraft.

Der Bürgerrechtsanwalt Khaled Ali, Gründer und Anführer der sozialistischen Partei Brot und Freiheit, wollte gegen Amtsinhaber Al Sisi bei der Präsidentenwahl 2018 kandidieren. Daraus wird nichts. Ende September wurde Ali schuldig gesprochen, im Januar anläßlich seines Sieges mit einer juristischen Klage gegen die geplante Übertretung der beiden ägyptischen Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien vor dem Justizpalast in Kairo eine obszöne Geste gemacht zu haben. Wegen dieser Lappalie wurde Ali zu drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Er gilt nun formell als vorbestraft und darf deshalb bei der Präsidentenwahl nicht kandidieren.

Die konsequente Unterdrückung jeglicher kritischen Meinungsäußerung ruft am Nil einen Widerstand hervor, der sich zwangsläufig Gewaltmethoden bedient. Seit vier Jahren sieht sich das ägyptische Militär auf der Sinai-Halbinsel mit einer Gewaltsexplosion konfrontiert, die es trotz aller Bemühungen nicht in den Griff bekommt. Hunderte von Soldaten haben bereits ihr Leben verloren. Auf der relativ kleinen Halbinsel Sinai hat sich ein Ableger des Islamischen Staats (IS) etabliert, dessen Anhänger regelmäßig Militäranlagen überfallen oder Autobomben an Straßenkontrollen in die Luft jagen. Bei einem Vorfall dieser Art starben am 13. Oktober 24 Aufständische und sechs Soldaten, als rund einhundert IS-Freiwillige einen Armeestützpunkt bei der Stadt Sheikh Zuweid, nahe der Grenze zu Israel, mit Granatwerfern und Maschinengewehren angriffen.

Doch das Phänomen des bewaffneten Widerstands gegen das Al-Sisi-Regime beschränkt sich nicht nur auf die Sinai-Halbinsel. Der IS und eine Gruppe namens Hasm, die sich angeblich aus militanten Mitgliedern der Moslembruderschaft rekrutiert, führen in anderen Teilen Ägyptens regelmäßig Attentate gegen politisch konforme Richter sowie Bombenangriffe gegen Kirchen der koptischen Minderheit durch. Nach parallelen Bombenanschlägen an Palmsonntag, den 9. April, auf eine vollbesetzte Kirche in der Ortschaft Tanta im Nildelta und auf die Sankt-Markus-Kathedrale in Kairo - insgesamt forderten die beiden Explosionen 40 Todesopfer - hat Al Sisi die Notstandsverordnung verlängert.

Den bislang schwersten Rückschlag mußten Al Sisi und Ägyptens Generalität am 20. Oktober hinnehmen, als ein Militärkonvoi in einer entlegenen Wüstengegend in der Provinz Gizeh, rund 100 Kilometer westlich von Kairo, überfallen wurde. Aus einem am 22. Oktober erschienenen Bericht der New York Times, die auf eigene Quellen im ägyptischen Militärapparat verwies, geht hervor, daß die Einheit aufgrund eines Hinweises auf dem Weg war, ein Versteck militanter Regierungsgegner auszuheben. Als die Militärs jedoch durch eine Schlucht fuhren, wurden ihre acht Fahrzeuge von allen Seiten angegriffen. Im Kugel- und Granatenhagel fanden 59 Mitglieder der Sicherheitskräfte, die meisten von ihnen junge Militärdienstleistende, aber auch zehn Oberleutnants der Armee und zwei Brigadegeneräle der Polizei, den Tod. Es gelang lediglich zwei Soldaten, mit einem Fahrzeug und einem verletzten Kameraden dem Inferno zu entkommen. In NYT-Artikel hieß es knapp: "Erste Anzeichen sprechen dafür, daß die Polizei mittels falscher oder unvollständiger nachrichtendienstlicher Informationen in einen Hinterhalt gelockt wurde." Leider liegen die Chancen, daß der Vorfall von Gizeh Al Sisi und seine Betonkopf-Clique zum Umdenken veranlaßt, was ihre repressive Innenpolitik betrifft, bei Null.

23. Oktober 2017


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