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NAHOST/1571: Saudische "Reformen" erfolgen auf dem Folterweg (SB)


Saudische "Reformen" erfolgen auf dem Folterweg

Von Mohammed bin Salmans Absolutismus gehen große Kriegsgefahren aus


Hinter der Fassade von Reformen finden in Saudi-Arabien schreckliche Ereignisse statt, die normalerweise in der westlichen Presse Anlaß zu großer Empörung und Abscheu böten. Doch weil europäische und nordamerikanische Großkonzerne, darunter das deutsche Vorzeigeunternehmen Siemens, im Rahmen der anvisierten Umstellung der saudischen Wirtschaft weg von der Ölindustrie hin zur modernen Dienstleistung nach Großaufträgen im Milliardenhöhe schielen, wird der 32jährige Kronprinz Mohammad, der demnächst seinen Vater, den gebrechlichen 82jährigen König Salman auf dem saudischen Thron folgen soll, von den Medien als mutiger Reformer gefeiert, der die verkrusteten Strukturen in seinem Land zu beseitigen versucht, auch wenn sein Vorgehen dabei leider nicht unbedingt den Prinzipien der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen entspricht. Diese Sichtweise ist nicht nur falsch, sondern auch dumm. MbS, wie er inzwischen in den sozialen Medien der arabischen Welt genannt wird, ist ein gefährlicher Hasardeur, der im Innern seine Gegner töten und foltern läßt und in Absprache mit den Regierungen Donald Trumps in den USA und Benjamin Netanjahus in Israel auf einen großen Krieg mit dem Iran zusteuert.

Unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung hat MbS in der Nacht vom 4. auf den 5. November elf Prinzen, vier Minister und Dutzende Ex-Minister sowie die Chefs der wichtigsten Mediengruppen Saudi-Arabiens, ART, MBC und Rotana, festnehmen lassen. Mindestens ein Mitglied der Königsfamilie, Prinz Mansur Bin Mukrin, einst zuständiger Minister für den Schutz der heiligen Moscheen in Mekka und Medina, kam bei der Aktion ums Leben, als beim Fluchtversuch sein Hubschrauber abstürzte bzw. möglicherweise abgeschossen wurde. Die Verhafteten, darunter Prinz Alwaleed bin Talal, einer der reichsten Männer der Welt, und Mutaib Bin Abdullah, bis dahin Leiter der Nationalgarde, werden seitdem im Riader Ritz Carlton und dem gegenüberliegenden Courtyard, Diplomatic Quarter festgehalten.

Die beiden Fünf-Sterne-Hotels gehören zwar der Marriott-Gruppe an, doch findet dort aktuell kein Luxusleben statt. Das Gegenteil ist der Fall. MbS hat die beiden Nobelherbergen in "black sites" à la CIA verwandelt. Nach Angaben der meist gutinformierten Onlinezeitung Middle East Eye werden die Inhaftierten schwer gefoltert. Weil normale saudische Sicherheitsbeamte zuviel Angst und Respekt vor den Geiseln haben, läßt MbS ausländische Folterspezialisten seine Drecksarbeit machen.

Die Leitung bei dem grausamen Treiben soll der frühere ägyptische Innenminister Habib el Adli, der unter Hosni Mubarak lange Zeit als oberster Folterscherge galt und seit den politischen Umwälzungen am Nil 2011 im saudischen Exil lebt, innehaben. Ihm stehen laut der britischen Zeitung Daily Mail Folterexperten aus den USA, Mitarbeiter des Sicherheitsdienstleistungsnehmens Blackwater, das inzwischen Academi heiß und dessen Gründer Erik Prince enge Verbindungen zur Regierung Trump unterhält, zur Verfügung. Die Gefolterten, darunter sogar Prinz Alwaleed, werden mit den Fußen an der Decke aufgehängt, geschlagen und bespuckt. Wie die Financial Times berichtet, kommt frei, wer die gegen ihn erhobenen Vorwürfe anerkennt und sich bereiterklärt, etwa 80 Prozent seines Vermögens an den saudischen Fiskus zu zahlen. Wer dies nicht tut, dem drohen langwierige Verfahren, weiteren Mißhandlungen und der Tod hinter Gittern.

Mit diesen feudalherrschaftlichen Methoden hofft MbS die leeren Staatskassen Saudi-Arabiens, die unter den niedrigen Ölpreisen der letzten Jahren leiden, wieder aufzufüllen. Der Gesamtwert der gesperrten Konten liegt bei etwa 800 Milliarden Dollar. Im Vergleich dazu werden die Einnahmen, die Riad bei der Teilprivatisierung des staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco durch den Börsengang im kommenden Jahr entweder in New York oder London erzielen sollte, auf lediglich 200 Milliarden Dollar geschätzt. Noch ist nicht klar, ob MbS der Zugriff auf all diese Gelder glücken wird. Der juristische Weg könnte lang sein, besonders da sich ein nicht geringer Teil des Vermögens auf ausländischen Bankkonten befindet. Hinzu kommt, daß der rabiate Umgang mit Prinz Alwaleed, der unter der Davos-Clique viele Freunde und Geschäftspartner hat, nicht gerade einladend auf ausländische Großinvestoren wirken dürfte. Wer läßt sich auf die Teilnahme an dem Mammutprojekt Neom, der Errichtung einer hochmodernen Wirtschaftsmetropole namens Neom am Roten Meer nahe Israel und Ägypten, ein, wenn es in Saudi-Arabien keinerlei Rechtssicherheit und keinen Schutz vor juristischer Willkür gibt?

Allenfalls profitiert bisher von der Schreckensherrschaft Mohammed bin Salmans die Waffenindustrie. Seit zweieinhalb Jahren beliefern amerikanische und britische Rüstungsunternehmen die saudischen Streitkräfte mit riesigen Mengen Waffen und Munition zum Gebrauch im Jemen. Dort will MbS den angeblichen Einfluß des Irans zurückdrängen, indem er die schiitischen Huthis bekämpft. Doch bisher läuft der große Anti-Huthi-Feldzug schleppend, was auf die mangelnde militärische Fähigkeit der hochgerüsteten Streitkräfte Saudi-Arabiens und dessen Verbündeten, der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), zurückzuführen ist. Dessen ungeachtet sucht MbS die Konfrontation mit dem Iran auf anderen Feldern.

Verärgert über die Tatsache, daß der großangelegte Versuch, das "Regime" Baschar Al Assads in Syrien mittels sunnitischer Dschihadisten zu stürzen, am Widerstand Rußland, des Irans und der schiitisch-libanesischen Hisb Allah gescheitert ist, schürt Saudi-Arabien im Libanon die konfessionellen Spannungen. Bei der großen Verhaftungswelle Anfang November hat MbS den libanesischen Premierminister Saad Hariri, der auch die saudische Staatsbürgerschaft besitzt, nach Riad bestellt und dazu gezwungen, in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt zu erklären und ihn mit iranischen Umtrieben zu begründen. Erst nach etwa zwei Wochen und auf Drängen des französischen Präsidenten Immanuel Macron hat MbS Hariri in den Libanon zurückkehren lassen, jedoch dessen beide Kinder als Geiseln in Saudi-Arabien behalten. Nun soll Hariri, der Anführer der größten sunnitischen Gruppierung im libanesischen Parlament, von der Hisb Allah, mit der er seit 2016 eine Regierung der nationalen Einheit bildet, verlangen, daß sie ihre Milizionäre aus Syrien abzieht und ihre feindliche Haltung Israel gegenüber aufgibt. Sollte die Hisb Allah, wie erwartet, der Forderung nicht nachkommen, ist die politische Krise im Libanon, die Israel und Saudi-Arabien als Interventionsgrund herhalten soll, vorprogrammiert.

Bei diesem gefährlichen Kurs hält MbS Rücksprache mit Jared Kushner, Donald Trumps Schwiegersohn und Berater, der bekanntlich ein Familienfreund Netanjahus und ein finanzieller Förderer illegaler jüdischer Siedlungen im palästinensischen Westjordanland ist. Um die Fronten für die kommende Auseinandersetzung mit dem Iran zu begradigen, hat MbS vor zwei Wochen auch den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas nach Riad einbestellt. Unter der Androhung, die Finanzhilfe Saudi-Arabiens und der anderen Petromonarchien am Persischen Golf würden sonst gekappt werden, soll Kronprinz Mohammad Abbas den Befehl erteilt haben, entweder dem großen Nahost-Friedensplan der Trump-Regierung, an dem Kushner gerade mit Netanjahu tüftelt, als Gesamtpaket zuzustimmen oder als Präsident Palästinas seinen Hut zu nehmen. Darüber hinaus soll MbS verlangt haben, daß Abbas im Rahmen des Versöhnungskurses seiner PLO mit der Hamas im Gazastreifen dafür sorgt, daß deren Waffen schweigen, wenn demnächst der Krieg an der Nordgrenze Israels zum Libanon und zu Syrien ausbricht. Daß es tatsächlich dazu kommen könnte, darauf deuten die jüngsten Äußerungen des israelischen Generalstabschefs Gadi Eizenkot gegenüber der arabischen Zeitschrift Elaph über nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen Riad und Tel Aviv sowie das große Interview des MbS mit der New York Times hin, in dem am 23. November Saudi-Arabiens neuer starker Mann den Obersten Religionsführers des Irans, Ali Khamenei, als "den neuen Hitler des Nahen Ostens" bezeichnete.

25. November 2017


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