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NAHOST/1575: Syrien - Hebel diverser Interessen ... (SB)


Syrien - Hebel diverser Interessen ...


Vor zwei Tagen ist es zu den schwersten israelischen Luftangriffen gegen Ziele in Syrien seit 1982 im Libanonkrieg gekommen. Auslöser war der Abschuß eines israelischen Kampfjets vom Typ F-16 durch die syrische Luftwaffe wenige Stunden zuvor - ebenfalls ein Novum in der jüngeren Geschichte der Dauerkonfrontation zwischen Damaskus und Tel Aviv. Israel macht den Iran für die Gewaltexplosion verantwortlich und droht mit einem großen Krieg, um den zunehmenden Einfluß Teherans in der Region ein für allemal zu brechen. Auch wenn die jüngsten Vorgänge hauptsächlich den Charakter eines Kräftemessens haben, lassen sie erkennen, wie brandgefährlich die aktuelle Situation in Nahen Osten ist. Die Entscheidung, ob es zum großen Feuerinferno kommt, wird letztendlich in Moskau und Washington getroffen. Derzeit sieht es so aus, als wären Russen und Amerikaner an keiner Eskalation interessiert.

Den Angaben des israelischen Verteidigungsministeriums zufolge war in den frühen Morgenstunden des 10. Februars erstmals eine "iranische Drohne" in den israelischen Luftraum eingedrungen. Solche Fälle hat es in den Vergangenheit gegeben, bis dahin jedoch stets von Libanon aus, und zwar in der Regie der schiitischen Hisb-Allah-Miliz. An diesem Tag soll das unbemannte Flugzeug von einem Stützpunkt im syrischen Südwesten gestartet sein, auf dem sich angeblich Mitglieder der Revolutionsgarden des Irans befinden, weswegen die Israelis die Aktion zu einer gezielte Provokation Teherans deklarierten. Israels Luftabwehr soll den Start der Drohne mitbekommen, ihren Flug verfolgt und erst Gegenmaßnahmen eingeleitet haben, nachdem sie in den israelischen Luftraum eingedrungen war. Dort soll man die Maschine abgeschossen bzw. mit elektronischen Mitteln zu Boden gezwungen haben.

Die Iraner bestreiten nicht den Verlust ihrer Drohne, dafür um so vehementer die ihnen angelastete Verletzung der israelischen Souveränität. Der Widerspruch in den beiden Versionen läßt sich vielleicht durch den Umstand erklären, daß die Drohne über die Golanhöhen geflohen ist, welche Syrien und dessen Verbündete als für völkerrechtswidrig von Israel seit 1967 besetzt halten, während die Israelis in dem strategisch wichtigen Hochplateau inzwischen einen unveräußerlichen Teil des eigenen Staatsterritoriums sehen. Wie dem auch sei, als Vergeltung für den feindlichen Drohneneinsatz haben israelische Kampfjets einige militärische Ziele in Syrien angegriffen. Bei der Rückkehr von dieser Operation ist ein israelischer Kampfjet von einer syrischen Boden-Luft-Rakete - angeblich des nicht gerade hochmodernen Typs S-200 - getroffen worden. Die Maschine ging auf einem Feld im Norden Israels nieder, geriet in Feuer und brannte aus. Der Pilot konnte sich vorher mit dem Schleudersitz retten und würde leicht verletzt von den Kameraden auf der eigenen Seite der Grenze geborgen.

In Reaktion auf den erstmaligen Abschuß einer eigenen Maschine seit 45 Jahren haben die Israelis eine breitangelegte Offensive gestartet, in deren Rahmen acht syrische und vier iranische Militäreinrichtungen in Syrien, darunter Stützpunkte und Luftabwehrbatterien, mit Bomben und Raketen attackiert wurden. In weiten Teilen Syriens und Israels heulten die Sirenen. Im Libanon versetzte sich die Hisb-Allah-Miliz nach eigenen Angaben in Alarmbereitschaft. Gegen Mittag Ortszeit war die ganze Aufregung vorbei. Zuvor hatte Netanjahu kurz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert und diesen um Vermittlung gegeben - die offenbar erfolgt ist.

Unterschiedlich fielen die Reaktionen auf den kurzen, aber heftigen Waffengang aus. In Syrien bejubelten die Anhänger von Präsident Baschar Al Assad den Abschuß des israelischen F-16, den sie als Demonstration einer wiedererstarkten Syrischen Arabischen Armee (SAA), die noch 2015 im Kampf gegen sunnitischen Rebellen auf dem Rückzug gewesen war, feierten. Auch wenn die zum Einsatz gekommene Luftabwehrrakete eine syrische gewesen ist, sehen Experten in dem Abschuß des israelischen Kampfjets eine Warnung Moskaus an die Israelis, sich in Sachen Syrien zu mäßigen. Rußland hat zuviel in die Stabilisierung des "Regimes" in Damaskus investiert, als daß es bereit wäre, seine Bemühungen um ein Ende des Krieges in Syrien von Israel mutwillig torpedieren zu lassen.

In Israel hat Netanjahu die Luftangriffe als erfolgreiches Abschreckungssignal an die "Mullahs" in Teheran für sich verbucht. Seine Wähler mögen ihm diese Interpretation abkaufen. Zyniker, von denen es in Israel nicht wenige gibt, vermuten, Netanjahu habe die Streitkräfte mißbraucht und das Land in Gefahr gebracht, um von den Korruptionsermittlungen, die gegen ihn und seine Gattin Sara laufen und kurz vor ihrem Abschuß stehen, abzulenken. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Haltung der USA. In einer ersten Stellungnahme hat das State Department eine Erklärung herausgegeben, in der Washington - wie üblich - Israels "Recht auf Selbstverteidigung" hervorhob. Kurz darauf jedoch erschien ein Interview mit Donald Trump, in dem der US-Präsident Israel zwar nicht direkt kritisierte, jedoch dessen ernsthaftes Interesse an einem Frieden mit den Palästinensern in Zweifel zog.

Derzeit sehen sich Rußland und die USA im Norden Syriens durch den Militäreinsatz der Türkei gegen die kurdische Miliz YPG mit einer verwickelten Situation konfrontiert, die von einem auf den anderen Moment zu einem Flächenbrand ausarten könnte. Vor diesem Hintergrund dürfte sich die Lust des Kremls und des Weißen Hauses auf einen weiteren heißen Krieg im Süden Syriens zwischen Israelis und Iranern in Grenzen halten. Aller Kriegsrhetorik Netanjahus zum Trotz sind sich die Militärs in lsrael sehr wohl bewußt, daß die Hisb-Allah-Miliz inzwischen über etwa 150.000 ballistische Raketen verfügt und daß ein erneuter Krieg an der libanesischen Grenze und den Golanhöhen mit erheblichen Verlusten bei der eigenen Zivilbevölkerung einherginge. Man kann nur hoffen, daß in der Frage Krieg oder Frieden zwischen Syrien und Israel auf allen Seiten die Gemäßigten das letzte Wort haben.

12. Februar 2018


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