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NAHOST/1598: Riad - saudische Ränke ... (SB)


Riad - saudische Ränke ...


In der arabischen Presse und den sozialen Medien im Nahen Osten will sich das Gerücht nicht legen, daß der 32jährige Kronprinz Mohammed bin Salman, designierter Thronfolger seines Vaters, des 82jährigen, gebrechlichen Konigs Salman bin Abdulasis al Saud, tot ist und daß sein Ableben wegen der zu erwartenden ungeheuren innenpolitischen Auswirkungen in Riad geheimgehalten wird. Angeblich ist MbS am 21. April einem Putschversuch bzw. einem Attentat zum Opfer gefallen. Fest steht, daß der junge Prinz, der seit dem Frühjahr 2015 Verteidigungs- und Wirtschaftsminister in einem ist, seit diesem Datum in der Öffentlichkeit nicht gesehen wurde. Allein dieser Umstand gibt Anlaß zur Spekulationen, denn Prinz Mohammed spielt seit drei Jahren den "neuen starken Mann", dessen Tatendrang allein die verkrustete Gesellschaft Saudi-Arabiens modernisiern und dessen Wirtschaft weg von der Ölindustrie auf Dienstleistung umstellen könne und der mit öffentlichen Auftritten und spektakulären Verlautbarungen seine Landsleute auf dem Weg in das 21. Jahrhundert mitnehmen sollte.

Am Abend des 21. April ist es jedenfalls zu einer heftigen Schießerei in der Nähe des Ouja-Palasts in Riad gekommen. Als eines der wenigen westlichen Medien hat das britische Boulevardblatt Daily Mail über den Vorfall berichtet. Auf dessen Website kann man bis heute eine Videoaufnahme anschauen, die ein Passant oder eine Passantin mit einem Mobiltelefon vor den Mauern des Palasts machte. Der Lärm und die Heftigkeit der Schüsse sprechen gegen die offizielle Erklärung, derzufolge eine Spielzeugdrohne widerrechtlich über das königliche Gelände geflogen ist und deshalb vom Personal abgeschossen wurde. Was sich auf dem Video hinter den Mauern der Residenz von König Salman abspielt, hört sich wie an regelrechtes Feuergefecht unter Einsatz von schweren Waffen an.

Nach den Twitter-Angaben des anonymen, sehr populären Enthüllungsblogger Mujtahidd ibn Harith ibn Hamam, den man den "saudischen Julian Assange" nennt, war der Ouja-Palast von Tätern angegriffen worden, die mit mindestens zwei Geländewagen unterwegs waren, auf denen sich hinten aufmontierte Maschinengewehre befanden. Laut Mujtahidd fielen sechs Mitglieder der königlichen Leibwache und zwei Angreifer im Kugelhagel. Es gab bereits in derselben Nacht auch Berichte in den saudischen sozialen Medien, MbS sei zur eigenen Sicherheit in einen Bunker evakuiert worden. Später hat der Pressesprecher des Königshauses diese Meldung ebenfalls als falsch deklariert. Auffallend ist die Tatsache, daß Ende April, als Mike Pompeo Riad besuchte, der neue US-Außenminister öffentlich nur von König Salman und dem saudischen Amtskollegen Adel Al Dschubeir empfangen wurde - von dem sonst allgegenwärtigen MbS keine Spur.

Wer könnte hinter einem solchen Überfall, wenn es denn einer war, stecken? Nun, MbS hat bekanntlich im März 2015 als Machtdemonstrationen einen erbarmungslosen Krieg im Jemen vom Zaun gebrochen, der inzwischen Zehntausende Menschen das Leben gekostet und im Armenhaus Arabiens eine humanitäre Krise biblischen Ausmaßes verursacht hat. Am 19. April war der Hauptgegner Riads im Jemen, Saleh Al Samad, Anführer der schiitischen Huthi-Bewegung Ansarullah, bei einem saudischen Luftangriff auf die Hafenstadt Hudaida am Roten Meer getötet worden. Al Samads Nachfolger Abdul Malik Al Houthi hat am selben Tag angekündigt, das "Verbrechen" werde nicht "ohne Strafe" bleiben. Inwieweit die Huthis in der Lage wären, einen Anschlag auf MbS durchzuführen, ist unbekannt. Mit Sicherheit jedoch hätten sie ein sehr starkes Motiv, ihn ins Jenseits zu befördern.

Doch auch in Saudi-Arabien selbst hat sich MbS mit seinem rücksichtslosen "Modernisierungskurs" viele Feinde gemacht. Hierzu gehören vor allem der ehemalige Innenminister Ahmed bin Abdulasis und die beiden Kronprinzen Mukrin bin Abdulasis und Muhammed bin Naif, die MbS bei seinem rasanten Aufstieg der letzten drei Jahren als aussichtsreiche Thronanwärter verdrängt hat. Alle drei Männer verfügen über Anhänger in den eigenen Klans sowie beim Militär und im Geheimdienst. Deshalb umgibt sich MbS mit ausländischem Sicherheitspersonal, das über jeden Verdacht der Sympathie für irgendwelche internen Rivalen erhaben ist.

Im vergangenen November hat MbS in einer spektakulären Blitzaktion mehr als 200 der reichsten Männer Saudi-Arabiens verhaften lassen. Sie wurden wochenlang unter menschenunwürdigen Bedingungen in den beiden Fünf-Sterne-Hotels in Riad, Ritz Carlton und Courtyard, Diplomatic Quarter, festgehalten und körperlich mißhandelt, bis sie glaubhaft versprachen, einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens in die Staatskasse zu zahlen. Geleitet wurde die Folterorgie vom ehemaligen ägyptischen Innenminister Habib el Adli, der lange Jahre Handlanger Hosni Mubaraks war. Der hier von MbS begangene eklatante Bruch mit traditionellen Formen der Streitschlichtung innerhalb der saudischen Aristokratie wurde damals von Experten als hochriskant und lebensgefährlich bezeichnet. Der junge Prinz hat Männer, die Respekt und Würde erwarteten, wie gemeine Diebe behandelt und dürfte dabei Rachegelüste gegen seine eigene Person in einem ungeheuren Ausmaß gesät haben.

In einem Interview mit der Onlinezeitung Middle East Eye, das am 21. Mai erschienen ist, hat Prinz Khaled bin Farhan, der seit 2013 im Exil in Deutschland lebt, Ahmed bin Abdulasis und Mukrin bin Abdulasis dazu aufgerufen, König Salman zu stürzen und MbS endlich kaltzustellen, bevor letzterer Saudi-Arabien endgültig ins Chaos stürzt. Möglicherweise sind die von Khaled gewünschten Veränderungen bereits im Gange. Am 27. Mai berichtete der pan-arabische libanesische Fernsehsender Al Mayadeen unter Berufung auf den in Großbritannien im Exil lebenden Mohammed Al Massari, Generalsekretär der oppositionellen Islamischen Erneuerungspartei Saudi-Arabiens, MbS habe bei dem besagten Überfall in Riad Ende April zwei Schüsse abbekommen. Ähnliches hatte zuvor die der Obersten Geistlichkeit Ajatollah Ali Khamenei treu ergebene iranische Zeitung Kayhan gemeldet.

In diesem Zusammenhang hat ebenfalls am 27. Mai Pepe Escobar, der renommierte Auslandskorrespondent der Asia Times Online, auf seiner Facebook-Seite einen recht plausiblen "Update" zum Schicksal von MbS gepostet. Die Angaben stammen von einer anonymen Quelle Escobars, die angeblich dem "Haus Saud" nahesteht und (in einer Übersetzung des Schattenblicks aus dem Englischen) wie folgt lautet:

Was passiert sein könnte, ist, daß MbS bereits tot ist und daß sie an der Beseitigung von König Salman arbeiten, die Zeit kostet. Alles, was er machen muß, ist, vor den Kameras zu posieren, um zu zeigen, daß er lebt, statt Bilder, die vor Monaten aufgenommen worden sein könnten, zu veröffentlichen. Während der Machtkampf tobt, wird Stillschweigen gewahrt. Muhammed bin Naif, der bereits Thronfolger war, soll der nächste König werden. Bin Naif befand sich unter Hausarrest, bis MbS erschossen wurde.

29. Mai 2018


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