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NAHOST/1601: Jemen - Der Westen, die Saudis und ihr Kriegsvorwand ... (SB)


Jemen - Der Westen, die Saudis und ihr Kriegsvorwand ...


Unfähig, im Jemenkrieg seit März 2015 die Huthi-Rebellen auf dem Schlachtfeld zu bezwingen, greifen die ausländischen Invasoren, namentlich die Feudalherrscherschaften Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), unterstützt von ihren westlichen Verbündeten und Rüstungslieferanten USA, Großbritannien und Frankreich, auf das perfide und illegale Mittel des Aushungerns zurück. Aktuell versuchen sie mit einer Großoffensive die Hafenstadt Hudeida am Roten Meer, über die 90 Prozent der Lebensmittel für die 18 Millionen Menschen in der von den Huthis kontrollierten Nordwesthälfte des Jemens gelangen, einzunehmen.

Gelingt es Riad und Abu Dhabi, Hudeida zu erobern, wäre die jemenitische Hauptstadt Sanaa und die umliegende Gebirgsregion praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Die Huthis verlören damit ihre wichtigste Einnahmequelle - die Zollgebühren in Hudeida im Wert von 30 bis 40 Millionen Dollar im Jahr -, mit der sie den ungleichen Kampf gegen die feindliche Koalitionsarmee finanzieren. Ob sie dann aufgeben würden, ist zu bezweifeln. Schließlich haben die Huthis in den letzten drei Jahren ihre Überlegenheit im Bereich des Guerilla-Krieges demonstriert. Folglich wollen die Saudis und die Emirater die Zivilbevölkerung in Geiselhaft nehmen, um die ohnehin im nordwestlichen Jemen herrschende Hungersnot drastisch zu verschlimmern in der Hoffnung, daß die Huthis, auch Ansarullah-Bewegung genannt, aus humanitären Gründen doch noch die weiße Fahne hissen.

Wer glaubt, die Saudis und die Emirater würden Rücksicht auf die Zivilbevölkerung des Jemens nehmen, um ihre Ziele zu erreichen, ist nicht bei Trost. Den Krieg im Jemen haben sie allein angezettelt, um ihre Marionette, Interimspräsident Abd Rabbu Mansur Hadi, der Ende 2014 von den Huthis gestürzt worden war, wieder zur Macht zu verhelfen. Den sunnitischen Königshäusern ging es in aller erster Linie darum, ein Überspringen des Volksaufstandes im Jemen im Zuge des arabischen Frühlings 2011 auf ihre eigenen Autokratien zu verhindern. Die These von den Huthis als "fünfte Kolonne" des Irans, mit deren Hilfe das "Mullah-Regime" in Teheran die Kontrolle über den Südwesten der Arabischen Halbinsel und damit auch der strategischen Meeresenge Bab Al Mandab zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean erlangen will, war und bleibt vorgeschoben. Bisher haben die Huthis lediglich diplomatische und moralische Unterstützung aus Teheran erfahren. Entgegen anderslautenden Behauptungen - allen voran von Nikki Haley, der zu spektakulären PR-Auftritten neigenden UN-Botschafterin der USA - hat es bis heute keinen einzigen Beweis für iranische Rüstungslieferungen an die Huthis, der einer näheren Überprüfung standhielte, gegeben. Und auch kein Mitglied der iranischen Revolutionsgarde ist bis heute im Jemen gesichtet worden. Vor diesem Hintergrund ist der von den westlichen Medien vermittelte Eindruck, bei einer Einnahme Hudeidas ließe sich der Waffennachschub für die Ansarullah-Bewegung und damit den Konflikt zum Erliegen bringen, nichts als eine durchsichtige Scharade.

Seit mehr als drei Jahren werfen saudische und emiratische Kampfjets Bomben und Raketen auf Wohnhäuser, Krankenhäuser, öffentliche Gebäude, Brücken, Wasseraufbereitungsanlagen und Hochzeitsgesellschaften ab. Ihre gezielten Angriffe auf landwirtschaftliche Betriebe dienen ausschließlich dem Zweck, für eine Lebensmittelknappheit zu sorgen und somit die Zivilbevölkerung gegen die Huthis aufzubringen. Gerade erst am 11. Juni haben sie eine Krankenstation im nordwestlichen Sadaa, in der Angehörige der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Cholera-Patienten behandelten, in Schutt und Asche gelegt.

Nachdem die Huthis eine von den VAE gesetzte Frist um Mitternacht am 12. Juni zur Räumung Hudeidas verstreichen ließen, hat in den frühen Morgenstunden Operation Goldener Sieg begonnen. An der Offensive nehmen emiratische und saudische Offiziere teil. Das Gros der 25.000 Mann starken Koalitionsstreitmacht bilden die Al-Amalikah-Brigaden, deren Angehörige meistens aus Südjemen kommen und deren Sold von den VAE bezahlt wird, sowie die Überreste der Republikanischen Garde des Jemens, die dem früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh treu ergeben waren und seit dessen gewaltsamen Tod durch die Huthis im vergangenen Dezember dessen Neffen Tarek Saleh folgen. Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl von Soldaten aus Eritrea und Sudan. Am 16. Juni meldete Le Figaro unter Verweis auf Quellen im Pariser Verteidigungsministerium die Anwesenheit französischer Spezialstreitkräfte im Jemen. Es gibt unbestätigte Meldungen, wonach auch amerikanische und britische Spezialstreitkräfte in beratender Funktion den Sturm auf Hudeida begleiten.

Interimspräsident Hadi, der seit über einem Jahr unter inoffiziellem Hausarrest in Riad stand, durfte am 12. Juni Abu Dhabi besuchen. Am 13. Juni erklärte er, daß alle Verhandlungen über eine friedliche Übergabe von Hudeida und einen Abzug der Huthis von der Küste gescheitert waren. Am 14. Juni tauchte er überraschend in der südlichen Hafenmetropole Aden auf, wo die Emirater seit dem Sommer 2015 das Sagen haben, angeblich um das Ende des Fastenmonats Ramada mit seinen Anhängern zu feiern. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß Riad und Abu Dhabi Hadi in sein Heimatland haben zurückkehren lassen, damit auch er eine Verantwortung für den ungeheuren Verlust an menschlichem Leben mitträgt, den alle Beobachter infolge des Kampfs um Hudeida erwarten.

Die ersten Tage der Offensive sind für die Angreifer nicht allzu erfolgreich gewesen. Die Anti-Huthi-Koalition hat sich rasch dem Flughafen von Hudeida am Südrand der Stadt genähert, jedoch wegen erbitterter Gegenwehr nicht einnehmen können. Immer wieder werden nachrückende Einheiten, die mit Geländewagen aus dem 184 Kilometer weiter südlich liegenden Mokka kommen, auf der Küstenstraße von den Huthis angegriffen. Gleich zum Auftakt der Kämpfe meldeten die Huthis, sie hätten ein emiratisches Kriegsschiff mit Raketen versenkt. Eine genaue Anzahl der gefallenen Soldaten gibt es nicht. Sie dürfte jedoch bereits in die Hunderte gehen. Über Tote und Verletzte seitens der Zivilbevölkerung ist auch wenig bekannt. Die Zahl dürfte auch nicht gering sein, denn die Stadt ist praktisch pausenlos Luftangriffen und Artilleriefeuer ausgesetzt.

Noch vor Beginn der Kämpfe um Hudeida hatte Lise Grande, die UN-Koordinatorin der humanitären Hilfeleistungen im Jemen, vor bis zu 250.000 Toten gewarnt. Die Einschätzung scheint nicht übertrieben zu sein. Während die Medien seit Jahren regelmäßig die Zahl derjenigen, die seit März 2015 im Jemen einen gewaltsamen Tod gestorben sind, mit etwas über 10.000 angeben, wird die Tatsache von 50.000 Todesfällen pro Jahr aufgrund von Mangelernährung oder unzureichender medizinischer Versorgung infolge des militärischen Konflikts geflissentlich ignoriert. Nicht umsonst bezeichnet das UN-Kinderhilfswerk UNICEF die Lage im Jemen als größte humanitäre Krise der Welt. Von daher war die Erklärung der britischen UN-Botschafterin Karen Pierce am 16. Juni, wonach London - zusammen mit Washington und Paris - die schwedische Resolution im Sicherheitsrat, mit der alle Seiten zum Waffenstillstand bei Hudeida aufgefordert werden sollten, aus Gründen "nationalen Interesses" ablehnte, mehr als schäbig. Die britischen, amerikanischen und französischen Rüstungskonzerne verdienen offenbar viel zu gut an der Abschlachterei im Jemen, als daß ihnen ein baldiges Ende gelegen käme.

18. Juni 2018


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