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NAHOST/1628: Jemen - Mord ist an der Tagesordnung ... (SB)


Jemen - Mord ist an der Tagesordnung ...


Während sich Politiker und staatskonforme Medienkommentatoren in Europa und Nordamerika an den gruseligen Einzelheiten des grauenhaften Foltertods des saudischen Journalisten Jamal Khasoggi am 2. Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul durch die Hände der Schergen von Kronprinz Mohammed Bin Salman ergötzen und den Fall benutzen, um mit der moralischen Keule auf das Königshaus Saudi-Arabiens einzudreschen, entlarvt ein spektakulärer Enthüllungsbericht das Empörungsgeschrei des Westens als vollkommen verlogen. Von den rund 50.000 Toten und Millionen von Hungernden infolge des von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten im Frühjahr 2015 losgetretenen Kriegs im Jemen ist hier nicht die Rede. Es geht vielmehr um stichhaltige Hinweise, daß in den letzten Jahren in der Südosthälfte des Jemen, welche die Truppen Riads und Abu Dhabis kontrollieren, eine amerikanisch-israelische Söldnereinheit zahlreiche Politiker und Geistliche, die der fremdländischen Intervention gegen die schiitischen Huthi-Rebellen kritisch gegenüberstehen, ermordet hat und zwar im ausdrücklichen Auftrag Abu Dhabis.

Seit Ende 2015 sind vor allem in Aden, der provisorischen Hauptstadt der Regierung des 2014 von den Huthis gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi, Dutzende führender Mitglieder der Islah-Partei, des jemenitischen Ablegers der Moslembruderschaft, gezielten Hinrichtungsoperationen zum Opfer gefallen. Das prominenteste Opfer in diesem Jahr war der Prediger Schauki Kamadi, der am 13. Februar vor dem Eingang der Al-Thwar-Moschee in der strategisch wichtigen Hafenstadt von mehreren aus der Entfernung abgegebenen Schüssen eines unbekannten Attentäters tödlich getroffen wurde. Auf Facebook hat die Bürgerrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin von 2011 Tawakkol Karman, die in Aden lebt, die VAE bezichtigt, mit der Mordserie Kritiker ausschalten und den Süden Jemens zu einem "Vasallenstaat" machen zu wollen.

Seit der Landung der Emirater in Aden im Sommer 2015 kommt es zu Spannungen zwischen ihnen und den Befürwortern der Abspaltung Südjemens auf der einen und der Islah-Partei, die im Streit mit den Huthis Hadis unterstützen und an der staatlichen Einheit festhalten wollen, auf der anderen Seite. Die Vertreter der Islah-Partei lehnten den Bürgerkrieg lange Zeit als gesellschaftlich kontraproduktiv ab und warfen den VAE vor, die südlichen Separatisten in Richtung Unabhängigkeit zu ermutigen. Die Mordkampagne hat ihre Wirkung offenbar nicht verfehlt. Im Dezember 2017 reisten der Islah-Vorsitzende Oberst Mohammed Abdullah Al Jidumi und sein Generalsekretär Abdulwahab Ahmed Al Anisi nach Riad, um den Kronprinzen Saudi-Arabiens und der VAE, Mohammed Bin Salman und Scheich Muhammed Bin Zayid Al Nahyan, ihre Ergebenheit zu demonstrieren. Möglicherweise haben sich die beiden Islah-Vertreter gegenüber dem Prinzenpaar nicht hinreichend unterworfen - bedenkt man die bereits erwähnte Hinrichtung von Schauki Kamadi wenige Monate später.

In dem ausführlichen und erhellenden Artikel des Nachrichtenportals Buzzfeed News, der die Überschrift "American Mercenaries Were Hired To Assassinate Politicians In The Middle East" trug, hat der Journalist Aram Roston die beiden Leiter der westlichen Killertruppe der VAE in Aden präsentiert und diese ihre "Heldengeschichten" aus Jemen zum Besten geben lassen. Es handelt sich um den ungarisch-israelischen Sicherheitsdienstleister Abraham Golan, einen Ex-Fremdenlegionär Frankreichs mit guten Verbindungen zu den israelischen Spezialstreitkräften, und seinen früheren Mitarbeiter Isaac Gilmore, einen ehemaligen Navy SEAL der USA. Ihre Erzählung wird gestützt durch Dokumente, Bilder und sogar die Drohnenaufnahme des gescheiterten Attentats auf den früheren Anführer der Islah-Partei, Anssaf Ali Mayo, der am späten Abend des 29. Dezember 2015 mittels eines Bombenanschlags auf das Hauptbüro der Organisation in Aden zusammen mit allen Teilnehmer eines größeren Treffens liquidiert werden sollte. Zum Glück für Mayo hat er zehn Minuten vor der Zündung der Bombe das Gebäude verlassen. Angeblich hat die Explosion lediglich Sachschäden angerichtet.

Angeheuert wurden Gilmore und Golan, letzterem gehört die im Bundesstaat Delaware ansässige Söldnerfirma Spear Operations Group, für die Mission im Jemen von Mohammed Dahlan, dem früheren Sicherheitschef der PLO, der seit dem mißlungenen Putschversuch gegen die Hamas im Gazastreifen 2007 im emiratischen Exil unter dem Schutz der Herrscherfamilie der VAE lebt und ihr als Sonderberater mit Verantwortung für besonders heikle Angelegenheiten - nicht nur im Jemen, sondern auch in Libyen und anderswo im Nahen Osten - dient. Im Buzzfeed-Artikel ist ein Foto der drei Männer bei jenem Essen im italienischen Restaurant in Abu Dhabi zu sehen, bei dem 2015 der anrüchige Auftrag ausgehandelt wurde. Eine wichtige Bedingung für Golan und Gilmore war, daß sie offiziell in den Militärdienst der VAE aufgenommen wurden, um ihrem Handeln zumindest den Schein der Legalität zu verleihen. Die Bitte wurde gewährt. Golan erhielt den Rang eines Obersten, Gilmore wurde Oberstleutnant. Spear bekam 1,5 Millionen Dollar im Monat. Bei Erfolg gab es Zulagen. Golan und Gilmore heuerten rund ein Dutzend ehemalige Elitesoldaten aus westlichen Nationen an, ließen sich mit ihnen in einem sicheren Haus in Aden nieder und gingen ans Werk.

Der Artikel liest sich wie das Drehbuch eines Agententhrillers à la Tom Cruise. Die Fotos von Golan, Gilmore und ihren Kameraden mit Sonnenbrillen, Bärten, Tätowierungen, Kanonen und Kampfmonturen vor irgendwelchen Transportflugzeugen oder Basiscamps lassen erkennen, daß sie im Jemen ihre testosterongetriebenen Machoträume voll auslebten. Golan findet an dem, was sie in Aden gemacht haben, nicht das Geringste auszusetzen. Im Artikel vergleicht er das Vorgehen der Spear Operations Group mit jenem der israelischen Streitkräfte gegen Hamas, Hisb Allah et cetera. "Es gab ein Programm der gezielten Hinrichtungen im Jemen. Ich habe es geleitet. Wir haben es umgesetzt. Es war von den VAE im Rahmen der [von Saudi-Arabien angeführten] Koalition genehmigt worden", so Golan. Ziel der Operation sei es gewesen, die Islah-Partei, die er "den politischen Arm einer terroristischen Organisation" - gemeint ist die Moslembruderschaft - nennt, "zu stören und zu zerstören". Golan, dessen Schwarz-Weiß-Ansichten über den Nahen Osten und Muslime sich von denjenigen Benjamin Netanjahus, Donald Trumps, John Boltons und Frank Gaffneys in nichts unterscheiden, behauptet, die USA sollten weltweit so vorgehen, wie er und seine Leute es im Jemen gemacht haben. "Ich will nur, daß es zur Debatte kommt. Vielleicht bin ich ein Monster. Vielleicht sollte ich im Gefängnis sitzen. Vielleicht bin ich ein Schurke. Aber ich habe recht", so die Rhetorik des modernen Zivilisationskriegers westlicher Prägung.

Im Jemen hat der Bericht von Buzzfeed News hohe Wellen geschlagen. Viele Menschen, allen voran die Einwohner von Aden, sehen darin ihre schlimmsten Vermutungen bestätigt. Gegenüber der Onlinezeitung Middle East Eye hat der jemenitische Politikanalytiker Nabil Al Bukiri, der normalerweise für das Portal The New Arab schreibt, den Artikel als "höchst brisant" bezeichnet. "Er liefert harte Beweise für die Verwicklung der Emirate in die Unterstützung einer Attentäterzelle, der Israelis und Amerikaner angehörten und die das Ziel hatte, Anführer des Widerstands, politische und religiöse Persönlichkeiten in Aden, zu töten. Dieser Bericht verlangt dringend nach einer internationalen Untersuchung, um mehr Informationen zutage zu fördern und damit der Internationale Strafgerichtshof Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen aufnehmen kann", so Al Bukiri.

18. Oktober 2018


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