Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1650: Libyen - es geht ums Öl ... (SB)


Libyen - es geht ums Öl ...


In Libyen scheint der Machtkampf zwischen den beiden rivalisierenden Administrationen, der von der Moslembruderschaft unterstützten Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch in der Hauptstadt Tripolis im Westen und der des seit 2014 im östlichen Tobruk sitzenden Repräsentantenhauses (House of Representatives - HoR) entschieden zu sein. Nach einer Blitzoffensive im Süden kontrolliert Tobruks Libysche Nationalarmee (LNA), die unter dem Befehl des ehemaligen Gaddhafi-Getreuen und späteren CIA-Verbindungsmanns Khalifa Hifter steht, Zweidrittel des libyschen Staatsgebietes. Hifters Männer drängen diesen angeblich bereits, die laufende Offensive Richtung Norden fortzusetzen und Tripolis zu erstürmen. Doch der "Feldmarschall" überlegt seine nächsten Schritte noch.

Drei Jahre Zeit - von 2014 bis 2017 - nahm sich die LNA für die zugegeben schwierige Vertreibung der islamistischen "Terrormiliz" Ansar Al Scharia aus Benghazi. Erst danach konnten Hifters Männer ihre Kontrolle über den gesamten Osten Libyens einschließlich der wichtigsten Ölraffinerien und Verladehäfen am Golf von Sirte ausbauen und konsolidieren. Im Vergleich dazu ist die Eroberung des Südens in Windeseile gelungen. Mitte Januar stießen die LNA-Militärkolonnen in die libysche Wüste vor. Bereits in der ersten Februarwoche wurde die Einnahme von El Scharara, des größten Ölfelds Libyens gemeldet, das aus Protest gegen nicht gezahlte Gehälter und ausgebliebene Ressourcenverteilung seitens der Regierung in Tripolis von den Bediensteten und befreundeten Stammesmilizionären besetzt und außer Betrieb gestellt worden war. Angesichts der Übermacht der LNA haben die Besetzer von El Scharara ihr die weitläufige Anlage kampflos überlassen. Fast zeitgleich eroberte die LNA nach einigen Kämpfen Sabha, einst Hauptstadt der südwestlibyschen Region Fessan.

Auf mehr Widerstand soll die Hifter-Armee beim Versuch, die Stadt Murzuq zu übernehmen, gestoßen sein. Bei den Auseinandersetzungen soll es nicht wenige Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung gegeben haben. Gleichwohl bleibt die Lage in der entlegenen Region unübersichtlich. Was man aber mit Sicherheit sagen kann ist, daß Hifters Kommandeure nicht allein auf militärische Stärke - Beispiel Luftwaffeneinsätze - gesetzt haben, sondern geschickt die verschiedenen Stammesgruppen in Südlibyen wie Tebu und Tuareg gegeneinander ausgespielt sowie sich als Antwort auf die Sehnsucht der Menschen im Grenzgebiet zum Tschad im Süden und zu Algerien im Westen nach halbwegs geordneten Verhältnissen präsentiert haben. In der libyschen Wüstengegend tummeln sich seit dem Sturz Muammar Gaddhafis 2011 Menschenschmuggler und Milizionäre aus den verschiedenen Nachbarstaaten. Sabha hatte sich zum erstenmal seit Jahrzehnten wieder als Zentrum eines schwunghaften Slavenhandels etabliert.

Also befinden sich inzwischen zwei der drei historischen Regionen, aus denen das moderne Libyen besteht, Kyrenaika im Osten und Fessan, in den Händen der LNA. Nur in der Gegend, die man früher Tripolitanien genannt hat, hat Al Sarradschs GNA etwas zu melden - und das sowieso nur bedingt, da sie kaum über eigene kampffähige Verbände verfügt, sondern auf die Hilfe verschiedener Milizen, die häufig ihre eigenen Interessen verfolgen, angewiesen ist. Durch die Eroberung der Großregion Fessan haben Hifter und die LNA die Kontrolle nicht nur über die wichtigsten Ölfelder Libyens, sondern auch über dessen gigantische Grundwasserreserven, mit denen die Menschen in den urbanen Zentren an der Mittelmeerküste über die Pipelines des von Gaddhafi errichteten Great-Man-Made-River-Projekts versorgt werden.

Die neue Situation erklärt vermutlich, warum es am 27. Februar in Abu Dhabi unter Vermittlung des libanesischen UN-Sondergesandten Ghassan Salamé zu einem Überraschungstreffen zwischen Hifter und Al Sarradsch gekommen ist. Der Ort der Begegnung darf als Zugeständnis Al Sarradschs gegenüber Hifter gewertet werden. Schließlich gehören die Vereinigten Arabischen Emirate neben Ägypten und Frankreich zu den wichtigsten Verbündeten des HoR und der LNA, während sich für die GNA vor allem Italien, Katar und die Türkei stark machen. Zuvor hatten die beiden einzigen Begegnungen der beiden 2017 in Paris und 2018 in Palermo auf Sizilien stattgefunden. Über den genauen Inhalt des Gesprächs ist wenig bekanntgeworden. In der Schlußerklärung bekannten sich Al Sarradsch und Hifter in Form von Allgemeinplätzen zum Ziel der Durchführung von landesweiten Parlaments- und Präsidentenwahlen noch in diesem Jahr.

Doch ob Hifter, wie von vielen Beobachtern erwartet, als Präsidentschaftskandidat ins Rennen geht, ist fraglich. Der 75jährige Militär hat 2018 einen schweren Hirnschlag erlitten, der ihn fast das Leben kostete. Gerüchten zufolge macht sich Ägyptens Diktator General a. D. Abdel Fattah Al Sisi für Saif Al Gaddhafi als künftigen Präsidenten Libyens stark. Der Lieblingssohn und frühere designierte Nachfolger Muammar Gaddhafis saß fünf Jahre in Zintan unter Hausarrest und kam erst 2017 auf Veranlassung Hifters wieder auf freien Fuß. Seitdem hält er sich versteckt im libyschen Osten auf, wo er den Schutz der LNA genießt. Gegen eine Kandidatur Gaddhafis dürften die Milizionäre der Stadt Misurata, auf die sich Al Sarradsch stützt, Einspruch erheben. Diese waren 2011 maßgeblich am Sturz des früheren Gaddhafi-"Regimes" beteiligt und werden wohl schwer für eine wie auch immer geartete Restauration der alten Eliten zu gewinnen sein. Die Kampfkraft der Misurater ist letztlich auch der Hauptgrund, warum Hifter derzeit mit einem Vorstoß nach Tripolitanien zögert.

10. März 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang