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NAHOST/1697: Irak - taktischer Mord und seine Folgen ... (SB)


Irak - taktischer Mord und seine Folgen ...


Als US-Präsident Donald Trump am 3. Januar Qassem Soleimani per Drohnenangriff nach der Ankunft am Bagdader Flughafen hinrichten ließ, lautete die Rechtfertigung für das Kriegsverbrechen, der Oberbefehlshaber der Al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden bereitete gerade Überfälle auf amerikanische Einrichtungen und Personen im Nahen Osten vor, er wäre zudem als Drahtzieher dafür verantwortlich zu machen, daß am 26. Dezember der Stützpunkt K1 nahe der kurdischen Stadt Kirkuk im irakischen Norden von 36 Scud-Raketen getroffen und daß dabei ein US-Militärübersetzer tödlich verletzt wurde. Doch als sich in den darauffolgenden Tagen die Mitglieder der Geheimdienstausschusse im Repräsentantenhaus und Senat über die absolute Dürftigkeit der vorgelegten "Beweise" für diese Behauptung öffentlich beschwerten, flüchtete die Trump-Regierung ins Nebulöse. Soleimani sei bekanntlich ein "böser Kerl" und ein "Feind Amerikas" gewesen, seine Beseitigung werde "abschreckend" auf andere potentielle oder echte Gegner wirken, sitzen diese in Teheran, Moskau oder Peking, so Außenminister Mike Pompeo und Pentagonchef Mark Esper.

Vermutlich ohne daß es jemals irgendwelche politischen Konsequenzen haben wird, stellt sich der Verdacht immer mehr als richtig heraus, daß es sich bei dem damaligen Hinweis des Weißen Hauses und des Pentagons auf die Urheberschaft der schiitischen Kata'ib- Hezbollah-Miliz für den K1-Angriff um die reine Täuschung handelte. Ohne zu wissen, wer wirklich dahinter steckte, hat das US-Militär zwei Tage später Luftangriffe auf mehrere rund 400 Kilometer vom Kirkuk entfernte Basen der vom Iran im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützten Kata'ib-Hezbollah ausgeübt und Dutzende von deren Mitgliedern getötet. Mit derselben Begründung wurde eine Woche später Soleimani durch den Einsatz einer Hellfire-Rakete liquidiert. Doch am 7. Februar berichtete die New York Times von Gesprächen mit einer Reihe von irakischen Militärs und Geheimdienstexperten, die allesamt davon überzeugt seien, daß der Raketenangriff auf die K1-Basis von keinen schiitische Milizionären, sondern von IS-Freiwilligen ausgeführt wurde.

Für diese These sprechen mehrere von den irakischen Sicherheitsexperten angeführten Umstände, unter anderem daß K1 in einer sunnitischen Gegend liegt, die als IS-Hochburg gilt und wo die Kata'ib-Hezbollah noch niemals Operationen durchgeführt hat sowie daß die schiitische Gruppierung jede Beteiligung an dem Vorfall abgestritten hatte. In dem NYT-Artikel mit der Überschrift "Was U.S. Wrong About Attack That Nearly Started a War With Iran?" äußert sich Brigadegeneral Ahmed Adman, der Leiter des Geheimdiensts der irakischen Bundespolizei, wie folgt:

Alle Indizien sprechen dafür, daß es Daesh [gebräuchlicher arabischsprachiger Terminus für IS - Anm. d. SB-Red.] war. Ich habe Ihnen von den drei Vorfällen im selben Gebiet in den Tagen davor erzählt - schließlich verfolgen wir die Daesh-Bewegungen. Wir als irakische Polizei können uns in jener Region nicht betätigen, ohne dabei von einer größeren Schutztruppe begleitet zu werden, denn dort ist es nicht sicher. Wie sollen dann irgendwelche Leute, welche die Region nicht kennen, dahin gelangt sein, die richtige Position zum Abschießen der Raketen gefunden und den Angriff durchführt haben?".

Eine gute Frage, die zu beantworten sich offenbar niemand in Washington bemüßigt fühlt. Fest steht, daß die USA Soleimani umgebracht haben, um ihre Strategie des "maximalen Drucks", mittels derer der Iran durch diplomatische Isolation und Wirtschaftssanktionen in die Knie gezwungen und eventuell sogar das "Mullah-Regime" in Teheran weggeputscht werden soll, durchzusetzen. Soleimani war Washington ein besonderer Dorn im Auge, weil er seit Jahren erfolgreich die Zusammenarbeit Teherans mit der libanesischen Hisb-Allah-Miliz koordinierte und im Irak und Syrien die Bekämpfung des IS und anderer sunnitischen Mudschaheddingruppen geleitet hatte. Hinzu kommt, daß Soleiman Ende 2019 eine wichtige Rolle bei der Niederschlagung größerer Proteste, die den gesellschaftlichen Frieden im Irak und im Iran gefährdeten und hinter denen die Regierungen in Bagdad und Teheran gleichermaßen eine fremdländische Steuerung - namentlich die der USA und Israels - vermuteten.

Im Irak haben Ende letzten Jahres die großen Demonstrationen gegen Arbeitslosigkeit, Korruption und Mittelverschwendung Premierminister Adel Abdul Mahdi sein Amt gekostet. Hauptanlaß für den Rücktritt Abdul Mahdis waren die vielen gewaltsamen Todesfällen in Verbindung mit den Protesten, für die möglicherweise nicht nur die schiitischen Milizen, sondern auch Scharfschützen der CIA und des Mossads verantwortlich sind. Wohlwissend, daß die Protestierer allen Grund zur Unzufriedenheit mit der gesellschaftlichen Lage im Irak haben, hat sich Anfangs der einstige Radikalprediger Muktada Al Sadr, dessen Anhänger die größte Fraktion im Bagdader Parlament bilden, auf ihre Seite gestellt. Nach der spektakulären Ermordung Soleimanis hat Al Sadr, der bis dahin einen neutralen Kurs zwischen USA und dem Iran zu verfolgen versucht hatte, die Geduld mit den Amerikanern endgültig verloren. In einer ersten Reaktion und auch in den Wochen seitdem hat Al Sadr den schnellstmöglichen Abzug aller US-Truppen aus dem Irak gefordert.

Der Mann, dessen Mahdi-Armee in den Nullerjahren die US-Streitkräfte im schiitischen Teil des Zweistromlands heftig bekämpfte, hat sich nach Angaben von Suadad al-Salhy, der stets bestens informierten Bagdader Korrespondentin von Middle East Eye, über mehrere Tage Ende Januar in der iranischen Pilgerstadt Qom mit den wichtigsten Anführern der anderen schiitischen Parteien beraten, um einen Ausweg aus der innenpolitischen Krise auszuloten. Unter der Leitung Al Sadrs hat sich die informelle Gruppe auf Mohammed Tawfiq Allawi als neuen Premierminister geeinigt. Der Bruder des früheren Premierministers Ijad Allawi war selbst unter Nuri Al Maliki zweimal irakischer Kommunikationsminister. Beide Male ist er aus Protest gegen die Duldung korrupter Praktiken zurückgetreten. Auch wenn Mohammed Allawi dem schiitischen Establishment angehört - zwei seiner Töchter sind mit Männern aus dem Al-Sadr-Klan verheiratet -, so haftet ihm nicht der Ruf der Korruption an. Damit ist er eine Ausnahmeerscheinung in der irakischen Politik.

Nach der Ernennung Allawis zum Nachfolger Abdul Mahdis hat Al Sadr erneut die Demonstranten, welche wichtige Plätze in den meisten irakischen Städten seit Monaten besetzt halten, zur Rückkehr an die Hochschule bzw. zum Abbruch der Proteste aufgefordert. Gleichzeitig hat er den Mitgliedern seiner "Friedensbrigaden" - Nachfolgeorganisation der Mahdi-Armee - die weitere Teilnahme an den Protesten verboten. Seitdem kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Korruptionsgegnern, welche die Proteste fortsetzen wollen, und Al-Sadr-Anhängern, welche die Zeltstädte räumen und blockierte Straßen für den Autoverkehr freimachen wollen. Die komplizierte Gemengelage zu meistern - schließlich gehören die Friedensbrigadisten in der Regel den ärmeren Bevölkerungsschichten an - stellt sich für Al Sadr als große Herausforderung dar. Um den Protestierenden und ihren Forderungen gerecht zu werden, hat er vom Allawi, der seine neue Regierung bis zum 2. März präsentiert haben muß, ein Technokratenkabinett verlangt, dessen Minister über jeden Korruptionsverdacht stehen müssen. Gleichzeitig soll Al Sadr selbst durch gewaltsame Angriffe auf die eigene Anhängerschaft zu überstürzten, kontraproduktiven Handlungen offenbar provoziert werden. Am 5. Februar wurde Al Scheich Hasim Al Haffi, der wichtigste Vertrauensmann Al Sadrs in der südlichen Stadt Basra, dort auf offener Straße erschossen. Als mögliche Täter kommen Stammesleute, die den Tod ihrer Angehörigen bei den jüngsten Protesten rächen wollten, genauso in Betracht wie ausländische Geheimdienste, vor allem die CIA.

12. Februar 2020


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