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NAHOST/1704: Saudi-Arabien - Kampf um das Familienerbe ... (SB)


Saudi-Arabien - Kampf um das Familienerbe ...


In Saudi-Arabien wird aktuell die Nachfolge des 84jährigen Königs Salman auf entschiedene, aber recht ruppige Art und Weise geregelt. Am 5. März ließ Salmans Lieblingssohn und designierter Nachfolger, der 34jährige Kronprinz Mohammed, der seit 2015 Verteidigungsminister, Wirtschaftsminister und Regierungschef in einem ist, seine wichtigsten Gegner am Königshof verhaften. Beobachter gehen davon aus, daß Mohammed bin Salman (MbS) seinen Vater noch in diesem Jahr - eventuell nach der Abhaltung des G20-Gipfels im November in Riad - zur Abdankung veranlassen will, um noch zu dessen Lebzeiten und unter dessen Schutz die ganze Macht im Königreich an sich zu reißen. Der dramatische Schachzug zeugt jedoch von großer Unsicherheit. Mit seiner Impulsivität droht MbS sich selbst und sein Land ins Chaos zu stürzen.

Die bisherige Regierungszeit des jungen Hitzkopfs weist mehr Niederlagen als Erfolge auf. Der Krieg im Jemen, den MbS völlig unnötig im März 2015 und damit nur wenige Wochen nach der Thronbesteigung seines Vaters und seinem eigenen Aufstieg an die Regierungspitze als Demonstration militärischer Macht vom Zaun brach, hat sich zur Totalblamage für die saudischen Streitkräfte entwickelt. Unfähig, die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen am Boden in die Knie zu zwingen, hat sich Riad darauf verlegt, das Nachbarland aus der Luft in die Steinzeit zu bomben. Im Gegenzug haben die Huthis neuartige Drohnen und Raketen entwickelt, mit denen sie im vergangenen Sommer die zwei wichtigsten Ölanlagen Saudi-Arabiens schwer beschädigt und Riad an den Verhandlungstisch gezwungen haben. Vermutlich aus Angst vor Raketenangriffen der Huthis haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) letztes Jahr begonnen, ihre Truppen aus dem Jemen abzuziehen und damit den saudischen Verbündeten das Kriegschaos allein zu überlassen.

Nach dem Machtwechsel 2017 in den USA hat MbS erfolgreich um die Gunst des Republikaners Donald Trump geworben, sich mit seinem Schwiegersohn und Berater Jared Kushner angefreundet und darüber nebenbei Kontakt zu dem mit dessen Familie befreundeten israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu hergestellt. Das Ergebnis war die ungewöhnliche Entscheidung Trumps, seine erste Auslandsreise als US-Präsident nicht nach Kanada oder Mexiko - wie es bei den Vorgängern traditionell der Fall war - sondern nach Saudi-Arabien zu unternehmen. Im Mai 2017 bereiteten die Saudis dem prunk- und prestigesüchtigen Baulöwen aus New York einen grandiosen Empfang in Riad samt Schwerttanz und allerlei Rüstungsdeals in Milliardenhöhe. Einen Monat später löste MbS nach Rücksprache mit Kushner eine diplomatische Krise mit Katar wegen dessen aus Sicht Riads zu engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran aus. Nur mit allergrößter Mühe konnte der damalige US-Außenminister Rex Tillerson die Saudis vom Einmarsch in das Nachbarland abhalten. In der Folge ließ Katar seine Mitgliedschaft im Golfkooperationsrat ruhen und holte zum Schutz mehrere tausend türkische Soldaten ins Land.

Noch auf dem Höhepunkt der Katar-Krise führte MbS einen weiteren Streich. Ende Juni 2017 wurde der designierte Thronfolger und Stellvertretende Regierungschef, Kronprinz Muhammed bin Nayef, der sich als langjähriger Innenminister und Verbündeter im Antiterrorkampf einen Namen in den USA speziell bei der CIA gemacht hatte, von König Salman per Dekret aus allen Ämtern entlassen. Gleichzeitig stellte der neue Thronfolger MbS den plötzlich in Ungnade gefallenen Vorgänger unter Hausarrest, ließ seine Bankkonten sperren, enthielt ihm dringend benötigte Medikamente vor und setzte das Gerücht in die Wlt, Prinz Muhammed sei drogensüchtig, um seinem Ansehen zu schaden.

Kronprinz Mohammed möchte Saudi-Arabien "reformieren", den Einfluß des sunnitischen Klerus zurückdrängen, das Land von der Abhängigkeit vom Öl befreien und statt dessen das Dienstleistungsgewerbe wie insbesondere den Tourismus kräftig ausbauen. Um seine "Vision 2030", zu der auch die Korruptionsbekämpfung gehört, voranzutreiben, griff MbS im Oktober 2017 zu einem perfiden Trick à la Game of Thrones. Er lud er die reichsten Männer Saudi-Arabiens zu einer Sonderwirtschaftskonferenz im Fünf-Sterne-Hotel Ritz Carlton in Riad ein und setzte sie dort erst einmal fest. Von einem Augenblick zum nächsten wurde aus der Nobelherberge ein regelrechtes Foltergefängnis. Nur gegen das Versprechen, das in einigen Fällen erst nach Tagen und Wochen schwerer Mißhandlung erfolgte, dem saudischen Fiskus einen Gutteil des eigenen Vermögens zu überlassen, kamen die verhafteten Prinzen und Wirtschaftskapitäne wieder frei. Im selben Zusammenhang ließ MbS auch Saad Hariri nach Riad kommen, um den libanesischen Premierminister dort gleich bei der Landung verhaften zu lassen und wegen Zusammenarbeit mit der schiitischen Hisb-Allah-Bewegung im eigenen Land zum Rücktritt zu zwingen. Nur aufgrund der beherzten telefonischen Intervention des französischen Präsidenten Emmanuel Macron kam Hariri, der nicht nur die libanesische, sondern auch die saudische Staatsbürgerschaft besitzt, überhaupt wieder frei.

Exemplarisch für den Umgang von Riads neuem starken Mann mit Kritikern und Oppositionellen ist der Mordfall Dschamal Khashoggi, der bei einem regulären Besuch im saudischen Konsulat in Istanbul im Oktober 2018 von einer ihm dort auflauernden Killertruppe des Kronprinzen mit äußerster Brutalität ermordet wurde. Das Attentat und vor allem die Umstände des Ablebens des Washington-Post-Kolumnisten - seine Leiche wurde nach Erkenntnissen des türkischen Geheimdienstes, der die diplomatische Vertretung am Bosporus verwanzt hatte, an Ort und Stelle mit einer elektrischen Säge zerteilt, in kleinen Stücken aus dem Konsulat geschafft und später in einem Säurebad aufgelöst - hat weltweit für Empörung gesorgt. Die schützende Hand Trumps hat Saudi-Arabien vor Sanktionen seitens des US-Kongresses geschützt und MbS in seinem Hasardeurtum nur weiter bestärkt, wie sein strafloses, erst vor wenigen Wochen bekanntgewordenes Hacken/Belauschen des Mobiltelefons des reichsten Manns der Welt, des Washington-Post-Herausgebers und Amazon-Inhabers Jeff Bezos, beweist.

Schenkt man den Angaben der anonymen saudischen Informanten von David Hearst, dem langjährigen Nahost-Korrespondenten und Herausgeber der Online-Zeitung Middle East Eye, Glauben, dann war es nicht zuletzt die Sorge MbS' von einer möglichen Niederlage Trumps bei der US-Präsidentenwahl im kommenden November, die ihn letzte Woche zur rechtzeitigen Beseitigung eventueller Hindernisse auf dem Weg zum saudischen Thron veranlaßt hat. Am selben Tag, an dem König Salman in Riad den britischen Außenminister Dominic Raab empfing, ließ MbS seinen 77jährigen Onkel Prinz Ahmed bin Abdulasis Al Saud, den letzten noch lebenden Bruder seines Vaters, der bisher als unantastbar galt, und erneut Muhammed bin Nayef verhaften. Beiden Männern werden Hochverrat und Vorbereitung eines Putsches vorgeworfen.

Der 77jährige Prinz Ahmed hatte 2017 als einziges Mitglied der saudischen Königsfamilie die Ernennung von MbS zum Thronfolger nicht gutgeheißen. Bei einer verbalen Auseinandersetzung mit demonstrierenden Jemenkriegskritikern vor seiner Wohnung in London im September 2018 hatte Ahmed den Staat Saudi-Arabien in Schutz genommen und statt dessen die Schuld für die humanitäre Katastrophe im Nachbarland Salman und MbS allein angelastet. Die Videoaufnahmen der Aussage haben in den sozialen Netzwerken Saudi-Arabiens für Furore gesorgt. Nur aufgrund einer von London und Washington erzwungenen Sicherheitsgarantie war Ahmen zur Rückkehr in die Heimat bereit, wo ihn MbS persönlich am Flughafen von Riad abholte und freundlich begrüßte. Die nicht zufällige Verhaftung von Prinz Ahmed während des Besuchs Raabs in Riad ist ein Signal, daß die damalige Sicherheitsgarantie nichts mehr wert ist.

Im Vergleich zu Muhammed bin Nayef, der bis zuletzt unter Hausarrest stand, konnte Prinz Ahmed nach Belieben ein- und ausreisen. Zwei Tage vor seiner Verhaftung kehrte er sogar von einer Falkenjagd im Ausland zurück. Inwieweit Ahmed, Muhammed bin Nayef und dessen Getreue im Staatsapparat einen Putsch geplant oder vorbereitet hatten ist unklar. Eher scheint es der Fall gewesen zu sein, daß MbS' Geduld mit der Loyalitätsverweigerung von Prinz Ahmed und dessen kritischer Haltung ihm gegenüber erschöpft war. Ahmed hatte nominell den Vorsitz beim Hayat Al Baya, dem Allegiance Council, inne, in dem die 34 von Geburt ranghöchsten Mitglieder der saudischen Königsfamilie über die Ernennung des neuen Königs zu befinden haben. In dieser Funktion hätte Ahmed demnächst MbS Schwierigkeiten machen können. Weder der ehrgeizige Kronprinz noch sein Vater, der die Haftbefehle für Ahmed, dessen Sohn Prinz Nayef bin Ahmed bin Abdulasis, der zuletzt Chef des Militärgeheimdiensts war, Muhammed bin Nayef und mehrere Dutzend weitere "Verschwörer" unterzeichnet hat, wollten diese Eventualität aufkommen lassen und haben deshalb frühzeitig die Gegner am Hof schachmatt gesetzt.

Während aus Riad die spektakuläre Nachricht über die Verhaftungswelle an die Weltöffentlichkeit gelangte, startete MbS einen weiteren Konflikt, der ihm politisch das Genick brechen könnte. Nachdem sich am 6. März in Wien die Vertreter Moskaus und der OPEC-Staaten nicht auf eine Begrenzung der Ölfördermenge verständigen konnten, erklärte Saudi-Arabien am folgenden Tag Rußland offen den Preiskrieg. Die Erhöhung der saudischen Fördermenge und die günstigen neuen Verkaufsangebote aus Riad haben - zusammen mit der Unsicherheit aufgrund der weltweiten Coronavirus-Epidemie - am 9. März an den internationalen Börsen zu den schlimmsten Kurverlusten seit Jahrzehnten geführt. Allein an der New Yorker Wall Street verlor der Dow Jones Index mehr als 2000 Punkte - ein neuer Rekord. Aktuell befinden sich die Ölpreise auf Sinkflug, was das wirtschaftliche Überleben der vielen überschuldeten Fracking-Unternehmen in den USA hochgradig gefährdet. Die Chefs der amerikanischen Fracking-Industrie gehören bekanntlich zu den wichtigsten Wahlkampfspendern von Donald Trump. Also hat MbS mit einem Schlag das Weiße Haus gegen sich aufgebracht. Zudem ist Rußland nach Meinung der meisten Fachleute für den Preiskrieg im Ölsektor weit besser gerüstet als Saudi-Arabien. Mittelfristig kann Moskau haushaltstechnisch mit einem niedrigen Ölpreis besser klarkommen als Riad. Von der erhofften Festigung seiner Position ist MbS trotz der Ausschaltung der letzten mißliebigen Stimmen am saudischen Königshof weit entfernt.

10. März 2020


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