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USA/1235: Arizona bläst zur Jagd auf Einwanderer (SB)


Bundesstaat verschärft massiv seine Einwanderungsgesetze


In Arizona ist das bislang repressivste Einwanderungsgesetz der Vereinigten Staaten beschlossen worden. Nach dem Gesetz (SB 1070), das in 90 Tagen in Kraft tritt, können Immigranten künftig ohne konkreten Verdacht jederzeit kontrolliert und verhaftet werden, falls sie ihre Arbeitsgenehmigung nicht bei sich tragen. Auch können Bürger die Polizei oder Behörden dazu veranlassen, Ausländer zu überprüfen, um deren Aufenthaltsstatus festzustellen. Das Gesetz sieht zudem härtere Strafen für diejenigen vor, die illegal eingewanderte Personen beherbergen, beschäftigen oder sie mit staatlichen Mitteln medizinisch versorgen. Die Verabschiedung dieses Gesetzes hat die Einwanderungsdebatte derart verschärft, daß man von einem regelrechten Dammbruch sprechen kann.

Mexikos Präsident Felipe Calderón hat das neue Gesetz gegen illegale Einwanderung im benachbarten US-Bundesstaat Arizona verurteilt und als Hindernis bei der Lösung der Probleme an der gemeinsamen Grenze bezeichnet. Die Kriminalisierung der Migration sei weit davon entfernt, die Zusammenarbeit zwischen Mexiko und dem Staat Arizona zu fördern, hieß es in einer Erklärung des mexikanischen Präsidentenamtes. Die Regierung werde alle Hebel in Bewegung setzen, um Migranten zu helfen, die sich ohne Papiere und ohne Rechte in den USA aufhielten. [1]

Auch in den Vereinigten Staaten wird der Vorstoß Arizonas höchst kontrovers bewertet. Während hispanische Demonstranten zu Tausenden durch Phoenix zogen und gegen rassistische Diskriminierung protestierten, kritisierte Präsident Barack Obama das Gesetz als "fehlgeleitet". Er will prüfen lassen, ob es im Einklang mit der Verfassung steht. Man werde die Lage in Arizona beobachten und die Auswirkungen auf die Bürgerrechte und andere Rechte bewerten, kündigte er an. Die Maßnahmen drohten die "grundlegenden Begriffe von Gerechtigkeit", die alle US-Bürger wertschätzten, wie auch das Vertrauen zwischen Bürgern und Polizei zu untergraben. Zugleich appellierte Obama an den Kongreß in Washington, sich auf Schritte zu einer umfassenden Einwanderungsreform zu einigen. Das Versagen auf Bundesebene führe zu Verantwortungslosigkeit auf anderer Ebene, worunter auch die jüngsten Versuche Arizonas fielen.

Entschiedenere Gegner des Gesetzes bezeichneten es als Auftakt zur Jagd auf alle Latinos und Katastrophe für die Gemeindepolitik. Die Leiterin des Border Action Networks, Jennifer Allen, verurteilte das Gesetz in Phoenix als "Anstiftung zu Rassismus" und kündigte rechtliche Schritte an. Es handle sich um einen "fundamentalen, ungeheuerlichen Angriff gegen Grundrechte und Würde eines jeden Menschen ob in Arizona oder anderswo." Es diene dazu, "Einwanderer mürbe zu machen, bis sie total erschöpft sind und den Staat und das Land verlassen." In Los Angeles schloß sich der Präsident der mexikanisch-amerikanischen Einwanderungsorganisation MALDEF der Kritik mit den Worten an: "Das größte Problem besteht darin, daß Arizona Einwanderung regulieren will. Laut Verfassung kann das nur die Bundesregierung tun." [2]

Der Auftrag an die Polizei, mutmaßliche illegale Einwanderer zu kontrollieren, führt zwangsläufig zu einer selektiven Vorgehensweise. Demnach würden Personen nach ihrer Hautfarbe, ihren Haaren und Augen, ihrer Kleidung, Sprache und anderen Merkmalen, die auf eine hispanische Herkunft hinweisen könnten, mithin nach rassistischen Kriterien herausgegriffen und schikaniert. Das Gesetz stellt alle Bürger, die ursprünglich aus Mexiko, Mittelamerika oder anderen Regionen Lateinamerikas stammen, unter Generalverdacht und bedroht sogar Menschen, die seit Jahren im Land leben, mit Haft und Abschiebung. Das gilt selbst für Bürger, deren gesamtes soziales Umfeld sich in den USA befindet, und die folglich in ein ihnen völlig fremdes Land deportiert würden. [3]

Trotz der Kritik von höchster Stelle unterzeichnete die republikanische Gouverneurin Jan Brewer den umstrittenen Gesetzentwurf in Phoenix. Sie verteidigte die Maßnahme insbesondere als Mittel, die grenzüberschreitende Kriminalität einzudämmen. Das Gesetz schütze die Bewohner des Grenzstaates: "Gewalt und Verbrechen an der Grenze im Zusammenhang mit illegaler Einwanderung bereiten unseren Bürgern große Sorgen. Für die Regierung hat nichts höhere Priorität, als die Bürger Arizonas zu schützen", sagte die Gouverneurin vor der Presse. Man habe geduldig darauf gewartet, daß Washington handelt, doch Jahrzehnte der Untätigkeit hätten eine inakzeptable Situation herbeigeführt.

Aus Sicht der republikanischen Fraktion, welche die Gesetzgebung zur schärferen Bekämpfung illegaler Einwanderer ins Parlament von Phoenix eingebracht hatte, wird die Maßnahme dafür sorgen, daß Immigranten ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung Arizona verlassen oder gar nicht erst über die Grenze kommen. Dieser Bundesstaat nehme seinen Sicherheitsbehörden die Handschellen ab, so daß sie die Arbeit tun könnten, die von ihnen erwartet werde. Wer gegen Gesetze verstoßen will, müsse sich dafür einen anderen Bundesstaat aussuchen. Diese Strategie setzt die in den letzten Jahren in diversen Bundesstaaten, Bezirken oder Städten praktizierte Verfahrensweise massiv fort, mangels Einwanderungsreform im US-Kongreß auf eigene Faust Migranten das Leben schwerzumachen, um sie in andere Regionen abzudrängen.

Die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, nahm den Streit zum Anlaß, an die Notwendigkeit einer Reform der Einwanderungsgesetze zu erinnern. Es sei nötig, "die Grenzen zu schützen, unser Land sicher zu machen, das Gesetz zu achten, die Arbeiter und die Wirtschaft zu schützen, Familien zu vereinen und einen Pfad zur Legalisierung zu finden", erklärte Pelosi.

Für den an Mexiko grenzenden Bundesstaat Arizona stellt die Einwanderung ein wachsendes Problem dar. Von den geschätzten zwölf Millionen Menschen, die ohne gültige Papiere in den USA leben, halten sich rund 460.000 in dem Bundesstaat auf, der zu den letzten verbliebenen Einfallstoren der Migration zählt. Experten gehen davon aus, daß bis zu 1,5 Millionen Menschen jährlich ohne Papiere in die USA kommen, wovon sie auch der rund 1000 Kilometer lange Grenzzaun nicht abhält, dessen Bau unter Präsident George W. Bush begonnen wurde. [4]

Wie Umfragen ergeben haben, unterstützen rund 70 Prozent der Bevölkerung von Arizona das striktere Vorgehen gegen illegale Einwanderer. Das neue Gesetz gilt als Reaktion darauf, daß auch Barack Obama die von ihm versprochene Reform der Einwanderungspolitik bislang nicht auf den Weg gebracht hat. Indessen werfen Kritiker den Republikanern vor, mit dem Gesetz bei konservativen Wählern vor den anstehenden Zwischenwahlen zum Kongreß im November Punkte sammeln zu wollen. Ob das republikanische Lager über das Vorpreschen Arizonas tatsächlich glücklich ist, muß sich jedoch erst noch herausstellen. George W. Bush, der in der Einwanderungsfrage eine für seine Verhältnisse fast moderate Position vertrat, scheiterte beim Versuch, die Widersprüche unter einen Hut zu bringen.

Die Migration bleibt ein heißes Eisen, bei dem kein eindeutiger parteipolitischer Frontverlauf auszumachen ist. Zwar entfielen 68 Prozent der hispanischen Stimmen auf Barack Obama, der daher gute Gründe hat, sich gegen repressive Vorstöße zu Lasten dieses Personenkreises zu verwahren. Andererseits neigen Politiker der Demokraten aus Bundesstaaten mit einer hohen Einwanderungsquote mit Rücksicht auf die Stimmung ihrer Wählerschaft häufig zu repressiven Entwürfen, während umgekehrt republikanische Lobbyisten jener Wirtschaftszweige, die auf billige hispanische Arbeitskraft setzen, deren Austrocknung seit jeher zu verhindern trachten. Diese Verschränkung einander widersprechender Partialinteressen hat in der Vergangenheit die umfassende Einwanderungsreform verhindert und maßgeblich zu Bushs rasantem Ansehensverlust in der zweiten Amtszeit beigetragen. Auch Obama muß mit heftigem Kreuzfeuer selbst aus den vermeintlich eigenen Reihen rechnen, sollte er ernsthaft versuchen, sein Wahlversprechen einzuhalten und das Reformwerk voranzutreiben. [5]

Gegner des Gesetzes in Arizona erinnern unterdessen daran, daß es erst in 90 Tagen in Kraft tritt, so daß noch Zeit bleibt, um dagegen vorzugehen. Angesichts der bereits eingeleiteten Gerichtsverfahren gegen seine Umsetzung wird der geplante Termin ohnehin kaum eingehalten werden können, weshalb mit einer beträchtlich längeren Frist der Auseinandersetzungen zu rechnen ist.

Anmerkungen:

[1] Einwanderung erregt Arizona (26.04.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-04/einwanderungsgesetz-obama

[2] Arizona verschärft Einwanderungsgesetz (26.04.10)
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5505837,00.html

[3] Enough With the Draconian Anti-Immigrant Laws! (23.-25.04.10)
Counterpunch

[4] Arizona macht Jagd auf Einwanderer (26.04.10)
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2581853_Arizona-macht-Jagd-auf-Einwanderer.html

[5] Arizona immigration law: Embarrassment or way forward for Republicans? (24.04.10)
The Christian Science Monitor

26. April 2010