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USA/1236: Maidemonstrationen gegen Einwanderungsgesetz Arizonas (SB)


Rassistischer Schlüssel als Türöffner für den Überwachungsstaat


Am 1. Mai sind in den USA Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um ihrem Protest gegen die Verschärfung des Einwanderungsrechts im Bundesstaat Arizona Ausdruck zu verleihen. Vor allem hispanische Organisationen hatten in mehr als 70 Städten zu Demonstrationen aufgerufen, wobei allein in Los Angeles rund 60.000 Menschen zusammenkamen. Etwa 25.000 waren es in Dallas, über 10.000 in Chicago sowie mehrere tausend in San Francisco, San Diego, Houston, Washington und New York. Auch in Phoenix, der Hauptstadt von Arizona, gingen etwa tausend vor allem hispanische Demonstranten in die Öffentlichkeit. Nach Angaben der Polizei verliefen die Demonstrationen überall friedlich.

In Los Angeles führte Gloria Estefan eine Kundgebung an und hob hervor, daß die Vereinigten Staaten eine Nation der Einwanderer seien. Immigranten seien keine Kriminellen, sondern hart arbeitende Menschen, unterstrich die in Kuba geborene Sängerin in englischer und spanischer Sprache. Bürgermeister Antonio Villaraigosa trat ebenfalls als Redner auf und übermittelte den Demonstranten seine Solidarität. In diesem großartigen Land sei kein Platz für Gesetze, die Menschen wegen ihrer Hautfarbe zu Verdächtigen machen, erklärte er.

Der Erzbischof von Los Angeles, Kardinal Roger Mahony, skandierte "se puede", die spanische Version von "Yes we can". Wie er unter dem Jubel der Menge erklärte, sei in Gottes Augen jeder legal. Jedesmal, wenn es mit der Wirtschaft bergab gehe, erfolge ein neuer Angriff auf die Einwanderer. Mahony hatte nach seiner Priesterweihe in den frühen 1960er Jahren in Fresno, Kalifornien, mit Cesar Chavez und anderen Vorkämpfern für die Rechte hispanischer Einwanderer zusammengearbeitet und gilt als einer der letzten prominenten Prälaten aus der Ära "soziale Gerechtigkeit" der US-amerikanischen Bischöfe. Der Kardinal bezeichnete das in Arizona beschlossene Gesetz als "Tragödie" und sieht dessen Verhinderung als Ansporn, in den letzten Monaten seiner Amtszeit, die im Februar nächsten Jahres endet, noch einmal Partei für die Einwanderer zu ergreifen. Auf seinem Blog spricht er vom "rückschrittlichsten, übelsten und nutzlosesten Gesetz gegen Einwanderer", das dem Vorurteil entsprungen sei, die Immigranten kämen in die USA, "um zu rauben, zu plündern und die Steuergelder zu verschlingen". Er könne sich nicht vorstellen, schrieb der Kardinal, daß man sich in Arizona nun Methoden der "deutschen Nazis und russischen Kommunisten" bediene, nach denen die Menschen auf bloßen Verdacht hin einander an die Behörden verraten müssen. [1]

Viele hispanische Demonstranten schwenkten zum Zeichen ihrer Treue zu den USA die US-Flagge statt Fahnen ihrer Herkunftsländer. An einem Truck war ein Spruchband mit dem Slogan "Obama, erhöre uns. Wir werden in diesem Streit sterben" befestigt. Andere Protestierende trugen Transparente oder Schilder mit Sprüchen wie "Schande über Arizona", "Alle Menschen wurden gleich geboren" oder "Wir sind alle Arizona" in den Händen. Bei Kundgebungen riefen Teilnehmer zum Boykott von Produkten aus Arizona auf. In Kalifornien forderten die Bürgermeister der größten Städte sogar einen Abbruch der Beziehungen mit diesem Bundesstaat.

Bei einer Kundgebung vor dem Weißen Haus in Washington wurde der aus Illinois stammende demokratische Abgeordnete Luis Gutierrez festgenommen. Er hatte sich mit etwa drei Dutzend weiteren Menschen vor einer Menge von Tausenden Demonstranten auf dem Gehsteig niedergelassen. Zuvor hatte er in einer zweisprachigen Rede Erinnerungen an die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre wachgerufen: Es gebe Augenblicke, in denen man sich dafür entscheide, den Kampf eskalieren zu lassen: "Heute legen sie uns Handschellen an, doch eines Tages werden wir endlich frei sein in dem Land, das wir lieben!" Demonstranten trugen T-Shirts mit Aufdrucken wie: "Nehmt mich fest, nicht meine Freunde." [2]

In Barack Obamas Heimatstadt Chicago marschierten Tausende Menschen mit Schildern "Braun ist kein Verbrechen" und "Hey Obama! Don‹t deport my mama". Viele Demonstranten kritisierten die Passivität des Präsidenten in der Einwanderungspolitik, zumal er eine Reform des Einwanderungsrechts in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit versprochen, diesen Zeitplan aber mehrfach verschoben hatte. Reverend Jesse Jackson rief zu einem Boykott Arizonas auf.

In Arizona leben Schätzungen zufolge rund 460.000 Einwanderer ohne Papiere, wobei die meisten von ihnen aus Mexiko oder Mittelamerika stammen. Vergangene Woche hatte die republikanische Gouverneurin des Bundesstaats, Jan Brewer, das höchst umstrittene Gesetz unterzeichnet, das binnen 90 Tagen in Kraft treten soll. Sie rechtfertigt die Maßnahmen als Mittel, die grenzüberschreitende Kriminalität einzudämmen. Der Vorstoß des Bundesstaats rief heftigen Widerstand auf den Plan. Mexikos Staatspräsident Felipe Calderón verurteilte die "Rassendiskriminierung" in Arizona und die mexikanische Regierung sprach eine Reisewarnung aus. US-Präsident Barack Obama hatte das neue Gesetz bereits im Vorfeld als "fehlgeleitet" kritisiert.

Das Gesetz räumt der Polizei weitreichende Befugnisse im Umgang mit mutmaßlichen illegalen Einwanderern ein. Insbesondere dürfen diese auf bloßen Verdacht hin zur Überprüfung der Papiere gezwungen und bei fehlendem Nachweis eines legalen Aufenthalts festgenommen und der Deportation zugeführt werden. Auch wird der Aufenthalt ohne gültige Papiere künftig als Straftat eingestuft.

Als die Protestkundgebungen im März geplant worden waren, um dem Kongreß eine Frist bis zum 1. Mai für einen Gesetzentwurf zur Reform des Einwanderungsrechts zu setzen, hatten die Organisatoren mit sehr viel weniger Teilnehmern gerechnet. Die Unterzeichnung des restriktiven Gesetzes in Arizona am 23. April sorgte jedoch für einen landesweiten Schub und brachte sehr viele Menschen auf die Straße. Bislang ist jedoch kein Entwurf im Parlament eingebracht worden, was Obama mit den Worten kommentierte, die Abgeordneten hätten offenbar keinen Appetit auf die leidige Einwanderungsdebatte noch in diesem Jahr.

Unterdessen hat eine Gruppe demokratischer Senatoren unter Führung von Charles E. Schumer aus New York ein Richtlinienpapier vorgelegt, dessen Inhalt noch hinter die Positionen der Republikaner zurückfällt. Vorgeschlagen wird darin unter anderem die Einführung eines verbindlichen Ausweises für alle US-Bürger, eine massive Befestigung und Militarisierung der Grenze zu Mexiko und Strafmaßnahmen gegen illegale Einwanderer. Derselbe Abgeordnete Gutierrez, der sich am Samstag noch demonstrativ vor dem Weißen Haus in zivilem Ungehorsam verhaften ließ, sprach sich am Sonntag in der Sendung "Face the Nation" bei CBS für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen im Grenzgebiet und eine allgemeine Ausweispflicht aus. [3]

Daher sollte man sich von der massenhaften Beteiligung an den Demonstrationen und insbesondere deren vorgeblicher Unterstützung durch prominente Politiker nicht täuschen lassen. Seit 2006 sind auf Ebene der Bundesstaaten, Distrikte und Kommunen Hunderte Gesetze verabschiedet worden, die fast ausnahmslos repressive Maßnahmen gegen illegale Einwanderer vorsehen, sich mit der Ermächtigung staatlicher oder kommunaler Institutionen zu verschärfter Kontrolle und Strafverfolgung jedoch darüber hinaus gegen die gesamte Bevölkerung richten.

Arizona ist das reaktionäre Epizentrum dieser Bewegung und hat mit dem Gesetz SB 1070 eine Grenze überschritten, die rechtlich gesehen längst perforiert war, jedoch im allgemeinen Verständnis bislang Bestand hatte: Menschen auf Grund vermeintlicher Rassemerkmale systematisch einer besonderen polizeilichen Kontrolle zu unterwerfen und mithin zu sanktionieren, geht über die gängige Praxis von Polizei und Gerichten hinaus, Schwarze und Latinos zu drangsalieren und abzustrafen. Wenngleich beides System hat, soll nun ein rassistischer Schlüssel implementiert werden, um als Türöffner für den seit langem angestrebten hermetischen Überwachungsstaat zu fungieren.

Anmerkungen:

[1] Los Angeles Archbishop Speaks Out Against Immigration Law (01.05.10)
New York Times

[2] Immigration Advocates Rally for Change (01.05.10)
New York Times

[3] Tens of thousands demonstrate on May Day in defense of immigrants (03.05.10)
World Socialist Web Site

3. Mai 2010