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USA/1245: Bundesgericht bremst rassistisches Einwanderungsgesetz Arizonas (SB)


Entscheidende repressive Passagen vorerst auf Eis gelegt


In den Vereinigten Staaten leben Schätzungen zufolge bis zu zwölf Millionen Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung, die zu zwei Dritteln aus Mexiko stammen. Die meisten Arbeitsmigranten gehen in die Bundesstaaten Kalifornien, Texas und Florida, während sich vier Prozent für Arizona entschieden haben. Dort wurde am 23. April das Gesetz SB1070 beschlossen, das nach 90 Tagen in Kraft treten sollte. Es verpflichtet die Polizei unter anderem, bei "begründetem Verdacht" jede Person zu kontrollieren, bei der es sich um einen "illegalen Einwanderer" handeln könnte. Dieser heftig umstrittene Vorstoß, den Aufenthaltsstatus einer bestimmten Gruppe von Personen im öffentlichen Raum zu kontrollieren, könnte dazu führen, daß eine halbe Million Menschen abgeschoben werden, die ohne Papiere in diesem Bundesstaat leben. Darüber hinaus müssen im Zuge dieser Gesetzreform Millionen Menschen mit Migrations- und indigenem Hintergrund rassistische Diskriminierung in ihrem Lebens- und Arbeitsalltag fürchten.

Wenige Stunden vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in Arizona hat ein Bundesgericht in Phoenix die geplante Regelung in entscheidenden Punkten eingeschränkt. Wie Richterin Susan R. Bolton per einstweiliger Verfügung angeordnet hat, dürfen ausschließlich Angehörige der Einwanderungsbehörde derartige Kontrollen durchführen. Damit wird verhindert, daß in Arizona künftig die gesamte Polizei bei jeder Verkehrskontrolle oder Razzia gehalten ist, mögliche "Illegale" aufzuspüren und damit Menschen dunklerer Hautfarbe aus Lateinamerika unter Generalverdacht zu stellen. Zudem wurden zwei weitere Kernpassagen ausgesetzt: Danach sollte es ein Straftatbestand sein, als Einwanderer keine Papiere bei sich zu tragen oder ohne Aufenthaltsrecht öffentlich eine Arbeit zu suchen.

Richterin Bolton machte in ihrer Begründung geltend, daß dies "weder angemessen noch im öffentlichen Interesse" Arizonas sei. Grundsätzlich stünden wesentliche Teile des Gesetzentwurfs nicht im Einklang mit Bundesrecht. Eine Sprecherin des Justizministeriums zeigte Verständnis für die "Frustration der Menschen in Arizona". Ein "Flickenteppich von staatlichen und lokalen Polizisten" würde jedoch das "System der Überwachung von Einwanderung ernsthaft stören". [1] Um die einstweilige Verfügung hatten sich das Justizministerium in Washington, die Amerikanische Bürgerrechtsunion (ACLU) und ein Polizist aus Phoenix bemüht.

Gegen das Gesetz SB1070, das die Kontroverse um die Einwanderung in die USA und die Rechte der dort lebenden Migranten mit neuer Wucht forciert hatte, waren insgesamt sieben Klagen eingereicht worden, darunter auch eine der Regierung Präsident Barack Obamas. Dieser bezeichnete das Gesetz als "fehlgeleitet", und das Justizministerium war der Auffassung, daß der Bundesstaat seine Befugnisse überschritten habe, da die Zuständigkeit für die Gesetzgebung zum Umgang mit Einwanderern in Washington liege.

Zehntausende Menschen gingen in 80 Städten für liberalere Einwanderungsgesetze auf die Straße und riefen unter anderem zum Boykott von Produkten aus Arizona auf. Sowohl in den USA als auch in Mexiko hatten Nichtregierungsorganisationen eindringlich vor den verheerenden Konsequenzen für die Betroffenen einer massiv verschärften Abschiebepraxis gewarnt. Der Präsident der Weltorganisation von Mexikanern im Ausland, Carlos Villanueva, wies auf den hohen sozialen Schaden hin, der entstünde, wenn Familien tagtäglich mit der Angst vor einer erzwungenen Trennung leben müßten. Darüber hinaus würden Einwanderer alles verlieren, wofür sie gearbeitet haben, ob sie nun seit einem oder 20 Jahren im Land leben. [2]

Das Vorhaben, Personen nach ihrer Hautfarbe, ihren Haaren und Augen, ihrer Kleidung, Sprache und anderen Merkmalen, die auf eine hispanische Herkunft hinweisen könnten, verschärft zu kontrollieren, etabliert unvermeidlich ein selektives und rassistisches Muster geforderter Polizeiarbeit. Es bezichtigt alle Bürger, die ursprünglich aus Mexiko, Mittelamerika oder anderen Regionen Lateinamerikas stammen, und bedroht selbst Menschen, die seit Jahren im Land leben, mit Haft und Abschiebung. Das gilt auch für Bürger, deren gesamtes soziales Umfeld sich in den USA befindet, und die folglich in ein ihnen völlig fremdes Land deportiert würden. Gegner des Gesetzes bezeichneten es daher als Anstiftung zum Rassismus und fundamentalen Angriff auf Grundrechte und Würde aller Menschen. Es diene dazu, Einwanderer mürbe zu machen, bis sie total erschöpft seien und den Bundesstaat und das Land verließen.

Die mexikanische Regierung beauftragte Anwälte in Arizona, den Migranten Rechtsbeistand zu leisten und Menschenrechtsverletzungen im Falle einer Verhaftung entgegenzuwirken. Unterdessen kursierten in dem Bundesstaat Berichte, wonach zahlreiche Migranten dabei seien, Arizona zu verlassen. Südlich der Grenze befürchtete man einen massiven Zustrom an Ausgewiesenen aus den USA und betonte, daß für diese Rückkehrer in beträchtlichem Umfang Wohnraum, Bildungsmöglichkeiten und andere staatliche oder kommunale Leistungen bereitgestellt werden müßten.

Die Regierungen von zwölf lateinamerikanischen Ländern hatten sich vor wenigen Tagen ausdrücklich gegen das Gesetz in Arizona ausgesprochen und die Klage der Regierung Obama unterstützt. Die mexikanische Außenministerin Patricia Espinosa bezeichnete die in letzter Minute verfügte Einschränkung als "ersten Schritt in die richtige Richtung" und verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, daß das gesamte Gesetz für verfassungswidrig erklärt wird.

In Phoenix feierten Gegner des Gesetzes das Urteil der Bundesrichterin. Wie die Sprecherin der Gruppe "Promise Arizona" sagte, sei das erst einmal eine gute Nachricht. Allerdings stelle sich grundsätzlich die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Die Menschenrechtsgruppen sind sich einig, daß es sich nur um einen Teilerfolg handelt.

Nach Angaben der Tageszeitung Washington Post haben republikanische Abgeordnete in 20 weiteren Bundesstaaten angekündigt, ähnliche Gesetzreformen wie jene in Arizona anzustreben. "Es wird sicherlich andere Bundesstaaten dazu bewegen, Gesetzestexte zu überdenken", sagte Dennis Burke, der Arizona vor Gericht vertrat. Auch in Utah ist eine ähnliche Initiative geplant: Dieser Richterspruch hindere seinen Bundesstaat nicht daran, eine eigene Regelung voranzutreiben, erklärte der republikanische Abgeordnete Carl Wimmer. Die Bundesstaaten hätten sich "zu lange versteckt".

Arizonas Gouverneurin Jan Brewer nannte die Entscheidung ein "Schlagloch in der Straße" und erklärte: "Dieser Kampf ist noch lange nicht zu Ende." Sie kündigte rechtliche Schritte gegen die Beschneidung des Gesetzes an, so daß ein juristisches Tauziehen zu erwarten ist, das vermutlich jahrelang dauern und erst vor dem Obersten Gerichtshof in letzter Instanz entschieden wird. [3] Die Gouverneurin beruft sich auf Umfragen in Arizona, bei denen 65 Prozent das Gesetz befürworteten, und setzt auf einen entsprechenden Trend auch in anderen Bundesstaaten. Das "Recht des Staates Arizona, seine Bürger zu schützen", werde sich durchsetzen, erklärte Brewer.

Zuletzt war Präsident George W. Bush 2007 mit einem Anlauf zur Änderung des Einwanderungsgesetzes gescheitert. Er wollte einerseits das Grenzregime massiv verschärfen und andererseits eine Legalisierung von im Land lebenden Migranten einleiten. Da es mißlang, die verschiedenen Fraktionen und Positionen unter einen Hut zu bringen, blieb die Reform auf der Strecke. Dennoch wurde die Errichtung eines über 1.000 Kilometer langen Grenzzauns in Angriff genommen, und Anfang August sollen weitere 100 Nationalgardisten an der mexikanischen Grenze stationiert werden.

Barack Obama hatte bei seinem Amtsantritt 2009 versprochen, die Illegalen "aus dem Schatten" zu führen und das "kaputte Einwanderungsrecht" rasch zu reformieren. Seither ist jedoch nichts dergleichen geschehen, weshalb die Regierung in Washington zunehmend unter Druck gerät. Bundesstaaten wie Arizona, wo unter 6,5 Millionen Einwohnern schätzungsweise 460.000 Einwanderer ohne Aufenthaltsrecht leben, beklagen die Untätigkeit der Administration und handeln auf eigene Faust. So wurden seit 2006 auf Ebene der Bundesstaaten, Distrikte und Kommunen Hunderte Gesetze verabschiedet, die fast ausnahmslos repressive Maßnahmen gegen Einwanderer ohne Aufenthaltsrecht vorsehen und sich zugleich mit der Ermächtigung staatlicher oder kommunaler Institutionen zu verschärfter Kontrolle und Strafverfolgung letztlich gegen die gesamte Bevölkerung richten.

In der Vergangenheit war es gängige Praxis von Polizei und Gerichten in den USA, insbesondere Schwarze und Latinos zu drangsalieren und abzustrafen. Menschen auf Grund vermeintlicher Rassemerkmale systematisch zu kontrollieren und zu sanktionieren, wie dies im Gesetz SB1070 vorgesehen war, schlägt jedoch ein neues Kapitel rassistischer Einwanderungspolitik auf und droht auch an dieser Front der Auseinandersetzung das vormals als vergleichsweise liberal gepriesene Einwanderungsland USA in einen Überwachungsstaat zu verwandeln.

Anmerkungen:

[1] Erfolg für Barack Obama: Arizonas Einwanderungsgesetz tritt nicht voll in Kraft (29.07.10)
http://www.stern.de/politik/ausland/erfolg-fuer-barack-obama-arizonas- einwanderungsgesetz-tritt-nicht-voll-in-kraft-1588265.html

[2] US-Gesetz gegen Einwanderer weiter in Kritik. Trotz Entschärfung der Regelung in Arizona hält Protest an. Washington und lateinamerikanische Staaten gegen Vorstoß der Republikaner (29.07.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/07/6716/arizona-gesetz-sb1070

[3] Streitfall Einwanderung. Konservative machen gegen Arizona-Urteil mobil (29.07.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,709107,00.html

29. Juli 2010