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USA/1315: Waffenschmuggelskandal "Fast & Furious" verfolgt Obama (SB)


Waffenschmuggelskandal "Fast & Furious" verfolgt Obama

Auswüchse des "Antidrogenkrieges" gefährden Wiederwahl des Präsidenten



Am 28. Juni hat Barack Obama einen enorm wichtigen politischen Sieg errungen, als seine Reform des US-Gesundheitssystems, die eine halbwegs erschwingliche Krankenversicherung für jeden Bürger verspricht, überraschend vom mehrheitlich konservativ-besetzten Obersten Gerichtshof für verfassungskonform erklärt wurde. Wäre die wichtigste Gesetzesinitiative Obamas als Präsident in letzter Instanz gescheitert, hätte sich dies recht negativ auf die Wiederwahlchancen des Demokraten im kommenden November ausgewirkt. Wie der Zufall so will, kam es ausgerechnet am selben Tag im US-Kongreß zu einer historischen Entscheidung, die Obama doch noch den Wiedereinzug in das Weiße Haus kosten könnte. Mit überwältigender Mehrheit hat das Repräsentantenhaus in Washington Justizminister Eric Holder wegen strafrechtlicher Mißachtung des Kongreß das Mißtrauen ausgesprochen und deshalb auch bei der Staatsanwaltschaft in der US-Hauptstadt eine Ermittlung gegen deren eigenen Chef beantragt. Holder ist damit das erste Kabinettsmitglied in der US-Geschichte, das eine solche Peinlichkeit über sich hat ergehen lassen müssen.

Gegenstand des erbitterten Streits zwischen der demokratischen Exekutive und der republikanisch-dominierten Legislative bildet der Skandal um die Operation "Fast & Furious" des Bundesbüros für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen (ATF), des FBI und der Drogenbehörde DEA. Im Rahmen dieser nach einem Hollywood-Streifen mit Actionheld Vin Diesel in der Hauptrolle benannten Operation, die kurz nach dem Regierungswechsel 2009 in Washington begann, haben inoffizielle Mitarbeiter besagter US-Behörden in Phoenix, Arizona, legal großkalibrige Waffen erworben und sie anschließend über die Grenze nach Mexiko geschmuggelt, um sie dort gezielt an die Drogenmafia zu verkaufen. Nach offizieller Darstellung sollten die Spitzel, die bei ihren Schmuggelausflügen über den Rio Grande häufig verkabelt waren, dabei in Kontakt mit mexikanischen Drogenbossen treten. Das gesammelte Beweismaterial sollte dazu beitragen, die mächtigen Kartelle Sinaloa und Los Zetas zu zerschlagen.

Die Aktion flog auf, als es am 21. Dezember 2010 in der Wüste von Arizona zu einem Feuergefecht kam und der US-Grenzbeamte Brian Terry von einem Waffenschmuggler erschossen wurde. Am Tatort wurden zwei Waffen sichergestellt, die infolge von "Fast & Furious" in kriminelle Hände geraten waren. In Reaktion auf den Tod ihres Kollegen haben sich Ende 2010, Anfang 2011 mehrere Mitglieder vom FBI, ATF und DEA, die der ganzen Operation von Anfang an skeptisch gegenüber standen und vor den möglichen Konsequenzen gewarnt hatten, an den republikanischen Kongreßabgeordneten Charles Grassley gewandt, der daraufhin den ganzen Schlamassel publik machte und entsprechende Anhörungen einleitete. Die Sache gewann zusätzlich an Brisanz, als am 15. Februar 2011 ein zweiter US-Polizist, Jaime Zapata von der Zoll- und Einwanderungsbehörde, bei einer Operation im zentralmexikanischen Bundesstaat San Luis Potosi mit der dortigen Polizei ebenfalls mit einer Waffe aus der Quelle "Fast & Furious" getötet wurde.

Seitdem streiten sich die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus auf der einen und das Justizministerium und das Weiße Haus auf der anderen Seite um die Deutungshoheit der in Verruf geratenen Aktion. Bei mehreren Auftritten vor dem Aufsichtsausschuß des Repräsentantenhauses ist Holder immer nur häppchenweise mit der Wahrheit herausgerückt. Fest steht, daß der Justizminister weit mehr in "Fast & Furious" eingeweiht ist, als er anfangs zugeben wollte. Darüber hinaus weigert er sich, die vom Repräsentantenhaus angeforderten Dokumente auszuhändigen und beruft sich dabei auf das "Exekutivprivileg" des Präsidenten, Angelegenheiten, welche die "nationale Sicherheit" tangieren, unter Verschluß zu halten.

Die Blockadehaltung Holders wirft jedenfalls zahlreiche Fragen hinsichtlich der Beweggründe des Justizministers auf. Will Holder den Präsidenten schützen? Haben Justizminister und Präsident 2011 versucht, den Skandal zu vertuschen und geben deshalb die Dokumentation aus nämlicher Zeit nicht frei? Das parteipolitische Gerangel in Washington über "Fast & Furious" könnte durchaus den republikanischen Herausforderer Mitt Romney zum Sieg bei der Präsidentenwahl über Amtsinhaber Obama verhelfen. Zu den Fragen kommen auch Spekulationen über die wahren Ziele von "Fast & Furious". Nach einer These wollte die Obama-Regierung den Bandenkrieg an der amerikanisch-mexikanischen Grenze anheizen und somit den Verkauf von Maschinengewehren und anderen schweren Waffen problematisieren, um ihn anschließend gesetzlich einschränken zu können. Einer anderen These zufolge hat Washington den mexikanischen Drogenkartellen durch den erleichterten Zugang zu modernen Handfeuerwaffen einen Gefallen tun wollen, damit sie in Zeiten der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Milliardenerlöse aus dem Rauschgiftgeschäft weiterhin bei den US-Großbanken deponieren.

Fest steht, daß rund 2000 schwere Waffen unter Aufsicht und mit Hilfe der US-Bundesbehörden in den Besitz jener Drogenbanden gelangt sind, die seit 2006 mehr als 50.000 Menschen in Mexiko zum Teil auf extrem brutale Weise getötet haben. Der eigentliche Skandal ist die Weigerung der USA, von ihrer Drogenprohibitionspolitik abzukehren, die Gewalt und Elend an vielen Orten der Welt verursacht. Eine entsprechende Forderung lateinamerikanischer Staaten hat Obama Anfang April beim Gipfeltreffen der Organisation of American States (OAS) im kolumbianischen Carthagena strikt abgelehnt. Die Haltung Washingtons ist leicht erklärt. Durch den "Antidrogenkrieg" nimmt der Sicherheitsapparat Amerikas enormen Einfluß auf Militär und Polizei aller mit den USA befreundeten Nationen - sei es in Lateinamerika, Europa, Asien oder Afrika. Während Pentagon, FBI und DEA die ausländischen Kollegen beraten, statten amerikanische Rüstungshersteller sie mit dem neuesten High-Tech-Schnickschnack aus - zwecks "Interoperabilität" versteht sich. Und solange Rauschgift nur illegal erhältlich bleibt, verdient sich die Wall Street eine goldene Nase, wie der Fall der Wachovia Bank, die 2010 rechtskräftig verurteilt wurde, weil sie zwischen 2004 und 2007 Drogengelder in Höhe von sage und schreibe 378 Milliarden Dollar wusch, exemplarisch zeigt.

2. Juli 2012