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USA/1394: Denkwürdiger Präsidentschaftswahlkampf findet ein Ende (SB)


Denkwürdiger Präsidentschaftswahlkampf findet ein Ende

Um die Wahl Clinton oder Trump sind die US-Bürger nicht zu beneiden


Heute gehen die Bürger Amerikas in die Wahllokale, um über die Nachfolge Barack Obamas sowie bei den Zwischenwahlen zum Kongreß über die Zusammensetzung von Senat und Repräsentantenhaus zu bestimmen. Damit geht der wohl denkwürdigste Präsidentenwahlkampf in der Geschichte der USA zu Ende. Die beiden Hauptbewerber für das Amt des Staatsoberhaupts und Oberkommandierenden der Streitkräfte, Hillary Clinton und Donald Trump, sind laut Umfragen so unbeliebt wie vor ihnen keine Kandidaten fürs Weiße Haus. Viele US-Bürger empfinden die Wahl zwischen der demokratischen Ex-Außenministerin und dem republikanischen Baumagnaten als eine zwischen Pest und Cholera. Nicht wenige Wähler werden deshalb zu Hause bleiben oder ihr Kreuz bei einem der dritten Kandidaten machen, die jedoch keine ernsthafte Siegesschancen haben, wie Jill Stein von den Grünen, Gary Johnson von den Libertarians oder Jerry White von der Socialist Equality Party. So oder so wird noch vor Schließung der letzten Wahllokale im Westen Alaskas Trump oder Clinton als Wahlsieger bzw. -siegerin feststehen - es sei denn, es kommt zu einer Pattsituation und einem Streit um die Auszählung wie 2000 nach der Wahl zwischen George W. Bush und Al Gore, was nicht ausgeschlossen werden kann. Angeblich haben die Demokraten und Republikaner landesweit bereits Hunderte von Anwälten für genau diesen Fall in Stellung gebracht.

Als Trump 2015 überraschend seinen Hut in den Ring warf, hat niemand ernsthaft damit gerechnet, daß der politisch unbeleckte Fernsehmoderator die republikanischen Vorwahlen gegen bestens vernetzte Politprofis wie den ehemaligen Gouverneur von Florida, Jeb Bush, gewinnen würde. Doch mit seinem kruden Populismus hat Trump, wie einst Barack Obama 2008, nur diesmal bei der konservativen statt der linksliberalen Wählerschaft, Millionen von Menschen für sich begeistert, die den undurchsichtigen Politbetrieb in Washington satt haben und in den letzten Jahrzehnten miterleben mußten, wie ihr Lebensstandard sank und gute Arbeitsplätze in Billiglohnländer exportiert wurden, während die Wall-Street-Banken gerettet wurden und die Großkonzerne ihre Steuerabgaben mittels Briefkastenfirmen in Steueroasen, sei es im Bundesstaat Delaware, in Panama, den Bahamas, Irland oder Luxemburg, gegen Null drosselten.

Trump hat die seit langem vernachlässigte und inzwischen marode Infrastruktur der Vereinigten Staaten thematisiert und im selben Zusammenhang die Abermilliarden, welche die Profiteure des militärisch-industriellen Komplexes seit 9/11 für Kriege in den Ländern der islamischen Welt ausgegeben haben, kritisiert. Mit seinem Versprechen, die getrübten Beziehungen zwischen Washington und Moskau zu verbessern und gemeinsam mit Rußland den "Antiterrorkrieg" gegen Al Kaida und den Islamischen Staat (IS) zu bestreiten, hat Trump zwar die einflußreichen Neokonservativen und humanitären Interventionisten, die seit fünf Jahren vergeblich einen "Regimewechsel" in Syrien herbeizwingen und langfristig im Kreml Wladimir Putin durch eine "demokratische" Marionette des Westens ersetzen wollen, gegen sich aufgebracht, dafür jedoch die zahlreichen kriegsmüden Isolationisten in den USA, zu denen sehr viele Veteranen und ihre Familien zählen, auf seine Seite gezogen. Zur selben Zeit haben Trumps verbale Ausfälle gegen Latinos, Muslime und Frauen wichtige Bevölkerungssegmente verärgert. Sein Bekenntnis zu einer drakonischen Law-and-Order-Politik hat ihm zwar die Unterstützung sämtlicher Polizeigewerkschaften gesichert, jedoch gegenüber der schwarzen Gemeinde, die in den letzten Jahren die Hauptleidtragende der Militarisierung der inneren Sicherheit gewesen ist, Gefühllosigkeit und einen Mangel an Empathie demonstriert.

Wie man inzwischen weiß, unter anderem aufgrund der laufenden Veröffentlichung ganzer Tranchen an Emails der demokratischen Partei durch Julian Assanges Wikileaks, bereitete Clinton - allen Dementis zum Trotz - ihre Kandidatur für die Präsidentschaft spätestens seit dem Ausscheiden aus dem State Department im Januar 2013 vor. Eine erneute Niederlage wie 2008 gegen Obama wollten sie und ihre Clique diesmal nicht erleben. Durch persönliche Verbindungen zur Führung der New Yorker Großbanken wie Lloyd Blankfein von Goldman Sachs sowie der Technologieunternehmen im kalifornischen Silicon Valley wie Eric Schmitt von Google hat Bill Clintons Gattin mit rund eineinhalb Milliarden Dollar die größte Wahlkampfkasse aller Zeiten zusammengetrommelt. Bei den Vorwahlen haben ihre Vertrauensleute bei der demokratischen Parteiführung und mit ihr befreundeten Journalisten gemeinsam dafür gesorgt, daß der Kreuzzug des Hauptkonkurrenten und "demokratischen Sozialisten" Bernie Sanders gegen das Großkapital im Sande verlief. Nach der Niederlage bei den Vorwahlen hat Sanders, der bis dahin Clinton als Handlangerin der Konzernbosse verteufelt hatte, plötzlich seine meist jugendlichen Anhänger mit dem Argument, nur so sei der fremdenfeindliche Prahlhans Trump zu stoppen, dazu aufgerufen, die ehemalige First Lady zu wählen.

Die Demokraten haben den laufenden Enthüllungen von Wikileaks, die seit den Sommermonaten drohten, Clintons Kandidatur zum Kentern zu bringen, durch einen simplen, aber effektiven Trick ihrer Wirkung beraubt. Statt sich mit dem unappetitlichen Inhalt der Emails aufzuhalten, behaupteten Hillary und ihr Team, hinter Wikileaks und dem seit 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London aus Angst vor der Auslieferung in die USA sitzenden Assange stecke Putin, Amerika sei aktuell das Opfer des schwersten Versuchs einer ausländischen Macht, die amerikanische Präsidentenwahl zu beeinflussen. Ungeachtet der Stellungnahmen namhafter Verschlüsselungsexperten, allen voran des NSA-Whistleblowers William Binney, wonach hinter den Hackerangriffen auf die Demokraten Insider, das heißt unzufriedene US-Bürger, steckten, hat Mitte Oktober Vizepräsident Joseph Biden im Interview mit dem Fernsehsender NBC Rußland zur vermeintlichen Vergeltung mit Cyberangriffen nach der Präsidentenwahl offen gedroht.

Während des gesamten Wahlkampfs wurde Clinton der Geruch von Korruption in Verbindung mit der Email-Affäre aus ihrer Zeit als US-Chefdiplomatin sowie wegen des dringenden Verdachts, sie und ihr Mann würden seit Jahren über die familieneigene Stiftung krumme Deals mit ausländischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien, abwickeln, nicht los. Die laufende Kontroverse legte sich etwas, als am 5. Juli FBI-Chef James Comey Clinton wegen ihres Umgangs mit geheimen Staatsdokumenten "extreme Sorglosigkeit" attestierte, sich gleichwohl entschied, beim Justizministerium in Washington keine Anklageerhebung zu beantragen. Als jedoch am 28. Oktober Comey dem Kongreß den Befund von mehreren tausend verschwundenen Clinton-Emails auf dem gemeinsamen Laptop von Hillarys engster Mitarbeiterin Huma Abedin und deren Noch-Ehemann, des sexskandalgeplagten Anthony Weiner, schriftlich bekanntgab, brach die Hölle los.

Angesichts eines daraus resultierenden Einbruchs in den Zustimmungswerten für Clinton warfen führende Demokraten Comey vor, auf unzulässige Weise in den Präsidentenwahlkampf eingegriffen zu haben. In den Medien haben Clinton-Freunde offen darüber spekuliert, ob nicht hinter der jüngsten Wende in der Wahlkampfdramaturgie Kräfte bei der New York Polizei steckten, die Rudolph Giuliani, dem ehemaligen leitenden Staatsanwalt und Bürgermeister der Hudson-Metropole, der bekanntlich zu den engsten Verbündeten Trumps gehört, nahestehen. Schließlich waren es Ermittler des New York Police Department (NYPD), welche als erste die Clinton-Emails auf dem tragbaren Computer von Abedin und Weiner entdeckt hatten. Die plötzliche Bekanntmachung von Comey am 6. November, seine Mitarbeiter hätten die fraglichen Emails inzwischen ausgewertet, doch an der Einschätzung vom 5. Juli sei nichts zu verändern, läßt Fragen ob der Unabhängigkeit der Justiz in den USA aufkommen. Denn wie wollen die FBI-Beamten in rund einer Woche Zehntausende Clinton-bezogene Emails überprüft haben?

Noch am Vorabend des Wahltags sahen die Demoskopen Clinton mit einem knappen Vorsprung vor Trump. Entscheidend bei der US-Präsidentenwahl ist, wie man weiß, nicht die absolute Anzahl der abgegebenen Stimmen, sondern diejenige der Wahlmänner, die der Kandidat oder die Kandidatin in den einzelnen Bundesstaaten auf sich vereinigen kann. Für Clinton und Trump kommt es darauf an, zuerst die traditionell jeweils zu ihren Parteien tendierenden Bundesstaaten zu sichern und danach so viele Swing States, die demokratisch oder republikanisch wählen, wie möglich auf ihre Seite zu ziehen. In einer Wahlprognose vom Sommer hatte der Oscar-Gewinner und Dokumentationsfilmemacher Michael Moore schlüssig erklärt, daß sich Trump nur in den vier Bundesstaaten im deindustrialisierten Rost-Gürtel, Michigan, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin, die 2012 mit ihren 64 Wahlmännern an Obama statt Mitt Romney gingen, durchsetzen muß, um die magische Zahl von 270 aus 538 zu erreichen. Es kann sein, daß die großen Medien wie die New York Times, die seit Monaten mit ihrer tendenziösen Berichterstattung unverhohlen Werbung für Clinton machen, mit ihrer Prognose eines Siegs für die Demokratin Recht behalten werden. Gelingt es Trump jedoch, so viele Nicht-Wähler wie Obama im Jahr 2008 zur Stimmabgabe "gegen das Establishment" zu bewegen, könnte es doch noch eine dicke Überraschung geben.

8. November 2016


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